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Ausgabe:

1984

Spalte:

887-889

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Brandenburger, Egon

Titel/Untertitel:

Das Recht des Weltenrichters 1984

Rezensent:

Walter, Nikolaus

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Theologische Literaturzeitung 109. Jahrgang 1984 Nr. 12

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Licht, das der Wind ausgelöscht hat." Müllers Arbeit erinnert nachdrücklich
an Rabbi Jizehak Meir. der erzahlte: ..In meiner Kindheit
wollte ich mich nicht ins Studium der Grammatik vertiefen, denn ich
wähnte, das sei eben eine Wissensehaft wie alle andern. Später aber
habe ich mich ihr ergeben, denn ich sah. die Geheimnisse der Lehre
hangen daran." (Marin Buber, Die Erzählungen der Chassidim,
Zürich 1949,821)

Gnadau Gerhard Begrich

Neues Testament

Brandenburger. Egon: Das Recht des Weltenrichters. Untersuchung
zu Matthäus 25,51-46. Stuttgart: Verlag Kath. Bibelwerk 1980.
152 S. 8" = Stuttgarter Bibelstudien. 99. Kart. DM 26.80.

E. Brandenburger legt eine Studie zu dem exegetisch heiß diskutierten
, sozialethisch stark in Anspruch genommenen Text
Mt 25.31-46 vor. die eigentlich tür die Festschrift für G. Bornkamm
(„Kirche". Tübingen 1980) bestimmt war, aber ihres Umfanges wegen
dort nicht Platz fand. Sie ist offensichtlich provoziert von den drei
gewichtigen Arbeiten zum gleichen Text, die 1975 erschienen: von
U. Wilckens (in der Festschrift für W. G. Kümmel. Göttingen).
P. Christian (Erfurter Theol. Studien 12, Leipzig) und - vor allem -
J. Friedrich (Diss. Tübingen 1975, vgl. sein Autorreferat ThLZ 102,
1977 Sp. 847-849; gedruckt Stuttgart 1977); doch wird natürlich
auch die weitere exegetische Literatur in breitem Umfang herangezogen
.

Zu welchen Ergebnissen gelangt Br.? Ich beginne die knappe
Zusammenfassung-abweichend vom Gang des Buches-mit der Endgestalt
des Textes: Matthäus spricht in den eschatologischen Kapiteln
24-25 zur Gemeinde zunächst in einer apokalyptischen ,,Trostrede"
angesichts der Verfolgung (24.1-36) und anschließend in einer
„Gerichtsparänese" (24.37-25.46); von einer Gliederung des Kap. 25
in die Teile „Gericht über die Gemeinde" (25,1-30) und „Gericht
über die Heiden" (25,31-46) kann keine Rede sein (S. 106-112).
Damit ist schon gesagt, daß die ethne, über die der Christus-
Weltenrichtcr nach 25.31 ff richtet, im Sinne'des Mt nicht „Heiden" =
NichtChristen sind, sondern „Völker", d. h. alle Menschen, unter Einschluß
der Juden und - vor allem - der angeredeten Christen; über
25,1-30 führt diese Pcrikopc insofern hinaus, als hierdie Kriterien des
Gerichts - Gottes Wille zur Barmherzigkeit - bekanntgemacht werden
, was in 25.1-30 noch fehlte. Auch mit denjenigen, an denen die
Barmherzigkeitstaten getan oder versäumt wurden („meine geringsten
Brüder"), sind bei Mt nicht (mehr) speziell Christen oder gar - noch
stärker eingeengt - die christlichen Missionare, sondern alle Notleidenden
der Menschheit gemeint (S. 129-131). Br. widerspricht also
nachdrücklich einer exegetischen Auffassung, nach der die Ausrichtungauf
humanitär-soziales Tun (für die man unseren Text ja weithin
in Anspruch nimmt) außerhalb der eigentlichen Absicht des Mt (in
dieser Pcrikopc!) läge (vgl. S. 15). - Das dem Mt vorausliegende
Traditionsstück ist praktisch nur um V. 31—32a gekürzt zu denken
(S. 45-51): im weiteren Text ist mit redaktionellen Zusätzen nicht zu
rechnen (S. 29 - dazu s. unten). Auf Jesus selbst läßt sich das Stück
weder in dieser noch in einer anders reduzierten Fassung zurückführen
(gegen Broer. Wilckens. Friedrich); doch ist es auch nicht
jüdischer Herkunft (gegen Bultmann. Vielhauer), sondern frühchristlichen
Ursprungs.

Denn auch in der vormt. Fassung ist - nach Br.s Sicht - nicht Gott
der Wcltcnrichter. sondern der messianischc „Richter-König" Christus
, der die. die ihn Kyrios nennen (also Christen), auf ihr Verhalten
zu „seinen geringsten Brüdern", d. h. zu notleidenden Christen,
befragt. Mt hat in dieser Hinsicht durch V. 32a und seinen jetzigen
Rahmen (von 24.37 an) uminterpretiert.

