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Ausgabe:

1984

Spalte:

141-143

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Bussmann, Claus

Titel/Untertitel:

Befreiung durch Jesus? 1984

Rezensent:

Schulz, Hansjürgen

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Theologische Literaturzeitung 109. Jahrgang 1984 Nr. 2

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den „Evangelischen Erwachsenenkatechismus" (S. 337fl), das „Neue tieren" und „mit eigenen Kommentaren zu den Texten aus Latein-
Glaubensbuch" (S. 362ff) und Hans Küngs „Christ sein" (S. 388fr). amerika sparsam umzugehen" (S. 10). Er will über zwei Probleme
Dabei unterliegt Küngs Buch am meisten der Kritik, weil erderSün- informieren. Das erste ist in der Frage des mexikanischen Bischofs
denthematik nicht die genügende Aufmerksamkeit widmet und nicht Samuel Ruiz formuliert: „Wie wird in der Theologie der Befreiung die
klärt, wie sich Gottes Sündenvergebung „sozial und ekklesial" in die Heilige Schrift christologisch benutzt?". Das zweite Problem ist die
welt hinein vermittelt (vgl. S. 40611). Die anderen Glaubensbücher Rolle der Theologie angesichts der gesellschaftlichen Aporien in
bestätigen dagegen die Tendenzen, die der Vf. im ersten Teil seiner Lateinamerika (S. 10). s

Arbeit herausstellte. Das Buch hat zwei Hauptteile. Teil A: Die Theologie der Befrei-
Auf eine kritische Sachdiskussion dieser Tendenzen, die über den unB: Eine neue Art, Theologie zu treiben (S. 13—45); Teil B: Der
Horizont der referierten Literatur hinausgeht, läßt sich der Vf. nicht Rückbezug auf Jesus Christus in der Theologie der Befreiung
e|n. Das ist bedauerlich. Denn wenn auch zweifellos sehr wichtige (S. 47-160). Ein bis Ende 1979 geführtes Literaturverzeichnis - Nor-
Aspekte des Verständnisses der Sünde in dieser Arbeit aufgewiesen bert Greinachers Buch „Die Kirche der Armen" ist noch nicht beWerden
, so sind doch theologische Defizite unübersehbar. Zunächst rücksichtigt-beschließt die Arbeit (S. 162-179).
«eilt sich die Frage, ob man dadurch ein neues Verstehen und Ernst- »Die Macht lieet in den Händen jener, die nur auf ihren Vorteil
nehmen der Sünde erreichen kann, daß man sie wie einen empirisch bedacht sind .. ." Mit der Erinnerung an 'die leidenschaftliche und
zugänglichen „objektivierten" Sachverhalt behandelt. „Sünde" ist ein ohnmächtige Anklage des Las Casas aus dem Jahre 1542 - aktuell
Urteil Gottes über ein bestimmtes menschliches Verhalten, das sich noch immer! - beginnt der erste Teil. Er schildert die Vorgeschichte
n'e nur auf „Objektivierbares" bezieht. Dieses Urteil kann gerade der Befreiungstheologie bis zur Episkopatsversammlung von Medel-
vom heutigen Menschen nur dann sinnvoll verstanden werden, wenn •*> 1968 (13-22), die drei Anliegen dieser Theologie, nämlich 1. Die
das Problem der Gottcskeziehung in der Sündenthematik zentral Analyse der lateinamerikanischen Wirklichkeit (Imperialismus- und
bleibt. Alle anderen Verfehlungen des Menschseins sind auch anders Dependenztheorie) als Ausgangspunkt, 2. Die neue Praxis als Ziel-
zugänglich und verstehbar. Deshalb geht es darum, zu klären, was den Punkt> 3- Die Parteilichkeit fiir die Armen als Schwerpunkt" (23-35);
Menschen wirklich verpflichtet, bestimmtes menschliches Verhalten - und schließlich die kritischen Anfragen, die an die Theologie der
-Sünde" zu nennen. Wird diese Frage nicht primär im Kontext der Befreiung gestellt werden. Neueste Entwicklungen (Theologie der
Gottesbeziehung des Menschen gestellt, dann wird auch die Art und Gefangenschaft, Basisgemeinden) werden nur kurz erwähnt
Tragweite der Sündenvergebung Gottes verstellt. Vom Handeln des (35-45).

