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Ausgabe:

1985

Spalte:

185-186

Kategorie:

Judaistik

Titel/Untertitel:

Der Talmud 1985

Rezensent:

Wächter, Ludwig

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Seite 1

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185

Theologische Literaturzeitung 110. Jahrgang 1985 Nr. 3

186

4 135f (vgl. 32T.112.1591): quüen 1.8a. hier ausdrücklich als referiert bezeichnet
.

Wichtigere Texte aus den Bereichen werden in Übersetzung angeführt,
gegchenenfalls in verschiedenem Zusammenhang mehrfach. Register zu Philon
(sämtliche Stellen. 190-195) sowie zu antiken (per Namen) und modernen
Autoren erweisen sieh als hilfreich.

Stemberger, Günter: Der Talmud. Einfuhrung - Text - Erläuterungen
. München: Beck 1982. 324 S.gr. 8 Lw. DM 45.-.

Wer in den Talmud eindringen will, sieht sieh vor große Schwierigkeiten
gestellt. Schon der Umfang dieses gewaltigen Werkes - es
umfal.it in der Übersetzung von Lazarus Goldtschmidt zwölf dicke
Bände - ist geeignet, den Anfänger abzuschrecken. Dazu kommt, daß
vieles, so die Art der Schriftauslegung, beim ersten Lesen Ratlosigkeit
hinterläßt. Der Talmud ist so etwas wie eine Welt für sich, aber eben
eine andere Welt als die. in der wir zu denken gewöhnt sind.

Eine Einlührung in diese Welt ist ein dankenswertes Unterlängen.
St. hat diese Aufgabe in Angriff genommen, und er hat sie in souveräner
Weise gemeistert. Erfreulich ist, daß er nicht, etwa um
Anlangern die Sache leicht zu machen, den Talmud simplifiziert. Er
vertuscht vielmehr die Schwierigkeiten seiner Denkweise nicht; er
stellt sie vor den Leser hin und gibt ihm Hinweise, wie er sie begreifen
kann. Ausgewählte Texte geben Einblick in das, was im Talmud verhandelt
wird. Sie bringen so etwas wie einen Querschnitt, zwar nicht
durch den Inhalt - bei der Viclgestaltigkcit des Talmuds wäre dies
praktisch auch nicht möglich -, wohl aber durch die Gattungen, die
'm Talmud enthalten sind.

Der erste Teil des Buches (S. 9-69) beläßt sieh mit „Entstehung.
Wesen und Inhalt des Talmud". Hierzu gehören eine Skizzicrung des
geschichtlichen Rahmens und der Entwicklung der rabbinischen
Bewegung, eine knappe Schilderung des Schulwesens, Abschnitte
über Inhalt und Entstehung von Mischna, Toscfta, palästinischem
Talmud und babylonischem Talmud sowie eine kurze Einführung in
die Logik der Rabbinen.

Letzterer Abschnitt macht mit den rabbinischen Auslegungsregeln
bekannt: den sieben Regeln Hillcls, den dreizehn Regeln des
R- Jischmael und den zweiunddreißig Regeln des R. Eliczcr. Für die
wichtigsten dieser Regeln werden Beispiele gebracht, so für den
Schluß vom Leichteren auf das Schwercrc. den Analogieschluß, die
Verallgemeinerung von einer oder zwei Bibclstellen aus, den Schluß
vom Allgemeinen auf das Besondere oder vom Besonderen auf das
Allgemeine und den Schluß aus dem Kontext. Am Ende dieses Abschnittes
wird-sachlich freilich nicht recht unterdie Überschrift ..Die
Logik der Rabbinen" passend - ein Blatt des babylonischen Talmuds
ahgedruckt, mit Mischna und Gemara sowie den diese umgebenden
Mittelalterlichen Kommentaren, und diese Anordnung wird anschließend
erläutert (S. 680-

Der zweite und umfangreichste Teil des Buches (S. 70-285) bringt
ausgewählte, mit kurzem Kommentar versehene Texte, ausgehend
von der Traditionskettc in Abot LI - 11.8, in welcher die Rabbinen
ihre Tradition von Mose am Sinai herleiten. Es folgen halakhische
Tcxtc, d. h. Texte, die sich mit religionsgeselzlichen Vorschriften
hefassen, und haggadischc, d. h. erzählende Texte. Beide Textgruppen
s'nd nach Gattungen geordnet. So findet man bei den haggadischen
Texten „historische", d. h. historische Stolle behandelnde Erzählungen
, biographische Erzählungen, Hciligenlegendcn. Fabelgeschichten.
Gleichnisse, Totcnklagcn, Gebete u. a. m.; es wird also versucht, die
ganze Breite der jüdischen Haggada einzulangen. Abgeschlossen wird
der zweite Teil mit einer geschlossenen Texteinheit. Jebamot
6lb-64a. an der deutlich gemacht werden kann, wie Haggada und
Halakha im Talmud ineinander übergehen und in welcher Weise
durch Assoziationsketten von der Mischna vorgegebene Themen
variiert werden können.