Sind diese exegetischen Entscheidungen Brandenburgers so
zwingend begründet, daß sie Exegeten mit anderer Auffassung des
Textes überzeugen und so in der derzeitigen verworrenen Lage den
Weg eines exegetischen Konsensus wenigstens besser als bisherige
Arbeiten anbahnen könnten? Das ist leider nicht zu erwarten. Für die
Annahme, daß die jetzige Einleitung 25.31—32a redaktionell von Ml
stammt, scheinen die Gründe (S. 45-51) lür den Rez. durchaus überzeugend
zu sein. Auch darin würde er mit Br. übereinstimmen, daß
die Wahrscheinlichkeit, mit diesem Abstrich und ggf. weiteren
Kürzungen auf eine Fassung zu kommen, die sich auf Jesus selbst
zurückführen läßt, gering ist; andere Leser werden sich hier lieber auf
Broer. Wilckens oder Friedrich verlassen. Aber dann beginnen auch
lür mich schon die Anfragen an Br. Eine lür seine Exegese wesentliche
Entscheidung liegt darin, die Wendungen „meines Vaters" (V. 34)
und „meiner . . Brüder" (V. 40 - warum wird diese Wendung auf
deutsch konsequent im Dativ Plural zitiert?) auf keinen Fall aus dem
Text der vormt. Tradition zu streichen und sie der mt. Redaktion zuzuweisen
. Die sehr anschauliche Textstrukturanalysc (S. 25-29)
heweist aber doch nur (negativ), daß man sich Für die von Br. abgewiesene
Auffassung nicht auf das Fehlen dergleichen Wendungen jeweils
in der 2. Texthälfte (V. 41-45) berufen kann, da der Autor (Mt? oder
sein Vorgänger? - so Br.) in diesem Teil auch sonst rafft. Aber positiv
ist damit die ursprüngliche Zugehörigkeit der Wendungen zum vormt.
Text nicht bewiesen; und das schafft auch die Wortstatistik (S. 300
nicht (konnte denn Mt. wenn er den - himmlischen! - Wcltcnrichter
Christus von Gott sprechen läßt, ihm überhaupt die Wendung „mein
himmlischer Vater" in den Mund legen, wie es Br. erwartet?). Wenn
Mt dem übernommenen Text (V. 32b-45) die Einleitung V. 31—32a
vorschaltet, dann macht er eben erst damit aus dem „König" = Gott
des vormt. Textes (vgl. andere mt. Sondertraditionen: 5.35; 18,23-34:
22.11-13) nun den himmlischen Mdnschensohn-Christus-Welten-
richter (gegen Br.. s. oben). Und schließlich überzeugt - wieder Für die
mt. Rahmung und Deutung des Textes - die Auffassung von panta ta
ethnc nicht. Br. erkauft die Festlegung auf „alle Völker" (statt „alle
Heiden", also alle Menschen, die bis zum Gericht trotz der Mission
nicht der Gemeinde angehören werden) damit, daß er 25.3 I gegen die
in diesem anderen Sinne semantisch eindeutigen Stellen 24,9 und 30f
abblockt und statt dessen auf24,l4 und 28.29 zurück- bzw. vorgreift,
statt eine Bedeutung zu suchen, die - im Sinne des Mt, nicht dieser
oder jener „Tradition" - Für alle Stellen paßt. Auch in der Sprache
urchristlicher Mission ist ja ahne = „Heiden" ganz geläufig (IKor
12,2 u. ö.). Wie Br. würde auch ich sagen, daß Mt 25.31-46 keine
„Trostrede" lür die angefochtene Gemeinde ist: aber es ist auch nicht
(im Unterschied zu 25.1-30) „Gerichtsparänese" an ihre Adresse,
sondern - nach dem Neueinsatz 25,31 und in Übereinstimmung mit
vielen Passagen in apokalyptischer Literatur - ein „Lehrstück", das
fragt, wie denn Christus sich als der Herr und Richter auch über die
erweisen werde, die ihm in ihrem irdischen Leben nicht geglaubt
haben. Antwort: Sie werden im Akt des Gerichts ihn als den Kyrios
erkennen und voller Staunen oder aber Entsetzen sein Urteil über ihr
Leben vernehmen. - Heißt das. daß der Excgct bei solcher Interpretation
dem Mt (oder sich selbst?) „einen introvertierten Kirchengedanken
und eine entsprechende Christologie" bescheinigt, wie es der
Umschlagtext (Rückcndeckel) der von Br. „überwundenen" Auflassung
des Textes unterstellt? M. E. nein.

So bleibt dem Rez. - abgesehen von der enttäuschten Feststellung,
daß die exegetische Situation wieder völlig offen ist - nur der nachdrückliche
und empfehlende Hinweis auf gelungene Feile der Arbeit,
bes. auf die weiterführenden Erwägungen zum „Identifizierungs"-
Motiv der Verse 40 und 45 (S. 67-76) oder auf den nachdenkenswerten
Hinweis, daß die „Bruder"-Bezeichnung der Geringen durch den
Kyrios (V. 40). von der innergemeindlichen Bruder-Anrede (etwa in
Kap. 18) wohl zu unterscheiden, vielleicht auf die Begründung dieser
Benennung im Heilsgesehehen des Todes Christi hinweisen könnte
(Rom 8.29; Hebr 2,11-18!), und schließlich auf die Auslührungen
zum Thema „Barmherzigkeit" bei Mt (S. 119-127), von denen hei der