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Ausgabe:

1984

Spalte:

97-98

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Colpe, Carsten

Titel/Untertitel:

Theologie, Ideologie, Religionswissenschaft 1984

Rezensent:

Weiß, Hans-Friedrich

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97

Theologische Literaturzeitung 109. Jahrgang 1984 Nr. 2

98

Religionswissenschaft

Colpe, Carsten: Theologie, Ideologie, Religionswissenschaft. Demonstrationen
ihrer Unterscheidung. München: Kaiser 1980. 323 S.,
gr. 8' = Theologische Bücherei Band 68. Kart. DM 40.-.

Bis auf wenige bisher unveröffentlichte Beiträge handelt es sich bei
dem vorliegenden Band um eine Zusammenstellung von Aufsätzen
und Vorträgen des Autors aus den 60er und 70er Jahren, abgeschlossen
und ergänzt durch ein „Nachwort 1979" (S. 289-298),
durch „Nachweise" (S. 299-302), die über die Entstehung der einzelnen
Beiträge Rechenschaft geben und z. T. noch sachliche Ergänzungen
hinzufügen, sowie durch ein Namen- und ein Sachregister
(S. 303-323). Abgesehen von der „Einleitung" („Zur Aufgabe und zu
den Voraussetzungen des Religionshistorikers": S. 7-16) und vom
„Ausblick" („Nicht .Theologie der Religionsgeschichte', sondern
.Formalisierung religionsgeschichtlicher Kategorien zur Verwendung
für theologische Aussagen'": S. 278-288) sind die einzelnen Beiträge
insgesamt sechs Kapiteln zugeordnet, deren Überschriften - in der
Abfolge: „Zur Theorie in der Lehre", „Zum Problem der Verkündigung
". „Zum Problem des Vergleichens", „Zum Verhältnis zwischen
Methoden", „Zur Stellung des Unterrichts" sowie „Zum Verhältnis
zwischen Wissenschaften" - schon auf den ersten Blick einen Eindruck
von de"r Weite der Perspektive vermitteln, in der hier die notwendige
Unterscheidung - nicht Scheidung! - von Theologie und Religionswissenschaft
demonstriert wird. Auch auf die Gefahr hin, auf
solche Weise diese Perspektive zu verkürzen, soll im folgenden vor
allem auf zwei Sachverhalte hingewiesen werden, die im Grunde für
alle hier zusammengestellten Beiträge bestimmend sind:

l. Sämtliche hier abgedruckten Beiträge reflektieren mehr oder
weniger ausdrücklich die Fragestellungen und Bedingungen, unter
denen in der gegenwärtigen Weltsituation das umstrittene Verhältnis
zwischen Theologie einerseits, Religionswissenschaft und Religionsgeschichte
andererseits diskutiert wird. Eben von daher, konkret aus
der Situation der sog. Studentenrevolution der 60er Jahre (S. 292), ist
es auch zu verstehen, daß das Stichwort „Ideologie" ganz bewußt an
zweiter Stelle in den Titel des Bandes aufgenommen worden ist und
auch ansonsten in diesem Buch eine erhebliche Rolle spielt (vgl. bes.
den Beitrag: „Gottesglaube und ideologische Gehalte in modernen
Hochgott-Theorien": S. 107-136, hier auch - S. 126f - der Versuch
einer Definition: speziell zum Verhältnis Theologie - Ideologie:
S. 235ff). Ist in diesem Sinne der konkrete historische Ort des Autors
und seiner Adressaten für alle Beiträge des Bandes bestimmend, so
kann man angesichts einzelner Beiträge, die allzu deutlich eine besondere
Fragestellung und Situation voraussetzen, gewiß fragen, ob man
auf deren Abdruck in diesem Band nicht hätte verzichten können (vgl.
in diesem Sinne bes. den Beitrag: „Das deutsche Modell der .Graduiertenstudien
in Religion': Traditionen, Veränderungen, Probleme
", S. 189-209); andererseits ist indes ebenso deutlich, daß
solche Zeit- und Situationsbedingtheit den Fragestellungen und
Lösungsversuchen des Autors nur zum Vorteil gereicht. Jedenfalls ist
es in diesem Sinne nur folgerichtig, wenn die im einzelnen sehr differenzierten
grundsätzlichen Überlegungen des Autors zum Rahmenthema
sowie auch zu speziellen Fragen am Ende in sehr konkrete
Überlegungen einmünden, welchen besonderen Beitrag die Religionen
heute angesichts der akuten Weltproblemc leisten könnten.
Und ganz dementsprechend heißt es u. a. im „Nachwort 1979" (im
Anschluß an das Wort der päpstlichen Enzyklika „Populorum
Progressio": „Entwicklung sei der neue Name für Frieden"!): „Begegnen
sich die Wcltrcligionen so, daß sie sich nicht mehr im Dienste
irgendeines Wcltmodclls gegenseitig vereinheitlichen und instrumentieren
wollen, dann können sie zu dieser ständig geforderten Neubearbeitung
des Friedens vielleicht mehr bcitragcn_als wir heute noch
wahrhaben wollen" (S. 297).

