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Ausgabe:

1984

Spalte:

114-115

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Schreckenberg, Heinz

Titel/Untertitel:

Rezeptionsgeschichtliche und textkritische Untersuchungen zu Flavius Josephus 1984

Rezensent:

Baumbach, Günther

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Theologische Literaturzeitung 109. Jahrgang 1984 Nr. 2

H. übersieht keineswegs, daß sich gewisse Elemente nicht ohne
weiteres in den nach ihm charakteristischen Aufbau der test Xll
einfügen (200-204); das ursprüngliche Werk wurde überarbeitet und
geändert (204-213). H. erörtert unter diesen Gesichtspunkten eine
ganze Reihe von Stellen, mit verschiedenen Ergebnissen. Im ganzen,
meint er, sind die Überarbeitungen recht geschickt ausgeführt, einschließlich
der messianischen6 und der christlichen7 (204). Mangelnde
Einheit des Inhalts eines Abschnitt's, die möglicherweise an Überarbeitung
denken läßt, kann aber auch z. B. auf Einfluß einer besonderen
Quelle oder Tradition zurückgehen (2050- Die Überarbeitung
bewirkte zumal eine allmähliche Kürzung des Werkes, die jedoch die
Struktur unverändert ließ (213).

Erst gegen Ende seiner Arbeit kommt H. auf die Frage zu sprechen,
in welcher Umgebung das Werk entstanden ist (214-227). Die Antwort
ergibt sich von seinen Untersuchungen her: es handelt sich um
eine Lehr- und Erbauungsschrift, bestimmt für juifs ordinaires (214),
verfaßt in Kreisen levitischer Weiser/Schriftgelehrter, deren synago-
gale Predigt der Autor schriftlich formuliert (214.222). H. gibt im
Zusammenhang ein anschauliches Bild dieser Schriftgelehrten von
Sir, Dan, 1 Hen her (215-219). Auf Grund gewisser Bezugnahmen auf
historische Ereignisse setzt H. test XII in die erste Hälfte des 1. Jh. v.
Chr., wahrscheinlich vor 63, an (225-227), im Raum von Galiläa
(223-225)". H. rechnet mit der Möglichkeit mehrerer Neuausgaben
schon jüdischerseits. die unter verschiedenen Gesichtspunkten vorgenommen
wurden (2270- Auf christliche Einfügungen weisen nach
ihm einige Merkmale, die für die christliche Theologie des 2. Jh. zu
belegen sind: Gottes Kommen auf die Erde, seine Erniedrigung, die
Schuld Israels, die Heraushebung der Heiden usw. (229-238).

H. ist es gelungen, für test XII auf Grund auch philologisch unterbauter
Analysen9 eine weitgehende Geschlossenheit in Aufbau. Zielsetzung
, Gedankenwelt und Sprache aufzuzeigen, zugleich bestimmte
formale und sachliche Differenzen innerhalb des Werkes im Blick zu
haben und plausible Möglichkeiten ihrer Erklärung vorzuführen,
zumal aus der vermutbaren Geschichte der Überlieferung der
test XII10, unter Auswertung anderer frühjüdischer Schriften. Aus der
Auseinandersetzung mit der Literatur wird freilich auch deutlich, wie
wenig man sich bislang, trotz, mancher gemeinsamer kritischer
Urteile, weithin über Fragen der Gestalt des Textes, seiner frühen
Geschichte und seines Verständnisses und von daher über das der
Schrift überhaupt zu einigen vermochte". Die fundierte Arbeit H.S
bezieht, auch Gegenpositionen abwägend, in ständigem Blick auf die
großen Linien in bündiger und weiterführender Weise Stellung. Sie
bringt der Erforschung des Frühjudentums überhaupt vielfältigen
Gewinn.

Halle (Saale) Gerhard Delling

' Hier liefert H. in Kap. IV eine eigene Edition der in I interpretierten
eschatologischen Texte mit umfassendem Apparat und ihre Übersetzung nach
(239-287).

! Vgl. z. B. ThLZ 107, 1982 Sp. 8l9f(Rcz. J. Becker); 106, 1981 Sp. 564f;
den hierdurch mich rezensierten Bd. von Kiiehler führt H. nichtan.

' Parataktisches „und", auch am Satzanfang, spielt freilich auch im
griechisch abgefaßten Joseph und Asencth' (ed. Burchard)einc Rolle.

4 Einflüsse der LX X sind nicht festzustellen (166).

' Dazu wäre freilich zu bemerken, daß Paronomasien auch bei Philon
häufig sind; z. T. hat er sogar die gleichen wie test XII.

Für die auf Bd. I verwiesen werden kann, II 213 A. 2.
7 Dazus. u. Für I vgl. ThLZ 105.1980 Sp. 673.
1 Datierimg v.Chr. m. zahlreichen Forschem.

9 Ein vollständiges Stcllenregister zu test Xll (305-317) erschließt das Werk
der Benutzung auch im einzelnen.

10 Auf die Rekonstruktion eines Ersttextes wurde verzichtet.

'' Das gilt zumal angesichts der Positionen des sog. Leidener teams, s. o. A. 2
Rez. Becker; ThLZ 102, 1977 Sp. 8l9f Rcz. Delling. Sonst s. z. B. ebd. 100,
1975 Sp. 903; 101.1976 Sp. 502.

