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Ausgabe:

1984

Spalte:

119-121

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Wischmeyer, Oda

Titel/Untertitel:

Der höchste Weg 1984

Rezensent:

Wolff, Christian

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Theologische Literaturzeitung 109. Jahrgang 1984 Nr. 2

120

W ischmeyer, Oda: Der höchste Weg. Das 13. Kapitel des 1. Ko-
rintherbriefes. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn
1981. 256 S. gr. 8" = Studien zum Neuen Testament, 13. Kart.
DM 84-

Einzelthemen zu 1 Kor 13 wurden bislang zwar häufig diskutiert,
aber eine umfassende Monographie zu diesem Kapitel hat im
deutschen Sprachraum in neuerer Zeit gefehlt. Auf Anregung von
E. Dinkler hat sich O. Wischmeyer in ihrer Dissertation, die 1973 von
der Theologischen Fakultät der Universität Heidelberg angenommen
wurde, intensiv mit den mannigfachen Problemen, die 1 Kor 13 aufwirft
, beschäftigt. Für den Druck wurde die bis 1979 erschienene
Literatur berücksichtigt.

In einem ersten Hauptteil werden vor allem Forschungsgeschichtc
und -stand sowie Einleitungsfragen zum 1 Kor behandelt. Hier linden
sich u. a. folgende interessante Grundsatzüberlcgungcn zur Literar-
kritik der Paulusbriefe: „Vor der Frage nach der Arbeitsweise des
möglichen Redaktors der paulinischen Briefe (ist) die Frage nach der
literarischen Arbeitsweise des Paulus in verstärktem Maße zu stellen.
Hat er logisch deduktiv oder induktiv in langfristig stringentcr
Gedankenführung entwickelnd gearbeitet? Hat er von ihm selbst
bereits fertiggestellte Texte zu einzelnen Themen in einem Brief ad
hoc einander zugeordnet? Hat er in einem langen Gedankengang
verschiedene Formen miteinander zu einem neuen Ganzen verbunden
? Dann wären die .Nahtstellen'jedenfalls Übergänge, die von
Paulus selbst stammen. Und die . . . argumentativen Brüche ebenso
wie inhaltlich widersprüchliche Aussagen könnten den jeweiligen
Traditionszusammenhängen, aus denen sie stammen, entspringen."
(S. 19 0

Eine eingehende Kontextbetrachtung (IKor 12-14) erfolgt im
zweiten Hauptteil. Gegenüber Versuchen, Kapitel 13 einen ursprünglich
anderen Platz zuzuweisen, zeigt Vfn. überzeugend den
geschlossenen Zusammenhang von 1 Kor 12-14 auf: In Kapitel 12
werden Echtheit (V. 20 und Wesen (V. 4IT) christlichen Pneumati-
kertums ausgeführt, in Kapitel 13 dessen Grenzen, in Kapitel 14 folgen
zwei praktische Abschnitte. Gesondert werden die „Nahtstellen"
12,31 und 14,1 untersucht. 12,31 a wird in imperativischem Sinne als
Ergebnis von Kapitel 12 verstanden: „Strebt ruhig nach den besseren
Charismen - sub specie dessen, was bisher gesagt wurde" (S. 33);
daran schließt sich V. 31b in steigernder Weise an. Paßt aber solch
eine Aufforderung zu den Ausführungen von 12,14-20.291', die gerade
ein Streben nach größeren Charismen dämpfen? Ein indikativisches,
die Haltung der Korinther charakterisierendes Verständnis erscheint
mir vom Kontext her angemessener. Auch dabei schließt sich V. 31 b
sinnvoll an: Paulus zeigt den Korinthern einen besseren „Weg" zur
Manifestation des Pneuma. Der Anschluß von 14.1a wird zu Recht
als „Fazit für die Existenz der korinthischen Christen ... in zugespitzter
, leidenschaftlicher Diktion" (S. 37) verstanden. 14,1b aber
braucht m. E. nicht als „Einräumung . . . mit koordinierendem Sinn"
(ebd.) gewertet zu werden; durch die Ausführungen von Kapitel 13 ist
vielmehr das rechte Verständnis des Strebens nach Geistesgaben ermöglicht
.

Den breitesten Raum nimmt die Einzelexegcse von 1 Kor 13 ein. In
V. 2 findet Vfn. vier Charismen aufgezählt. Die Satzkonstruktion
spricht jedoch eher dafür, Prophetie, Geheimnisse und Erkenntnis
zusammenzunehmen. Bedeutsam sind die Ausführungen zu „Erkenntnis
" (S. 59-69), die mit wichtigen kritischen Rückfragen zur
Beziehung der Korinther zum religionsgeschichtlichen Phänomen
„Gnosis" verbunden sind (S. 66 Anm. 143). Hervorzuheben sind
auch die Überlegungen zum inneren Zusammenhang zwischen
Kerygmaglaube und Wunderglaube bei Paulus; unter Hinweis vor
allem auf Rom 4,20f.24f und Gal 3,5f zeigt Vfn., daß der Wunderglaube
einen legitimen Aspekt im paulinischen Glaubensverständnis
darstellt. - V. 3 nennt nach Ansicht der Vfn. primär apostolische
Charismen (vgl. die synoptischen Nachfolgesprüche): Besitzverzicht
und Leiden. Die Deutung von psömizein ist aber zu einseitig; die

