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Ausgabe:

1984

Spalte:

910-912

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Jentsch, Werner

Titel/Untertitel:

Der Seelsorger 1984

Rezensent:

Kiesow, Ernst-Rüdiger

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Theologische Lileraturzeitung 109. Jahrgang 1984 Nr. 12

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miert. Wenn auch die bereits beim Ambrosiaster belegte und durch
Augustin herrschend gewordene Deutung des „in quo omnes pecca-
verunt" auf Adam allgemein preisgegeben ist. halten viele Ausleger
fest an der These. Paulus deute hin auf dasjenige, was die Chiffre der
..Erbsünde" letztlich meine, auf „einen, dem einzelnen vorgegebenen,
seiner persönlichen Sünde vorausliegenden Zustand der Vcrlorenheit
und Mißfälligkeit vor Gott aufgrund der Sünde Adams" (S. 101).
Hierbei verlieh das Insistieren auf dem universalen Heil in Jesus
Christus auch dem Antityp Adams geschichtlich personale Konturen
. - Im Rückblick auf die Protologie wie auch im Vorblick auf die
Eschatologie sind vor allem die methodischen wie hermeneutischen
Kriterien heftig umstritten (S. 106-115). Zur aristotelischen Kategorientafel
möchte man das „Mitsein" hinzufügen und unterstreicht das
Personale. Dialogische und Gemeinschaftsbezogene. Zwischen
..Adam" und uns heute tritt die geschichtlich-kollektive Lawine der
..Sünde der Welt" in den Blick, zugleich arbeitet man die Pluriformi-
tät der biblischen Verweise auf Sünde und Tod heraus und unterstreicht
deren Eingebundensein in die Denkhorizonte der jeweiligen
Zeit. Andererseits sucht man durch eine diffizil« Hermeneutik die
Reichweite der einschlägigen Konzilsbestimmungcn möglichst einzugrenzen
.

Ein drittes Kapitel schildert „das für die Protologie erzielte Ergebnis
" (S. 119-243). Hierzu werden zunächst „die systematischen
Grundkonturen" umrissen (S. 120-170) und die restriktiv ausgelegten
lehramtlichen Äußerungen mit der neuzeitlichen Evolutionsschau zu
vereinen gesucht. Die konkrete Gestalt der Kernsünde, die als „verhängnisvolles
Apriori" (S. 140) die Menschheitsgeschichte prägen
soll, bleibt recht vage; auf der Grundlage der Evolution erscheint sie
als Verweigern des erforderlichen Schrittes in der Gesamtentwick-
'ung, als Nein zum Eintritt in die übernatürliche Gemeinschaft mit
Gott (S. 145). Die Erbsünde ist geschickt zusammengerafft auf fünf
..von allen als wichtig angesehene Elemente"; sie wird umschrieben
als „ein jeder persönlichen Entscheidung vorausliegcnder Zustand. (1)
des Unheils (2), der alle Menschen vom ersten Augenblick an kennzeichnet
und nur durch die Verbindung mit Christus überwunden
w'fd (3), der sich aus fremdem menschlichem Tun herleitet (4) und in
den Augen Gottes den Charakter wahrer Schuld an sich trägt (5)"
(S. 151). Das erste Merkmal hebt die Erbsünde ab von der persönlichen
Sünde; durch das zweite adaptiert man die traditionelle Lehre:
Mangel an heiligmachender Gnade sowie Verlust der übernatürlichen
Gaben sowohl personal psychologisch als auch geschichtlich gesellschaftlich
; die Universalität sündiger Verlorenheit wird als negatives
Christusbekenntnis ausgelegt; in das Subjekt jenes „fremden menschlichen
Tuns" wird die These von einer kollektiv-sündigen Urpopula-
iion eingetragen und mit einem geschichtlich situativen Hineinver-
stricktsein in sündige Traditionen verkoppelt. Umkämpft bleibt vor
allem das Anerkennen des Schuldcharakters. Dies verknüpft sich mit
e|nem „terminologischen Unbehagen" an dem deutschen Wort „Erbsünde
", dem die Termini anderer Sprachen (pechc originel, peccato
originale, pecado original, original sin) nicht entsprechen (S. 160).
Adam droht „phantastisch außerhalb zu stehen" zu kommen (Kierkegaard
). Interessant sind ferner die Versuche, die Folgen oder Auswirkungen
der Ursünde neu zu fassen (S. 16211). - Eine Skizze der
wichtigsten Repräsentanten dieser neueren Diskussion (S. 171-212)
setzt mit P. Teilhard de Chardin ein und endet mit A. de Villalmontc;
sie ist teilweise von Urs Baumann vorweggenommen und ist an
manchen Stellen vertieft durch die gleichzeitige Arbeit von Michael
Sievernich: (Schuld und Sünde in der Theologie der Gegenwart)
(Frankfurter Theol. Studien Bd. 29. Frankfurt/M. 1982). - Danach
Verden die wechselseitigen Einwände zu diesen Entwürfen zusammengetragen
(S. 213-226). Eine Art Anhang (S. 227-243) nennt
analoge Überlegungen zum Grundgeschick des Menschen, Heideggers
lundamcntalontologische Sicht und Jaspers" existentialphiloso-
Phischc Version, tiefen psychologische Deutungen von S. Freud.
C. G. Jung. E. Neumann, E. Fromm, W. Daim sowie deren Rezeption
und Transposition durch B. Stoccklc, E. Drewermann, M. Oraison

und P. Ricoeur. Diese flüchtigen Hinweise könnten gerade die oft
reichlich formalistische Schau der Ursünde mit Leben füllen.

