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Ausgabe:

1984

Spalte:

124-125

Kategorie:

Neues Testament

Titel/Untertitel:

Logia 1984

Rezensent:

Holtz, Traugott

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Theologische Literaturzeitung 109. Jahrgang 1984 Nr. 2

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schichtlicher Beobachtungen andere, der Struktur der urchristlichen
Botschaft angemessenere Kategorien zu gewinnen, darf als ein Schritt
in die richtige Richtung gelten, unbeschadet aller nötigen Kritik an
seinen Einzelergebnissen.

Vier Grundstrukturen sind es, die nach McDonald aller urchristlichen
Predigt und Lehre zugrundelicgen: Prophetie, Paraklese, Par-
änese bzw. Katechese und Paradosis. Was die Prophetie betrifft, so
wird sie in direkter Linie mit den prophetischen Traditionen Israels
gesehen, wobei Beauftragung, Botschaftsempfang sowie eine Ich-Du-
Beziehung zwischen Beauftragendem und Beauftragten als zentrale
Voraussetzungen prophetischen Redens herausgestellt werden. Vf.
versucht bei Johannes dem Täufer und bei Jesus formale Elemente
alttestamentlicher Prophetie aufzuweisen, wie Heils- und Unheilswort
, Gerichtsankündigung und prophetische Zeichenhandlung, doch
das gelingt nur mit unterschiedlichem Erfolg und um den Preis eines
recht unkritischen Umgangs mit der Überlieferung: Ob der Umkehrruf
(Mk 1,15; Mt4,17) und die Gcrichtsankündigungen (Mt 11,
21-24; Lk 10,13fT; Mt 23,13-19) authentisch sind, ist ja mindestens
fraglich. Bei der Darstellung der urchristlichen Prophetie treten formgeschichtliche
Kriterien vollends in den Hintergrund. Vf. bemüht sich
hier vorwiegend darum, die zentralen Voraussetzungen prophetischen
Redens als auch dem apostolischen Zeugnis zugrundeliegend
aufzuweisen, und zwar sieht er den konkreten Ort von Beauftragung,
Botschaftsempfang und Herstellung einer Ich-Du-Beziehung in der
Auferstehungserfahrung. Einsichtig wäre das allerdings nur. wenn
gezeigt werden könnte, daß das älteste Auferstehungszeugnis Gattungen
prophetischer Rede aufgenommen hätte - aber den Versuch eines
solchen Nachweises bleibt McDonald schuldig. Leider verzichtet er
auch fast ganz darauf, den konkreten Spuren des Wirkens urchristlicher
Propheten nachzugehen, die das NT enthält. So wundert es
nicht, wenn der Ertrag dieses Abschnitts nur in der vagen Behauptung
besteht, Aufgabe der Prophetie sei "the articulation of basic Christian
paradosis, the exploration of new levels of meaning and the sharpe-
ning ofspiritual awareness" gewesen (S. 37).

Der Abschnitt über Paraklese und Homilie ist überzeugender ausgefallen
, denn hier geht es um einen eindeutigeren, von der bisherigen
Forschung besser erschlossenen Sachverhalt. Daß sich in den Paulusbriefen
Formelemente der kynisch-stoischen Diatribe finden, ist
schon seit langem bekannt; aber auch dafür, daß in zahlreichen neu-
testamentlichen Schriften, vor allem im Johannesevangelium und im
Hebräerbrief, midraschische und haggadische Traditionen formbildend
gewirkt haben, wurden in neueren Untersuchungen überzeugende
Indizien zusammengetragen. Mit erwägenswerten Argumenten
will Vf. wahrscheinlich machen, daß auch die Stephanusredc
(Apg 7,2-53), die Rede in Antiochia Pisidiae (Apg 13,16-41), der
2. Petrus- und der Judasbrief von jüdischen Predigttraditionen geprägt
sind. Unscharf sind auch hier wieder die Ausführungen über die Jesustradition
, weil nicht deutlich genug zum Ausdruck kommt, daß so gut
wie alle hier angezogenen Passagen (z.B. Lk 4,16-30 und
Joh 6,31-58) späte Bildungen sind, die für die homiletische Praxis
Jesu nichts auszusagen vermögen.

Entscheidende Bedeutung kommt dem Kapitel über Paränese
und Katechese (Kap. 3) zu. Denn es muß die Hauptbeweislast für
McDonalds These tragen, daß der kerygmatischen Komponente bei
der Prägung und Gestaltung von Gattungen nur geringe Relevanz zukomme
. Hier wird der Versuch gemacht, weite Bereiche der Überlieferung
, die sonst gemeinhin als kerygmatisch geprägt gelten, den verschiedenen
Gattungen von Paränese zuzuordnen. Zunächst wird eine
Bestandsaufnahme der in der hellenistischen und jüdischen Umwelt
gebräuchlichen Gattungen von Paränese vorgenommen; Vf. nennt
hier u. a. Weisheitstopik, Zwei-Wegeschema, Tugend- und Lasterkataloge
, Haustafeln sowie (was keineswegs umstritten sein dürfte)
Abschiedsreden. Weisheitstopik in der Jesusüberlieferung wiederzufinden
macht keine Schwierigkeiten. Allerdings müßte man doch
wohl stärker als Vf. dies tut, die Frage stellen, ob nicht die weisheitlichen
Elemente durch ihre Einführung in einen apokalyptischen