karitative Komponente sollte nicht geleugnet werden; Rom 12,20
zeigt jedenfalls, daß Paulus das Verb sehr konkret gebrauchen kann.
Zu der apostolischen Deutung paßt auch nicht recht, daß Paulus in
1 Kor 9 den charismatischen Charakter seines Verzichts nicht eigens
erwähnt. In V. 3b entscheidet sich Vfn. für die Lesart kauchesömai.
Breiter bezeugt ist freilich kautheso(o)mai, und über die Bestimmung
der lectio difficilior läßt sich hier streiten. - Hinsichtlich V. 4f arbeitet
Vfn. gut den konkreten Bezug auf die Situation der korinthischen
Gemeinde heraus. Man wird wohl auch noch das letzte Glied von V. 5
und den V. 6 in dieser Weise zu verstehen haben, nämlich als Anspielung
auf die Rechtsstreitigkeiten innerhalb der Gemeinde (6,1 ff). -
Für V. 7 wird die ansprechende Deutung vertreten, daß hier eine Beschreibung
der christlichen Existenz in Glaube, Hotfnung und Geduld
vorliegt. Nach den vorangehenden Tugendaussagen über die Liebe
möchte man freilich auch V. 6 eher in diesem Sinne verstehen; dafür
spricht wohl auch die durchgängige Formulierung mit „alles", welche
Vfn. vor „glauben" und „hoffen" als durch die Aussage „alles erträgt
sie" bewirkt sein läßt. Immerhin gewinnt Vfn. durch ihre Deutung
einen guten Anschluß von V. 8 ff an das Vorangehende. - Für V. 12
wird die vor allem von G. Dautzenberg ausführlich begründete Deutung
auf die prophetische Schau (jüdische Exegese von Num 12,6-8)
bestritten. Vfn. bezieht den Parallelismus membrorum auf die indirekte
Gottesschau in der Schöpfung. An den dafür beigebrachten Belegstellen
Rom 1,19ffund I Kor 1,18(Tdeckt Paulus freilich diese indirekte
Gottesschau bzw. -erkennlnis als gerade nicht wahrgenommene
und als durch das Christusgeschehen überholte Möglichkeit auf. Die
Erkenntnis von IKor 13,12 - „als Gabe des Geistes" (so zu Recht
S. 143)1 - kann nicht mit der Erkenntnis von Rom 1,19ff und 1 Kor
1,19-21 gleichgesetzt werden. Gut wird dagegen herausgearbeitet, daß
Paulus die endgültige Gottesbegegnung als erkennende Liebe versteht
und daß in der Liebe schon jetzt der Zugang zum zukünftigen „Vollkommenen
" liegt (S. 142). - Dem schwierigen Vers 13 sind ausführliche
Überlegungen gewidmet, die zu folgenden Ergebnissen führen:
„Jetzt aber" ist temporal zu verstehen. Die Trias, deren Theologie
detailliert untersucht wird, ist eine paulinische Formulierung auf dem
Hintergrund jüdischer Theologumena. Das „Bleiben" meint „ein Bestehen
in der Jetztzeit, das im Eschaton nicht vernichtet werden wird,
sondern dessen Richtigkeit aufgezeigt werden wird, ohne daß die entsprechenden
Größen . . . selbst im Eschaton weiter bleiben werden"
(S. 155). Die Paraphrase des Verses lautet: „In dieser Jetztzeit aber
sind richtig vor Gott und werden daher auch ins Eschaton hinein Bestand
haben . . . Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei, die größte aber
unter ihnen ist die Liebe, (weil sie auch im Eschaton herrschen wird)."
(ebd.)

Der vierte und der fünfte Hauptteil beschäftigen sich mit Sprache
und Stil von IKor 13. Vfn. weist hier überzeugend die paulinische
Autorschaft des Kapitels, seine feste Verankerung im 1 Kor, den poetischen
Sprachcharakter und die Beeinflussung durch jüdisch-weisheitliche
Spruchdichtung nach.

Im sechsten Hauptteil wird die Form von 1 Kor 13 untersucht. Vfn.
analysiert die kleineren Formen der Einzelabschnitte und bestimmt
V. 1-3 als lehrhafte Wertepriamel, V. 4-7 (im Anschluß an G. v. Rad)
als weiterentwickelte Form einer alttestamentlichcn Bekenntnisreihe,
V. 8-12 als eschatologisch bezogene Wertepriamel, V. 13 wieder als
lehrhafte Wertepriamel. Die Priamelform ist also beherrschend. Die
von U. Schmid aufgezeigte Parallelität zwischen 1 Kor 13 und 3 Esra
4 wird gelegentlich zu wenig beachtet; so ist auch 3 Esra 4 die Priamelform
mit Aussagen (V. 39. 40a) verbunden, die denen von 1 Kor
13,4-7 formal gleichen. - Die Form des ganzen Kapitels I Kor 13 wird
auf Grund der Einleitung 12,31b, wegen der Formulierung in der
ersten Person Singular und unter Hinweis auf Hcbr 1 1 und 4 Makk als
„.Rede' über die eine höchste Tugend" (S. 219) bestimmt. Dabei zeigt
4 Makk 1,2, daß solche Rede durchaus den Charakter eines Lobpreises
haben kann.

In der zusammenfassenden Interpretation von IKor 13 wird u.a. zu
Recht daraufhingewiesen, daß Paulus in diesem Kapitel keine syste-