Ein knapper „Rückblick" (S. 244-248) bezieht persönliche Stellung
zu den vorgeführten Bemühungen, die biblisch-kirchliche Tradition
mit den neuzeitliehen Entwicklungstheorien auszusöhnen. Der
sieh anbahnenden Gemeinsamkeit innerhalb des katholischen Lagers
wird im Vergleich mit der evangelischen Hochschultheologie eine
„größere Standfestigkeit" gegenüber modischen Entwicklungen des
kirchliehen Dogmas zuerkannt: hingegen seien evangelische Theologen
den katholischen vorangegangen „in der Entdeckung der literarischen
Arten" des biblischen Zeugnisses sowie „in einer größeren
Offenheit für die Möglichkeiten der Entwicklungstheorie" (S. 246).
Verweise auf A. Schopenhauer, M. Horkheimer und L. Kolakowski
möchten untermauern, daß selbst von Nichtgläubigen die „große
Wahrheit*' der Erbsündenlehre anerkannt sei und jene nicht im
Widerspruch zu neuzeitlicher Wissenschaft stehe Zugleich wird die
Unterscheidung zwischen Natur und Gnade verteidigt; sie sei keineswegs
eine „heidnisch-philosophische Spitzfindigkeit", sondern sachlich
notwendig, um „von Gott den Vorwurf ungebührlicher Härte,
vom Menschen den Pessimismus einer totalen Verderbnis der Natur
abzuwenden" (S. 247). Eine umfangreiche Bibliographie (S. 249-273)
sowie ein hilfreiches Namens- wie Sachregister (S. 274-284)
beschließen diese Ergänzung zum Handbuch der Dogmengeschichte
.

Diese Studie informiert umfassend und hilfreich. Die überkommenen
Lehren, der biblische Befund, die neuzeitlichen Provokationen
, die gegenwärtigen Entwürfe in ihrer tiefgreifenden Gemeinsamkeit
wie in ihren unterschiedlichen Akzentuierungen treten klar
heraus. Weithin verdeekt bleibt freilich die bis über die Hochkulturen
zurückreichende Tradition der Erzählungen, der Bekenntnischaraktcr
ihres Kernz.cugnisses, die zunehmende Orientierung an Jesu Christi
Sclbsthingabe an Gott und die Mitgeschöpfc sowie die endzeitliche
Ausrichtung. Deshalb wird auch nicht wirklich erkannt, daß die
scheinbar Gott angelastete „ungebührliche Härte" das Angcrührtscin
des Menschen von Gottes Eiferheiligkeit artikuliert und der angebliche
„Pessimismus einer totalen Verderbnis" der menschlichen
Natur lediglich den in Jesus Christus aufgestrahlten Adel allen
Menschseins indirekt verherrlicht. Wird nicht gerade darin die Hoheit
des Menschen aber auch die Heiligkeit Gottes offenbar, daß in Jesus
von Nazareth der Mensch schlechthin auf den Plan getreten ist, von
dem erst „Adam" und damit wir alle unseren Ort vor Gott angewiesen
bekommen haben? Eine umsichtige biblisch-reformatorische Rezeption
der skizzierten Einsichten hätte deshalb die oft mehr unreflektiert
mit einfließenden Urteile kritisch zu überprüfen. Das soll jedoch den
Dank fürdic präzise und überaus reiche Information nicht schmälern.

Heidelberg Albreehl Peters

Praktische Theologie: Seeisorge

Jentsch, Werner: Der Seelsorger. Beraten - Bezeugen - Befreien.
Grundzüge biblischer Seeisorge. Moers: Brendow-Verlag 198''
349 S. 8"

Nach und neben seinem voluminösen „Handbuch der Jugcndseel-
sorgc"(6 Bde. 1963(1) legte der als sehr produktiv bekannte Autornun
ein weiteres Buch vor, in dem es (vgl. den Untertitel) nicht nur um
Personprobleme des Seelsorgers geht, sondern auch um den Anspruch
einer „biblischen Seeisorge". Im Vorwort (10-15) hat J. schon eine
Art von Selbstrezension mitgeliefert, in derer Anliegen. Aufriß und
Themen dieser Publikation beschreibt. Daraus kann man entnehmen,
daß seine Darlegungen z. T. aus der Arbeit mit kirchlichen Fachhochschulstudenten
hervorgegangen sind und nicht nur Pfarrern, sondern
gerade Mitarbeitern der mittleren Ebene und auch Gemeindcgliedern
als Orientierungshilfe dienen sollen.