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Ausgabe:

1984

Spalte:

129-132

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Schrimpf, Gangolf

Titel/Untertitel:

Das Werk des Johannes Scottus Eriugena im Rahmen des Wissenschaftsverständnisses seiner Zeit 1984

Rezensent:

Kandler, Karl-Hermann

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Theologische Literaturzeitung 109. Jahrgang 1984 Nr. 2

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sich". „Nur von dort wird der Weg weitergehen", „trotz aller Versuche
, die dialektische Theologie als Episode einzuklammern".
Insofern hat es Konsequenz, mit ihm eine Theologiegeschichte des 19.
und 20. Jahrhunderts abzuschließen (185fT).

Wer die Mühe kennt, die sie dem Autor abverlangt, wird zuerst zum
Ausdruck bringen, daß er aus ihr Neues gelernt hat und sich vorstellen
kann, daß insbesondere Studenten, denen die Reihe, in der sie erschien
, in erster Linie zugedacht ist, durch sie über ihre mittelbare und
unmittelbare Vorgeschichte in der Theologie eingerührt werden. Dennoch
kann ich einige Anfragen nicht unterdrücken. Zwar sind in einer
Theologiegeschichte Auswahl und Akzentsetzung nicht zu vermeiden
, aber die Gefahr allzu verkürzter Darstellung ist dann immer
latent. Reicht es angesichts seiner Repristination z. B. aus, Tillich
'ediglich als den „zweifellos bedeutendsten Denker" des religiösen
Sozialismus vorzustellen? Hätte angesichts der fundamentalen Bcdeu-
"ungder Metaphysik im verhandelten Zeitraum nicht an die metaphysische
Tradition der Theologie, an die Berufung auf die Namen Piaton
und Aristoteles auch im 19. Jahrhundert erinnert werden müssen?
Und muß sich nicht auch der, der mit Mildenberger der Ansicht ist,
daß die Theologie Barth „erst noch vor sich hat", fragen, ob das zu
Barth Dargebotene zur Begründung dieser ja provokanten These ausreicht
? Weil Mildenberger mit ihr sicher keine restaurative Barth-
Orthodox ie meint, möchte ich noch eine Anfrage artikulieren, die
seine Theologiegeschichte als solche betrifft. Er resümiert selber, in
■hr stünde „die Systematische Theologie" im „Vordergrund" (200).
Oas entspricht zunächst dem thcologiegeschichtlichen Tatbestand im
Erhandelten Zeitraum. Aber wenn Mildenberger zur Deduktion der
Anthropologie aus der Christologic anmerkt, hier sähe er „Barth
durchaus in den Bahnen der alten Metaphysik" (234), deutet er ein
Problem an, nämlich die aus ihrer metaphysisch-ontologischen
Tradition stammende Wesenszentrierung der systematischen Theo-
'°gie, die auch bestehen blieb, als sie sich als von den Natur- bzw.
empirischen Wissenschaften abgrenzende Geisteswissenschaft definierte
. Hier wird die empirische „Erscheinung" aus ihrem „Wesen"
deduziert, nicht nur in Barths Anthropologie, sondern auch - daran
geht Mildenberger vorüber - in seiner Ekklesiologie. Die Empirie als
solche kommt dann aber nicht uneingeschränkt zur Geltung. Zwar
erwähnt Mildenberger Schlcicrmachers Ausrichtung der Theologie
auf die empirische Kirche und ihre Praxis, aber die Stimmen, die
schon im 19. Jahrhundert gegen ihre Ignorierung in den ekklcsiolo-
gischen „Prinzipienlchren" der systematischen Theologie aufbegehren
, weil die empirische Kirche und ihre Praxis unausweichlich ihre
Gegen-ständc sind, kommen in dieser Theologiegeschichte nicht nur
zu kurz, wie die kritische Bibelwissenschaft, sie kommen überhaupt
"'cht vor: Stimmen aus der praktischen Theologie, obwohl diese
Just im 19. Jahrhundert institutionalisiert wurde.

Seiner „Geschichte" fügt Mildenberger zunächst eine „Information
über Theologen und ihre Zeitschriften" an, deren Funktion auch
du-rch eine beigelegte Graphik nicht recht einsichtig wird. Ihr folgen in
alphabetischer Reihenfolge Kurzbiographien von 500 Theologen.
Ten meisten sind Bilder im Briefmarkenformat beigefügt. Da sich
sowieso nicht zu allen Kurzbiographien Bilder fanden, wäre es erwägenswert
gewesen, einige wenige, im Format größere Bilder auszuwählen
. Mildenbergers etwas skurriler Aufforderung zur Suche nach
einem von ihm „erfundenen", „an einem deutlichen Anachronis-
mus" zu erkennenden Theologen habe ich Folge zu leisten versucht.
D>e 500 Namen ermüdeten mich aber so, daß ich aufgab.

Münster(Wcstf.) Eberhard Hübner

Sehrimpf, Gangolf: Das Werk des Johannes Scottus F.riugena im Rahmen
des Wissenschaftsverständnisses seiner Zeit. Eine Einführung
zu Periphyseon. Münster/W.: Aschcndorffl982. VII, 305 S. gr. 8" =
Beiträge zur Geschichte der Philosophie und Theologie des Mittelalters
. Texte und Untersuchungen, N. F. 23. Kart. DM 90,-.