Schreckenberg, Heinz: Rezeptionsgeschichtliche und textkritische
Untersuchungen zu Flavias Josephus. Leiden: Brill 1977. VII,
185 S. gr. 8' = Arbeiten zur Literatur und Geschichte des hellenistischen
Judentums, 10. Lw. hfl 52.-.

In Weiterführung und Ergänzung seiner 1972 veröffentlichten
Studie über die Flavius-Josephus-Tradition in Antike und Mittelalter
(ALGHJ 5) geht es S. jetzt darum, Beiträge zu einer Rezeptionsgeschichte
zu liefern, „die Rang und Eigenart des jüdischen Historikers
auf dem Wege über seine Nachwirkung neu zu sehen lehrt und
verstehen will, warum seine Werke fast bis auf den heutigen Tag die
apologetische Auseinandersetzung zwischen Christen und Juden begleitet
und angeregt haben" (Vorwort).

Im 1. Teil („Neue Beiträge zur Wirkungs- und Rezeptionsgeschichte
". 5-70) weist S. an Hand der orientalischen, griechischen,
lateinischen, altrussischen, altfranzösischen, mittelhochdeutschen
und hebräischen Tradition nach, wie umfassend Josephus in die
verschiedensten Räume und Zeiten der Weltliteratur ausgestrahlt hat.
In diesem Zusammenhang erfahrt man viele interessante Einzelheiten
der Wirkungsgeschichte dieses jüdischen Schriftstellers, dessen Werke
zum Zwecke einer antijüdischen Polemik der Kirche durch die Einfügung
pseudojosephischer Elemente entstellt wurden. Besonders ausführlich
beschäftigt sich S. mit der legendarischen Ausgestaltung der
Taten Vespasians und Titus, die als Rächer Christi am jüdischen Volk
hingestellt wurden. So konnte Josephus im späten Mittelalter „sogar
in der Rolle eines christlich verstandenen Unheilspropheten gegen
sein eigenes Volk hineinwachsen und bekam damit fast die Qualität
einer neutestamentlichen Figur" (68). Den Grund für diese unwahrscheinlich
starke Wirkung des Josephus erblickt S. in der „inhaltlichen
und geistigen Affinität" seiner Werke zur christlichen Vorstellungswelt
, so daß „Josephus . . . fast ganz in den christlichen Raum
hinübergezogen und für sein eigenes Volk ein Fremder wurde" (69).

Im 2. Teil („Textkritik". 71-1 74) äußert sich S. zu konkreten textkritischen
Problemen und setzt sich dabei vor allem mit den Prinzipien
der Editio maior critica B. Nieses auseinander. Wenn auch seit
1885 neue Textzeugen bekannt geworden sind, so bringt dieser Handschriftenzuwachs
für die Kritik des griechischen Josephustextes wenig
ein. Umstritten bleibt die Frage der Bewertung der Handschriftengruppen
. Eine Verschiebung gegenüber Niese zeigt sich darin, daß die
sog. „Codices deteriores" Nieses heute höher bewertet werden müssen,
wobei aber in jedem Einzelfall „die Güte divergenter Lesarten gegeneinander
abzuwägen ist" (1 17). Im Blick auf Contra Apioncm kann S.
die veränderte Situation besonders klar demonstrieren; denn durch
die neue, von K. Mras besorgte Ausgabe von Eusebs Praeparalio
evangelica zeigt sich, daß „Nieses Bewertung der divergenten Zeugen
weithin nicht tragtahig ist" (158). Die durch die große Josephus-
Konkordanz entscheidend geforderte Kenntnis des Sprachgebrauchs
des Josephus ermöglicht es jetzt, „Anomalien und Sinnstörungen
verschiedenster Art aufzudecken und mit den Mitteln der inneren
Kritik, nach inhaltlichen und stilistischen Gesichtspunkten, Besserungsvorschläge
zu finden" (3), wofür S. viele überzeugende Beispiele
bringt. Deshalb erhebt er die Forderung, keinem Überlieferungszweig
von vornherein den Primat zuzusprechen, sondern „einen behutsamen
, methodisch fundierten Eklektizismus" walten zu lassen,
„der sich am Sprachgebrauch des Josephus orientiert und die frühe
indirekte Überlieferung ernster nimmt als Niese" (171). Gegen
Thackeray ist S. von der „sprachlich-stilistischen Einheit der Werke
des Josephus" überzeugt (173), weil „Sprach- und Denkmuster,
Formeln und Strukturelemente aller Art, die zur unverwechselbaren
Identität des Josephus gehören, verhältnismäßig gleichmäßig über das
Gesamtwerk dieses Autors verteilt sind" (174). In einem Anhang
(„Fontes", 174-181) bietet er als „Arbeitshilfe" einen Nachweis der
von Josephus zitierten oder erwähnten Quellen (unter Verweis auf die
FGrHist von F. Jacoby) und äußert dabei den vollauf berechtigten
Wunsch nach einer „erschöpfenden Erfassung der Septuaginta-
bezüge" und nach einer „umfassenden Ermittlung auch aller Paralle-