Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1984

Spalte:

912-914

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Klein, Wolfgang M.

Titel/Untertitel:

Christliches Sterben als Gabe und Aufgabe 1984

Rezensent:

Turre, Reinhard

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

911

Theologische Literaturzeitung 109. Jahrgang 1984 Nr. 12

912

Der I. Teil des Buches behandelt ..Probleme - Theologische Fragen
" (17-1 17), der 2. Teil „Impulse - Praktische Hilfen" (1 19-329).
Vergleicht man diesen 1. Teil mit der Darstellung der „Theologie der
Jugendseelsorge" im 2. Teil des erwähnten Handbuches, dann entsteht
der Eindruck, daß dort die Integration biblischer Gesichtspunkte
in die Seclsorge differenzierter und überzeugender gelungen ist als
hier. Das mag mit den damaligen Gesprächspartnern und Auseinandersetzungen
zusammenhängen. Schaut man in das Autorenverzeichnis
des Bandes von 1963, so findet man als meistzitierte Namen:
Barth, Bollnow, Buber, Bultmann, Heidegger, Kierkegaard, Luther,
Thurneysen und Trillhaas - um nur die bekanntesten zu nennen. Im
Register des vorliegenden Buches dominieren Freud, Jung, Rogers.
Scharfenberg, Stollberg und Thilo; d. h. das Interesse gilt vor allem
der sog. modernen Seelsorgcbewegung und ihren psychoanalytischen
bzw. therapeutischen Wurzeln. J. will hier informieren und vermitteln
; er prüft die Positionen und Methoden, um das von ihm als
legitim und brauchbar erkannte Neue in die poimenische Arbeit aufzunehmen
. Aber er warnt auch vor der Überfremdung der Seelsorge
durch Einstellungen und Praktiken, die von außerkirchlichen
Beratungs- und Therapieformen abstammen. Wie sehr er diesen im
einzelnen auch Recht zugesteht - er läßt doch keinen Zweifel daran,
daß er einen Ausverkauf der Theologie befürchtet, und möchte darum
zum biblischen Fundament zurückrufen.

Seine „Grundzüge biblischer Seelsorge" sind freilich nicht im
ganzen ausgeführt, sondern nur in verstreuten Abschnitten oder als
Einzelargumente gegen die vermeintlich zu stark partnerorientierte
heutige Seelsorge vorgetragen. Oft wirken sie recht aufgesetzt und
zeugen von einem fundamentalistischen Denken, das die kontextbezogenen
Aussagen der Bibel ungeschichtlich in einen ganz anderen
Zusammenhang stellt. So wird J. den Vertretern der modernen Seelsorge
m. E. nicht gerecht, die sich gerade darum bemühen, die Identität
der Christusdimension in der seelsorgerlichen Situation heute
dadurch zu bewahren und zu realisieren, daß sie nicht mit denselben
biblischen Vorstellungen und Formulierungen, sondern in unserer
Sprache und Vermittlungsweise das Evangelium in die Begegnung mit
dem einzelnen einbringen, u. U. zurückhaltend oder manchmal nur
nonverbal. J. aber fragt ständig nach dem biblischen Schibboleth und
erhebt schnell den Vorwurf der, .Entkerygmatisierung" (53).

Da die Einzelheiten der Auseinandersetzung hier nicht vorgeführt werden
können, seien als Beispiel nur einige typische Anklagen zitiert, herausgegriffene
„Spitzensätze" (wie J. sie seinerseits nennt und hei seinen Kontrahenten hervorhebt
): „Aus der Christuszentriertheit ist eine verabsolutierte Klienten-
zentriertheit geworden." (96) „Aber die meisten denken das Problem (der
Annahme des Schattens, Rez.) nicht zu Ende. Nicht wenige jedenfalls erliegen
leicht dem Kurzschluß, das alles heiße, man sei auch nur ein Mensch, habe
seine Grenzen und Fehler, müsse sich eben annehmen, wie man sei, und
brauche sich dann auch nicht zu ändern." (98) ..Jedenfalls kann die Äußerung
in der Gruppe nicht als Ersatzbeichte dienen. Die Gruppe als solche hat nicht
die Vollmacht, Sünden zu vergeben. Sie hat keine Heilsqualität." (148; Frage
des Rez.: Ist es beim Einzelseelsorger anders?) „Wenn es nicht zu dem verhängnisvollen
Grenzfall der sorglosen Seelsorger kommen soll, dann ist ein Umdenken
in Sachen Seelsorge notwendig. Ein Seelsorger im biblisch-reformatorischen
Verständnis tut nicht genug, wenn er sich in den Ratsuchenden einfühlt,
sich seiner Situation anpaßt und seinen Fall auslegt, er wird auch die Herausforderung
des Evangeliums zur Sprache bringen und Anstöße zum Glauben geben
müssen." (3170 „Die Mangelerscheinungen, die wir zur Zeit unter den Seelsorgern
beobachten können, sind beträchtlich." (318) - Der Leser möge sich
durch eigene Lektüre ein Urteil darüber bilden, ob und bei wem solche Vorwürfe
gerechtfertigt erscheinen.