Das Werk des Johannes Scottus Eriugena (E.) unterliegt bis heute
einer sehr unterschiedlichen Wertung. M. A. Schmidt hat in seiner
Darstellung der Scholastik ihm nur wenige Zeilen gewidmet, dabei
aber seine Wirkung auf dem Gebiet der Logik hervorgehoben.1
G. Haendlcr erwähnt ihn nur kurz."' Am ehesten wird noch seine Neigung
zum Neuplatonismus in der Folge des Pseudo-Dionysius hervorgehoben
. Dagegen hebt A. Adam sein Werk als „Synthese von philosophischer
Scinsanalyse und theologischer Welterklärung" hervor, in
der „Theologie und Philosophie zur Einheit einer christlichen Weltanschauung
zusammengefügt sind".1 Ohne die Genannten anzuführen
, legt Vf. mit seiner Habil.-Schrift eine Würdigung des Werkes
von E. vor. das der Sicht et wa A. Adams entspricht.

Vf. informiert zuerst über den Forschungsstand (1-20). Seit
150 Jahren gilt das wissenschaftliche Interesse vor allem seinem
Hauptwerk Periphyseon (bekannter als De divisione naturae). das -
nach F. Brunhölzl - „etwas völlig Neues, die größte philosophische
Leistung der lateinischen Welt seit der Väterzeit und vor Anselm von
Cantcrbury" darstellt. Diese Äußerung deckt sich etwa mit dem Zeugnis
von Hugo von St. Viktor. Aufjeden Fall läßt sich das Werk nicht
einfach in einen philosophischen Diskussionszusammenhang einordnen
. In der Forschung, vor allem im großen Werk von M. Cappuyns
(1933), wurde das ncuplatonische und patristische Ideengut erkannt,
das E. verarbeitet hat. Vf. setzt sich zum Ziel, jene Grundidee zu
bestimmen, der Periphyseon seine systematische Geschlossenheit verdankt
, ausgehend vom geistigen Lebenszusammenhang der spätkaro-
lingischen Bildungskonzeption (19).

Im zweiten Teil (21-71) untersucht Vf. die Schrift, mit der E. zum
ersten Mal historisch greifbar wird. Es ist sein umfangreiches Glosscn-
werk „Annotationes in Martianum", das bisher von der E.-Forschung
kaum beachtet worden ist. Er verwendete bei seinem Unterricht in
den artes liberales in Laon, vor allem für seinen Logikunterricht, das
Handbuch des Martian Capella (5. Jh.). Die artes liberales, vor allem
die Logik, galten E. als „Inbegriff der Wissenschaft", als „Wissenschaft
von der formalen Grundstruktur aller Wissenschaft" (48. 66).
Vf. gewährt hier einen Einblick in die Gestaltung des karolingischen
Bildungswesens. Von seiner Hochschätzung der Logik aus kritisierte
E. die Kirchenlührer, die in den Prädestinationsstreit cingegrilfen hatten
, sie hätten keine Kenntnis der artes liberales. Er zweifelte daran,
„ob sie überhaupt einen Begriff von jeder Disziplin in ihrer wissenschaftlichen
Eigenständigkeit haben" (69). E. unterschied ihr Studium
von ihrer Verwendung „bei der zuverlässigen Erschließung der christlichen
Wahrheit"(70).

Um 850/51 bekam E. Gelegenheit, das Instrument Wissenschaft
„im Dienst der christlichen Weisheit" zu handhaben (72-131). Im
Auftrag Hinkmars von Reims war E. aufgefordert worden, ein Gutachten
im Prädestinationsstreit auszuarbeiten, der durch Gottschalk
ausgelöst worden war. Er sollte die Auslegung Gottschalks trotz ihrer
logischen Konsistenz' als falsch widerlegen, den schon feststehenden
Wahrheitsgehalt „mit wissenschaftlichen Mitteln so sichern, daß an
seiner Richtigkeit nicht mehr gezweifelt werden konnte" (85). Statt
wie bisher die maßgeblichen Vätertexte mit der Glaubenswahrheit in
inhaltliche Übereinstimmung zu bringen, führt E. seinen Auftrag
durch das von ihm entwickelte „Prinzip der wissenscfiaftlichcn Vernünftigkeit
" aus, das in drei Schritten besteht, wobei die Reihenfolge
von besonderer Bedeutung ist: Schriftbeweis - Erweis wissenschaftlicher
Vernünftigkeit - Autoritätsbeweis (980- Mit der Entscheidung
für den Syllogismus als wissenschaftlichem Instrument zur Sicherung
des Wahrheitsgehaltes kirchlicher Lehre hat E. den Widerspruchssatz
zum Kriterium gemacht, anhand dessen darüber entschieden wird,
welche Auslegung der Lehre die richtige oder die falsche ist. Ein formales
Kriterium wird also Maßstab dafür, „ob eine bestimmte Wahrheitsbehauptung
ihren Anspruch auf allgemeine Geltung zu Recht
oder zu Unrecht erhebt" (104f). Obwohl E. damit die Vernünftigkeit
der christlichen Religion zu beweisen versucht, stößt er ziemlich einhellig
auf Ablehnung. Man kann ihm nicht folgen, so zwischen dem
vernunftbezogenen Willen des Menschen als einer Naturausstattung