Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1984

Spalte:

146-147

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Die Denkschriften der Evangelischen Kirche in Deutschland Band 1/1, 2

Titel/Untertitel:

3 1984

Rezensent:

K., U.

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

145

Theologische Litcraturzeitung 109. Jahrgang 1984 Nr. 2

146

Hat die Theologie die Aufgabe, „dem Menschen in seiner konkre- Der Mensch kann auch anders entscheiden, als es die Theorie vorteil
Erfahrung die Sinndeutung des Glaubens zu vermitteln", so geht, schreibt. „Das Gebot der Nächstenliebe (unter Einschluß der Feinde!)
Wie es der Moraltheologe B. Fraling formuliert, die theologische ist... auch nicht annäherungsweise biologisch zu begründen."

Ethik im engeren Sinne „dem Anspruch nach, dem sich der Mensch in (183)

der ethischen Erfahrung unausweichlich stellen muß" (145). Dieser Zum Schluß vergleicht der Alttestamentier R. Mosis das hypothe-
Anspruch ist total, evident und deshalb universalisierbar. Doch kon- tiko-deduktive Vorgehen des Naturwissenschaftlers mit den wissende
ethische Normsätze enthalten auch empirische Bestandteile. schaftlichen Methoden des Exegeten und vermerkt deren Parallelität.
Diese unterliegen auch naturwissenschaftlicher Kritik. In deren Voll- Auf beiden Gebieten gibt es „eine Art Wechselwirkung und eine
ug müssen ihre theoretischen Voraussetzungen mitbedacht werden, gegenseitige Abhängigkeit von Theorie und Einzelbeobachtung"
. Pcrspcktivität im Blick auf genau definierte und damit präpa^ (195). Theologie und Naturwissenschaft sind nur möglich in Bezie-
nerte geschlossene Systeme. Diese verweist umgekehrt in ihrer end- hung auf Tradition. Freilich hat Mosis dabei im wesentlichen die
ichen Partikularität auf die Notwendigkeit eines umfassenden Ge- historisch-kritische Methode der Bibelauslegung im Blick - ein Ver-
samtrahmens, in dem der Sinn des menschlichen Daseins gefunden fahren, das bereits vom naturwissenschaftlichen Denkmuster abhän-
werden kann. Diesen kann nur eine Anthropologie bieten, die das gig ist und letztlich ihm folgt. Doch erlaubt die Arbeit an alttestament-
Sein des Menschen artikuliert. „Die Entscheidungsfrage liegt also in liehen Texten Erweiterungen der funktionalistischen Logik: Bezug
er Anthropologie." (152) . zur Sache selbst in ihrer Einmaligkeit, das gültige Neben- und Inein-
Der Mensch „ist sich selbst zur Verwirklichung aufgegeben" (152). ander verschiedener disparater Theorien, Rekurs auf eine weltan-
ufgrund der „normative(n) Kraft des in Gemeinschaft gelebten schauliche Universalthcorie. Aus dem Wissen um Gott folgt die Be-
vangeliums" gibt es dabei eine „Eigengesetzlichkeit gläubiger grenztheit menschlichen Erkennens(222).

xistenz", für deren Vollzug wiederum rationale Kommunikation Wie dieses Wissen zu begründen ist, bleibt als Prahlern. Der Rekurs

notwendig ist (1560- Sie ermöglicht es, daß der Glaube nicht nur auf Offenbarung und Glaube verfährt zwar nicht induktivistisch, doch

ethische Verhaltensnormen rezipiert; „in ihm beginnt der Mensch in seiner Art wiederum positivistisch. Ist das „Wissen" um Gott wirk-

auch, sie produktiv zu entwickeln" (158). lieh naturwissenschaftlichem Wissen so vergleichbar, daß es dieses

Der mögliche Beitrag der Biologie zur Sache wird in den histori- ergänzen und begrenzen kann? Die Naturwissenschaft bearbeitet

sehen und naturwissenschaftlichen Aufsätzen vorwiegend melhodcn- heute ihrerseits Zusammenhänge offener Systeme und reflektiert auch

Und ideologiekritisch diskutiert. G. V i o h I berichtet über den Beitrag die gleichzeitige Gültigkeit widersprüchlicher Theorien. Und läßt sich

erGeologie zur Evolutionstheorie; weiterführend sei vorallem deren die Gewißheit des Glaubens in objektivierender Sprache offen-
aktualistisches Prinzip, die Entwicklung andauernder Veränderungen barungsgemäß darstellen? Sie hat ihren Ort und ihre Zeit im Lebensfroh
gleiche Kräfte, gewesen. Der Fundamentaltheologe A. G läße r Vollzug selbst. Im Blick auf Gottes Gnade und Liebe bleiben Natur-

■etet einen instruktiven Überblick über die theologische Vcrarbei- Wissenschaft und Theologie notwendig Stückwerk. Als solches haben

tung der Evolutionstheorie im 19. Jahrhundert, kritisiert die tautolo- sie beide - und diese Gemeinsamkeit herausgearbeitet zu haben, ist

gische Gleichsetzung von Ursache und Wirkung, die an die Stelle des das Verdienst dieses Symposions - dem Leben zu dienen. Dieses