Man sollte auch bedenken, daß eine vollständige - und dann gewiß
auch biblisch-theologisch begründete - Seelsorgelehre von den bei J.
apostrophierten Autoren bisher noch nicht vorgelegt worden ist,
sondern daß die therapeutische oder partnerzentrierte Richtung sich
zunächst nur in Aufsätzen oder Monographien niedergeschlagen hat,
die einzelne poimenische Aspekte oder Methoden betreffen und
damit zeitgemäße Korrektive oder Transformationen der traditionellen
Seelsorge bringen wollen. Da fallt Kritik auf beiden Seiten leicht.
Auf zeitgenössische Lehrbücher, die die Integration der theologischen

Tradition und der humanwissenschaftlichen Bezugnahme in der Seelsorge
bereits angestrebt oder vollzogen haben, geht J. leider nicht
näher ein (z. B. Wölber, Trillhaas, Wulf, Schütz oder das Handbuch
der Praktischen Theologie aus der DDR ebenso wie das aus der BRD
von 1981).

Kurz noch etwas zum 2. Teil des Buches: Zunächst werden
(124-194) zehn verschiedene Richtungen der Psychotherapie kritisch
dargestellt, angefangen von der Psychoanalyse über die Gesprächstherapie
. TA, Gruppendynamik, TZ1 und Vcrhaltenstherapie bis hin
zur Gestalttherapie. Hier werden für den Unkundigen insgesamt wertvolle
, didaktisch gut aufgemachte Informationen und Gesichtspunkte
geboten, wenn auch der Fachmann wegen der starken Verkürzung
manchmal seine Bedenken haben wird. Anerkennen muß man aber
immer wieder die enorme Bclesenhcit des Verfassers, der eine Fülle
von Material aufbereitet hat. Dann folgen „Beispiele zur Methodik"
(195-297), und zwar zu den Themen „Gespräche". „Briefe" und
„Träume". Man bekommt konkrete Einblicke, und dafür werden
viele dankbar sein. Allerdings besteht auch die Gefahr - m. E.
besonders bei den Ausführungen über die Traumarbeit -, daß Dilettanten
ohne ein tieferes Hintergrundwissen und ohne spezielle Ausbildung
Rezepte zu holen versuchen und dann Schaden anrichten
können. Den Abschluß der Publikation bildet ein ausführliches
„Nachwort" über „Seelsorge an Seelsorgern" (298-329), dessen Inhalt
genausogut schon im 1. Teil unter den Überschriften „Seelsorger
unter sich" oder „Pastorale Existenz" (18 fTund 2611) hätte verhandelt
werden können; so gibt es manche unnötige Überschneidungen.

Insgesamt gesehen erreicht das Buch bei aller Anerkennung seines
umfangreichen Bemühens doch nicht das Niveau anderer Veröffentlichungen
des Verfassers. Vielleicht wirken sich darin der Adressatenkreis
oder eigene Entwicklungen des Autors aus. Der appellative und
apodiktische Charakter vieler Feststellungen, die den Autor manchmal
als einen „beatus possidens" erscheinen lassen, ist nicht jedermanns
Geschmack. Trotzdem wird das Buch wohl genug Zustimmung
finden.

Rostock Emst-Rüdiger Kiesow

Klein. Wolfgang M.: Christliches Sterben als Gabe und Aufgabe.

Ansätze zu einer Theologie des Sterbens. Franklürt/M.-Bern-New
York: Lang 1983. XXIII, 499 S. 8° = Disputationes Theologicae,
13. Kart »fr 83.-.

Die vorliegende Arbeit wurde 1982 bei der Katholisch-Theologischen
Fakultät in Bonn als Promotionsarbeit angenommen. Während
in den Humanwissenschaften in den letzten Jahren dem Sterben
erhöhte Aufmerksamkeit gewidmet wurde, ist in der Theologie das
Sterben als prozessuales, personales Geschehen zu wenig bedacht
worden. Klein möchte eine Theologie des Sterbens vorstellen, die
dieses personale Geschehen in seinem theologischen, sozio-psycholo-
gischen und anthropologischen Dimensionen erkennt. Folglich ist
seine Arbeil in 3 Teilen angelegt; Im 1. Teil werden „Prolegomena zu
einer Theologie des Sterbens" geboten. Der 2. Teil ist dem „Sterben
aus der Sicht des christlichen Glaubens" gewidmet. Im 3. Teil wendet
sich Klein dem „Verständnis christlichen Sterbens als Auf-Gabe" zu.
Entsprechend umfänglich ist die Erfassung der psychologischen und
theologischen Veröffentlichungen, weniger der medizinischen Literatur
zum Thema. In einem ausführlichen Anmerkungsteil wird darauf
gesondert eingegangen. Aber auch in der Darstellung selbst wird
manchmal zu verwirrend andere Literatur assoziert und dokumentiert
.

Schon in seiner Aufgabenstellung äußert Klein die Absicht, das
Sterben „ganz spezifisch christlich als Heilsvorgang" zu bestimmen.
Nachdem er die existentielle Herausforderung durch den Tod geschildert
hat, zeigt er, wie angesichts der Todeswirklichkeit sogleich die
Sinnproblematik aufgeworfen wird. Mit Selbstverständlichkeit werden
Sinn- und Heilsproblematik identifiziert. So überzeugend die