Menschen, das Gott ermöglicht, ist dann viel die Rede. Aber der Teil B dokumentiert die christologischen Ansätze. Zunächst wird
Glaube, der die Sünde zur Vergangenheit macht, ist dann wie in der das „Interesse an Jesus" in den Arbeiten von Hugo Assmann. Gustavo
Erliegenden Arbeit kaum der Rede wert. Vielleicht erklärt sich dar- Gutierrez (dessen „Theologie der Befreiung", deutsch 1973, eine heraus
auch die Unemplindlichkeit dieser Arbeit für eines der Grund- ausragende Rolle spielt), Segundo Galilea, Juan Luis Segundo. Juan
Probleme der christlichen Sündenlehre: nämlich für das Verhältnis Hcmandez Pico, Leonardo Boff, Jon Sobrino, Javier Jimenez Limon.
von Geschöpflichkeit und Sünde. Weder die Ableitung der Sünde aus 'gnacio Ellacuria, Eduardo Pironio und an zwei Texten aus der kirch-
der Freiheit des Menschen noch die Behauptung ihrer schöpfungs- lichen Praxis vorgestellt. Auch die evangelischen Theologen Jose
mäßigen Notwendigkeit bei Tillich und Teilhard de Chardin werden M'euez Bonino und vor allem sein Schüler Jose de Luca kommen zu
,m Bück darauf erörtert, was das für den Glauben an Gott den Schöp- wort (47-67). Dann stellt Bussmann systematisiert die Bedeutung der
kr bedeutet. Dadurch bleibt der Begriff der Schuld des Menschen Verkündigung Jesu, seiner Passion und seiner Auferstehung für die
Segen Gott nicht zufällig eigenartig blaß. Ein in den Möglichkeitendes Theologie der Befreiung vor (67-147). „Reich Gottes" ist Leitwort des
Geschöpfs liegendes Verhalten, ein unvermeidliches Böses kann nicht ätzten Abschnitts: „In den Aussagen über das Reich Gottes laufen die
dfm Charakter des schlechthin Vernichtenden haben, dem nur noch Faden der christologischen Argumentation der Theologie der Be-
Go» allein zu widerstehen vermag. Dadurch wird die Schuld des freiung zusammen."

Menschen faktisch relativ und daß die Sünde vor allem Gottesfeind- In der kurzen Zusammenfassung (158-160) benennt Bussmann

schaft und Gotteshaß des Menschen ist, wird versehwiegen. Kann und n'cht „abgerundete Ergebnisse", sondern „charakteristische Bahnen"

daH man dies alles ausblenden, um den in der Tat dringend nötigen der jesulogischen und christologischen Argumentation.

Kampf des Menschen gegen die zwischenmenschlichen und gesell- 1 ■ Die Theologie der Befreiung arbeitet interdisziplinär. „So gehen

s<--haftlichen Dimensionen der Sünde zu motivieren? Ob das ein Fort- vor allem exegetische und systematische Fragestellungen bruchlos

f hritt im Verständnis der Sünde und im praktischen Reden von der ineinander über, auch nicht-theologische Problemfelder - vor allem

Sunde wäre, muß wohl bezweifelt werden. Dieser Zweifel spricht frei- gesellschaftswissenschaftliche-sind standig einbezogen."

,ch nicht so sehr gegen die Arbeit und ihre begrenzte Aufgabenstel- 2- °ie in der europäischen Theologie selbstverständlich gewordenen

lu"g einer „Bestandsaufnahme", sondern gegen das, was nach der Unterscheidungen zwischen historischem Jesus und verkündigtem

Analyse des Vf. als „Bestand" auf dem Plane bleibt. Christus, zwischen ipsissima vox und Gemeindetrad.tion spielen

keine Rolle.

rin WolfKrötke j Ursache dafür ist ein anderes theologisches Interesse. Es ist weder

historisch noch konfessionell-systematisch, sondern praktisch. „Jesulogische
und christologische Argumentation stehen im Dienste einer

Bussmann, Claus: Befreiung durch Jesus? Die Christologie der latein- erneuerten christlichen, auch kirchlichen Praxis."

arncrikanischen Befreiungstheologic. München: Kösel 1980. 181 S. 4. Das traditionelle Bekenntnis zu Jesus Christus wird übernommen

8 • Kart. DM 19,80. und aufgrund des praktischen Interesses neu interpretiert: „Jesus

Christus ist der Befreier".

'cht von seinem Schreibtisch in Duisburg, sondern von persön- 5 „Wegen der Vielschichtigkeit des Befreiungsbegrifts entgeht eine

g* cn Erfahrungen in Lateinamerika und von einem sechsmonatigen Reine der aufgeführten Beiträge nicht der Gefahr, die politische Aus-

■ ud'cnaufenthalt in Mexiko aus entwirft Claus Bussmann den vor- sage: Die Situation der Abhängigkeit fordert Befreiung' mit der theo-

g^genden Überblick über die Christologien der lateinamerikanischen logischen: ,Die Verfallenheit unter die Sünde erfordert Befreiung' zu

e.ungstheologien. . vermischen." (159)
Se'n leitendes Interesse war, zu überprüfen, was europäische Theo- 6. Jesus wird in der prophetischen Tradition gesehen. Seine befreiten
hier zu lernen haben könnten und müßten. Bussmann gibt sich ende Praxis der Überwindung von religiösen, rassischen, nationalen
Mühe, übersichtlich systematisiert „so viel wie möglich zu dokumen- und politischen Vorurteilen wird ebenso betont wie „die innere Zu-