Philosophischen Kausalprinzips getreten ist (115), dessen Vermitt- Leben kann aber auch von der Theologie nicht durch zusätzliche

ung mit der Telcologie erst die Kategorie personalen, freien Handelns begriffliche Letztaussagen festgestellt werden, so sehr sie es dennoch

eröffne (128). Der Evolutionismus, der eine historische Vervoll- vor Gott zur Sprache zu bringen hat.

ommnung und Höherentwicklung von Organismen behauptet, ist „ , _ ...

nach mj ir <~ , . • ■ Heidelberg Jürgen Hubner

w.h. Gutmann daher ein mit platonischer Metaphysik ge-

'ckter Darwinismus, der seine eigenen vorgeordneten theoretischen

Unterstellungen und ihre Defizite nicht erkannt habe (68). Während

«ser behaupte, seine Einsichten seien induktiv, vorurteilsfrei durch Die Denkschriften der Evangelischen Kirche in Deutschland. Band

eobachtung und Experiment gewonnen, beruhe die gesamte Wissen- 1/2 und 1/2: Frieden, Versöhnung und Menschenrechte 2. Aufl.

schaft in Wahrheit auf Theorien, die „logisch strikt formuliert sein 1981. 248/222 S.; Band 2: Soziale Ordnung 1978. 261 S.; Band 3:

tPüsscn und an Beobachtungen überprüft, aber nie endgültig bewiesen Ehe, Familie, Sexualität, Jugend. 1981. 326 S. Hrsg. von der Kir-

werdcn können" (85). chenkanzlci der Evangelischen Kirche in Deutschland. Gütersloh:

. Gutmann vertritt selbst ein „p'hysikalistisch" begründetes Evolu- Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn 1978/81.8'.

''«nskonzept, demzufolge der Wandel der Organismen durch Selbst- „. , _. . . c„ , , ft , c

orM„;,„. , . , . ., frieden wahren, fördern und erneuern. Eine Denkschrift der Evange-

durch ! Charaktens,ert lst- d,e durch Mutationen angetrieben, |jschen Kjrchc fa Deutsch|and Hrsg. von der Kirchenkanzlei der

"* ui die Anlorderungen des Organismus und seiner Umwelt kon- Evangelischen Kirche in Deutschland. Gütersloh: Gütersloher

0|hert und kanalisiert wird und „über die Bewertung des Material- Verlagshaus Gerd Mohn 1982.96 S. 8'.
Und Energie-Aufwandes in der Konkurrenz die Überlebens- und Fort-

Pflanzungschance reguliert". Das schließt unter naturwissenschaft- In 3 Bänden (Bd. I in 2 Teilbänden) ist der Text der sog. „Denk-
■chen Gesichtspunkten Harmonie- und Ganzheitsidec in den biolo- Schriften" zusammengestellt, die im Auftrag des Rates der Evangelischen
Systemen aus und findet stattdessen „Synorganisation, also fischen Kirche in Deutschland erarbeitet und seit 1962 mit dessen
Ausgegfichenheit des Gefüges von verschiedenen Organen und Kon- Billigung veröffentlicht worden sind. Wie die Überschriften der Bände
slruktionsteilen" als Selektionsergcbnis vor (82). Die ethischen Fra- anzeigen, sind sie thematisch unter drei Gesichtspunkten geordnet.
8en Ecgcn damit außerhalb der „rein naturwissenschaftlich formulier- Eine ausführliche Einführung von Ludwig Raiser erläutert Begriff und
ten Evolutionstheorie" (87). „Evolution zeigt keine ethisch zu verlän- Geschichte, Gegenstand und Methode, Legitimation und schließlich
gernde Zielrichtung" (78). Es bedarf damit einer übergreifenden Her- die Wirkung dieser Denkschriften als einer besonderen Form, in der
■Peneutik, die exakte Forschung und sinndeutende Naturbetrachtung die evangelischen Kirchen in der BRD in diesem „Zeitalter der Denk-
ln ihrer Komplementarität in der menschlichen Existenz zu integrie- Schriften" (vgl. Bd. 1/1, S. 11) - in Einzelfällen auch gemeinsame mit
rcn vermag (Gläßer. 131). der Römisch-katholischen Kirche-ihrem Dienst an der Gesellschaft
D. S. Peters (Frankfurt) referiert über den Versuch der modernen gerecht zu werden versuchten (diese Einführung in Bd. 1/1, S. 9-39).
°ziobiologie, durch die Analyse altruistischen Verhaltens von der Ein weiterer Band enthält die 1981 veröffentlichte Denkschrift „Frie-
Gcnetik her eine solche Integratiofi zu erzielen. Doch ist gerade hier den wahren, fördern und erneuern", die insbesondere in der Diskus-
gelbst schon reduktive theoretische Voraussetzung mit Händen zu sion um die Erklärung des Moderamens des Reformierten Bundes
Greifen: die Genselcktionstheoric zwingt zu entsprechender Deutung. vom Juni 1982 eine große Rolle gespielt hat. Beigegeben sind diesem