Horizont in einer Weise umgeformt werden, die auch formgeschichtlich
einen neuen Sachverhalt schafft. Der gleiche Einwand betrifft
verstärkt auch die Einordnung der Gleichnisse unter die Rubrik
„Paränese": das Gleichnis solle dem Hörer „ein allgemeines Gesetz
aufzeigen, dem er sich zu unterwerfen" habe (S. 84). Hätte Vf. die
neuere Gleichnisliteratur ausreichend berücksichtigt, so wäre er vermutlich
zu einem vorsichtigeren Urteil gelangt. Als völlig abwegig
muß schließlich die Einordnung des Passionsberichtes sowie der
Ostererzählungen unter die (paränetisch verstandene) Gattung der
Abschiedsrede gelten, zumal wenn dies tür den ersteren aus dem
angeblich „unausweichlichen Schluß" begründet wird, Jesus habe
sich gewiß angesichts seines drohenden Todes „dessen bewußt sein
müssen, daß er in einer .Abschiedssituation' stand" (S. 87). Solche
Argumentation hat mit Formgeschichte kaum mehr etwas zu tun.

Die vierte Grundstruktur, „Paradosis", liegt nach McDonald auf
einer anderen Ebene als die drei vorher behandelten. Sie ist die
„fundamentale Form christlicher Kommunikation", die den übrigen
„die grundlegenden Daten liefert" (S. 124). In einer kritischen Auseinandersetzung
mit H. Riesenfeld und B. Gcrhardsson sucht Vf. das
Wesen dieser Paradosis genauer zu bestimmen: Er widerspricht jenen
darin, daß er in ihr nicht eine geradlinige Weiterführung jüdischer
Traditionsprinzipien sieht, sondern die vom Geist gewirkte Freiheit
christlicher Überlieferung betont; er kommt mit ihnen jedoch darin
überein, daß auch er das primäre Interesse dieser Überlieferung im
Festhalten grundlegender Informationen über Jesus und sein Wirken
sieht. So ist für ihn die synoptische Tradition die zentrale Ausprägung
der Überlieferung, deren Vorstufe er in I Kor 15,3b—5 sieht.

Insgesamt wird man sagen müssen, daß diese Untersuchung die
Erwartungen, die sie aufgrund ihrer Fragestellung weckt, nicht erfüllt.
Und zwar vorwiegend aus drei Gründen: Erstens ist die Literaturbasis
zu schmal; die neuere deutsche Literatur scheint dem Vf. im wesentlichen
nur insoweit bekannt zu sein, als sie in englischer Übersetzung
vorliegt. Zweitens sind die formgeschichtlichen Kriterien, mit denen
er arbeitet, zu wenig methodisch reflektiert. Drittens schließlich ist
das Thema zu umfassend, um in einer Anfängerarbeit bewältigt
werden zu können. Die Beschränkung auf einen Teilausschnitt hätte
zweifellos mehr erbracht.

F.rlangen Jürgen Rololf

[Coppens, Joseph:] Login. Les parolcs de Jesus - The Sayings of Jesus.
Memorial Joseph Coppens, cd. by J. Delobel. Leuven: Peetcrs:
Leuven: University Press 1982. 647 S„ I Porträt gr. 8* = Bibliotheca
Ephemcridum Theologicarum Lovaniensium, LIX. Kart,
bfr 2 000.

Die 32. Biblischen Tage in Löwen 1981 waren dem Thema gewidmet
: Die Worte Jesu in der frühen christlichen Tradition. Entsprechend
dem gewichtigen und komplexen Gegenstand bildet die Dokumentation
einen in jeder Hinsicht gewichtigen Band, der die Forschung
zur Überlieferung der Jesus-Worte repräsentiert und ihr neue
Wege weist. Natürlich steht Q im Vordergrund des Interesses, doch
gelten dieser Größe nicht allein die Bemühungen. Neben einem
umfassenden Einblick in den gegenwärtigen Forschungsstand und
großen Beiträgen zur Theologie von Q stehen solche, die einzelne Partien
näher analysieren oder sich mit der literarischen Gestalt der
Quelle beschäftigen. Bemerkenswert deutlich tritt die Frage nach dem
Verhältnis von Markus zu Q hervor. - Der - kürzere - zweite Teil des
Bandes enthält Studien zur Wortüberlieferung Jesu, die nicht Q in den
Blick fassen. Freilich wird dadurch nicht der Eindruck aufgehoben,
daß die gegenwärtige Forschung auf diesem Gebiet weitgehend um die
Frage „Q" zentriert ist. Man mag fragen, ob das ganz richtig ist. Besondere
Hervorhebung verdienen die ausführlichen lndiccs
(S. 558-644); unter ihnen steht auch die von F. Neirynck und F. van
Segenbroeck erarbeitete "Q-Bibliography" (S. 561-568), ein wichtiges
Arbeitsinstrument!