Die knappe Kommentierung läßt manchmal Fragen offen. In
Sanhedrin 76b-78a werden Fälle behandelt, bei denen es strittig ist.

ob Mord oder indirekte Tötung vorliegt (S. I 34-140). St. äußert sich
nun zutreffend zu den juristischen Problemen, aber es fehlt ein Eingehen
auf die Realia. Wird der vor der Wand Stehende getötet, indem
man einen Stein von der Wand abprallen läßt (so St.). oder indem man
eine Scholle (so Goldschmidt), d. h. einen Gesteinsbrocken an der
Wand zerplatzen (das hebr. Wort hat die Grundbedeutung „zerstreuen
") läßt? Sind es Ballspieler (so St.) oder Kugelspieler (so Goldschmidt
), die durch das Abprallenlassen des Balles/der Kugel einander
töten können? Das Wort kcuUiiu das in dem Text mehrlach
verwendet wird, kann Ball, aber auch Kugel heißen. Was für ein Spiel
stein dahinter? Ist wirklich die Rede vom Ball: Was waren das Tür
Bälle, mit denen man töten konnte?

Bei der Frage des Prosbul (S. 116-119) stellt die Übersetzung
„einen Prosbul erläßt (das Sabbatjahr) nicht" vor ein Rätsel, das eist
durch die Erklärung im Anschluß an den Text gelöst wird. Der abgekürzte
hebräische Text wäre besser zu übertragen mit: „Ein Prosbul
wird nicht (durch das Sabbatjahr) aufgehoben."

Auf S. 269, Anm. 1 heißt es: „Nach I Kön 23.15 hatte Mose zwei
Söhne, als er sich von seiner Frau trennte." Das dürfte sich auf
IChr 23,15 bezichen, die Stelle, aus der die Rabbinen schlössen, daß
Mose bei der Rückkehr nach Ägypten Frau und Kinder in Midian
zurückgelassen hatte. Es hätte dann aber auch Ex 18,2-3 genannt
werden müssen, wo dies deutlich vorausgesetzt ist.

Der dritte Teil (S. 286-316) behandelt in kurzen Zügen die Wir-
kungsgcschichtc: die Durchsetzung der rabbinischen Tradition gegen
die Opposition der Karäcr, die Ausbreitung des Geltungsbereiches des
babylonischen Talmuds, die Textüberlieferung. Responsen, Halakha-
Kompendien und Einleitungen in den Talmud sowie Talmudkommentare
. Eingegangen wird auch auf den Talmud in der christlichen
Polemik und auf Verbreitung und Studium des Talmuds vom Mittelalter
bis zur Neuzeit. Ein Stellen- und ein Sachregister schließen das
Werk ab.

Stembergers Einführung füllt eine Lücke. Über die Geschichte des
Judentums im Zeitalter des Talmuds ist schon viel geschrieben worden
. Es besteht auch kein Mangel an Überblicken über Autbau und
Inhalt des Talmuds. Zu nennen ist hier besonders die Einleitung in
Talmud und Midrasch von Hermann L. Strack (5. Aufl. 1921; unveränderter
Abdruck 1961), die in der Neubearbeitung von G. Stemberger
1982 herausgekommen ist. Was St. in vorliegendem Werk jedoch
bietet, ist etwas anderes, bisher noch nicht vorliegendes: Es ist ein
instruktiver Einblick in den Talmud anhand von Texten. Die getroffene
Auswahl zeigt eine so gute Vertrautheit mit der Materie, daß man
sich eine repräsentativere kaum denken kann.

Berlin Ludwig Wächter

Neues Testament

Theißcn. Gerd: Psychologische Aspekte paulinischer Theologie. Göttingen
: Vandcnhoeck & Ruprecht 1983.417 S. gr. 8" = Forschungen
zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments.
131. Kart. DM 68.-: Lw. DM 96.-.

„Wer meint", das Urchristentum „historisch und sachlich ohne
psychologische Reflexion erhellen zu können, ist ebenso im Irrtum
wie der, der vorgibt, damit sei alles über diese Religion gesagt". So lautet
der Absenlußsatz dieses Buches (394) und zugleich seine grundlegendste
Prämisse. Sie führt formal zu einem Methodenpluralismus:
Strukturalc Textanalysen, diachrone Tradilionsanalysen und psychologische
Analysen von Paulustcxten ergänzen sich und entsprechen
der Tatsache, daß zu einer Textaussage mindestens drei sich gegenseitig
bedingende Ebenen gehören: I. die Ebene der bewußten Aussage
, die ein Autor machen wollte, 2. die Ebene der dem Autor
vorgegebenen Vergangenheit, die ihm seine Aussage ermöglicht, und
3. die psychische Ebene, die einen Text begleitet und auch seine Wirkungen
verstehbar und übertragbar werden läßt. Es geht also Theißcn