2. Angesichts solcher und ähnlicher Formulierungen zeigt sich
bereits, daß in diesem Band nicht lediglich der Historiker der Religionen
zu Worte kommt, sondern zugleich - wie sich insbesondere in
den beiden Beiträgen „Die Zukunft der Kirche und die Zukunft der
Welt" (S. 54-66) und „Predigen in einer revolutionären Situation. Zur
Aktualität von Hebr. 1,1-6" (S. 66-83) zeigt - der engagierte
Theologe, dem ganz elementar an einer sachgerechten Bestimmung
des Verhältnisses zwischen theologischer und religionswissenschaftlicher
bzw. religionsgeschichtlicher Arbeit gelegen ist. Wie ein roter
Faden zieht sich denn auch diese Fragestellung durch alle Beiträge des
Bandes hindurch, angefangen bei der Antrittsvorlesung vom Jahre
1963 „Bemerkungen zu Adolf von Harnacks Einschätzung der Disziplin
.Allgemeine-Religionsgeschichte'" (S. 18-39) bis hin zu dem
Vortrag aus dem Jahr 1978 unter deF Überschrift „Drängt die Religionsgeschichte
nach einer Summe?" (S. 251-277). Was dabei in
diesem Band vorgelegt wird, ist nicht weniger als das „Programm
einer Integrierung religionsgeschichtlicher und religionsphilosophischer
Forschung in theologischer (sie) Arbeit" (S. 51), das bestimmte
Grundeinsichten der sog. Dialektischen Theologie positiv aufzunehmen
versucht (vgl. dazu bes. S. 108ff). Ganz in diesem Sinne wird
sodann im „Nachwort" formuliert: „Dialektisch-theologische
Grundeinstellung steht, obwohl dies kein theologisches Buch ist. so
bewußt in dessen Hintergrund, daß behauptet werden darf: Hier wird
demonstriert, wie man als Theologe eine nichttheologische Religionswissenschaft
treiben kann . .." (S. 292). Im Sinn des Autors hat solches
Programm freilich keineswegs eine „Vermischung von Theologie
und Religionswissenschaft" zur Konsequenz (vgl. demgegenüber die
klare Unterscheidung: S. 2 lOff); auch dem Programm einer „Theologie
der Religionsgeschichte" wird eine klare Absage erteilt (vgl. hierzu
bes. die Beiträge: „Die Funktion religionsgeschichtlicher Studien in
der evangelischen Theologie", S. 40-52, und „Nicht .Theologie der
Religionsgeschichte', sondern .Formalisierung rcligionsgeschicht-
licher Kategorien zur Verwendung für theologische Aussage/!'".
S. 278-288). Worauf der Autor zum Zwecke einer angemessenen
Zueinanderordnung von Theologie und Religionswissenschaft selbst
hinauswill, umschreibt er am Ende auf eine „symbolische" Weise,
und zwar wiederum im Blick auf die gegenwärtigen Weltproblemc:
Gerade hier nämlich „bedarf es einer Theologie und einer Religionswissenschaft
, die beide nicht Ideologie und im Sinne des Symbols von
Chalcedon ungetrennt, aber auch unvermischt, und darin jede unzer-
tcilt und unverwandelt sind" (S. 298). Es versteht sich von selbst, daß
solche programmatische Richtungsangabe in diesem Band in vielfaltigen
Differenzierungen und Auseinandersetzungen vorgetragen wird.
Probleme der ..Entmythologisierung" bzw. der „existentialen Hermeneutik
" kommen hier ebenso zur Sprache (bes. S. 85-106: „Mythische
und religiöse Aussage außerhalb und innerhalb des Christentums
") wie die einer „materialistischen" Methodik (bes. S. 230-250:
„Zur Logik religionsgeschichtlicher und historisch-theologischer
Erkenntnis"). Gleiches gilt auch für die Diskussion um den Religions-
begriff(S. 41 IT86fT. 278IT.) oder um das Problem des „Synkretismus"
(S. 162-185: „Die Vereinbarkeit historischer und struktureller Bestimmungen
des Synkretismus").

Offensichtlich ist in jedem Falle, daß derjenige, der über den Nutzen
religionsgeschichtlicher Arbeit für seine theologische Bemühung
nachzudenken genötigt ist, aus den einzelnen Beiträgen dieses Bandes
der „Theologischen Bücherei" vielfältige Anregung und am Ende
wohl auch eine gewisse Klärung auf dem mit den Stichworten „Theologie
, Ideologie, Religionswissenschaft" umrissenen Problcmfeld gewinnen
wird. Auch wenn die Frage, ob die Religionsgeschichte aus
sich heraus nach einer „Summe" drängt, vom Autor sehr differenzierend
beantwortet wird (S. 251-277) - so etwas wie eine „Summe"
seiner eigenen bisher geleisteten theologischen und religionswissenschaftlichen
Arbeit liegt in jedem Falle in diesem Band vor.

Rostock Hans-Friedrich Weiß