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Ausgabe:

1984

Spalte:

885-887

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Müller, Augustin Rudolf

Titel/Untertitel:

Martin Bubers Verdeutschung der Schrift 1984

Rezensent:

Begrich, Gerhard

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885

Theologische Literaturzeitung 109. Jahrgang 1984 Nr. 12

886

Vorstellung von .izwei Gewalten" oder eines „Sohnes" ist ursprünglich
gegen innerjüdische bzw. gnostische Mittlerspekulationen gerichtet
(S. 196-199). Unsicherheiten und Diskussionen über Eintreten
und Charakter der Heilszeit liegen im Wesen des apokalyptischen
Geschichtsbilds, das Rabbinat und frühem Christentum gemeinsam
war(S. 200-205).

An zwei Punkten mag man schließlich doch von Ergebnissen
sprechen. Eine Vielzahl der behandelten Stellen zeigte, wie stark für
jüdisch-rabbinisches Bewußtsein die Kontinuität zwischen heidnischem
und christlichem römischen Reich als repressiver Weltmacht
im Vordergrund stand, nämlich so sehr, daß spezifisch christliche
Anliegen als solche gar nicht zur Geltung kommen konnten
(S. 206). Nicht minder deutlich wird, daß die religiöse Auseinandersetzung
vorzugsweise nach innen geführt wurde: gegen oppositionelle
(nicht- oder antirabbinischc) Strömungen und Gruppen, unter die
gegebenenfalls auch das Judenchristentum eingereiht werden konnte.
Bedenkt man dies, so wird verständlich, warum das großkirchliche
Christentum der ersten Jahrhunderte nahezu außerhalb des Blickfeldes
der Rabbinen lag, während sich die Kirche andererseits durch
Existenz und Anspruch Israels herausgefordert sah. Dies aufzuarbeiten
wäre freilich eine ganz andere Aufgabe.

Halle (Saale) Wolfgang Wiefel

Müller, Augustin Rudolf: Martin Bubers Verdeutschung der Schrift.

St. Ottilien: EOS Verlag 1982. IX. 177 S. 8' = Arbeiten zu Text und
Sprache im Alten Testament. 14.

„Die Hundertjahrfeier von Bubers Geburtstag 1978 hat zwar viele
Veröffentlichungen zu seinem Werk und seinem Nachwirken
gebracht, aber eine eingehende Untersuchung seiner Bibelübersetzung
steht noch aus. Das soll hier versucht werden ..." so lautet der erste
Satz, mit dem keineswegs alles, aber schon sehr viel gesagt ist. Denn in
der Tat. es ist auffallend wenig über die philologischen und exegetischen
Voraussetzungen der Buberschen Schriftverdeutschung
geschrieben worden. Das ist nun anders: Eine kritische Untersuchung
liegt nunmehr vor. und Müller ist kritisch, sehr sogar. Der Verfasser
überführt Bubcr methodischer Naivität und zeigt da und dort methodisches
Ungcnügen neben erstaunlichen Flüchtigkeitsfehlern des
Übersetzers auf. Zunächst wird Bubers und Rosenzweigs, dessen
Bedeutung für die Verdeutschung der Schrift sehr deutlich gezeichnet
wird. Ziel beschrieben, die Schrift in das ..Königskleid der heiligen
Sprache" auch im Deutschen einzuhüllen. Jedes Wort ist wichtig,
jedes Zeichen und Mal. ausgelassen darf nichts werden, auch wenn es
im Deutschen zu sprachlichen Schwierigkeiten und Ungereimtheiten
kommt. Dieser Grundsatz der Treue zum hebräischen Wort macht
nicht zuletzt die Eigenart der Buberschen Übersetzung aus: die Sätze
scheinen oft wie in Stein geschlagen... Diesen hohen Anforderungen
genügen Buber und Rosenzweig aber nicht. Müller zeigt, daß Buber
und Rosenzweig den hebräischen Text im Deutschen verändert
haben, wenn dieser jüdischer Theologie und Tradition ebenso widersprach
wie der jüdischen Moral oder der geforderten Einheitlichkeit
der Schrift. Dieser Vorwurf ist erheblich, macht aber andererseits
Positiv deutlich: In jeder Übersetzung der Bibel spiegelt sich der
Glaube der Übersetzer wieder. „Die Schrift" ist eben nicht das „Alte
Testament", mit anderen Worten: es ist unsinnig, von Buber eine in
christlicher Tradition stehende Übersetzung zu erwarten. An zwei
Stellen geht Müller mit seiner Sicht entschieden zu weit: So p. 53.
Anm. 113. wo Vf. schreibt, daß man sich anderswo nur wundern
kann, „daß Bubcr. dessen Leben sich unter dem Motto .Dienst am
Wort' zusammenfassen läßt, zu solchen Tricks gegriffen hat". Der
Trick, von dem Müller spricht, besteht darin, daß Buber in Gen 16.2
statt „siehe" „da" schreibt, damit (vermeintlich) aus dem Dciktikon
eme Kausalkonjunktion macht. Dabei wird doch aber nicht die
„Sache", um die es geht, geändert: Abraham geht doch auf Saras
Geheiß zu deren Magd ein. Noch bedenklicher ist mir folgender

Gedankengang. Nachdem Müller erstaunlich viele Fehler. Druckfehler
und Flüchtigkeiten der Verdeutschung aufgezählt hat, was der
Rezensent begrüßt, denn so kommt Buber aus dem Nebel der Verherrlichung
auf den Boden der Erde zurück (und der Vollkommene wird
menschlich), schreibt er: „Es sei hier ausdrücklich darauf hingewiesen
, wie heikel es ist. bei Buber Fehler ankreiden zu wollen. Man muß
stets damit rechnen, daß das, was man vorschnell als Druckfehler oder
Versehen bei der Übersetzung ansieht, eine gewollte Raffinesse ist
oder an irgendeine jüdische Tradition anknüpfen will." (p. 69)

Die „Raffinesse" ist eine Unterstellung, „irgendeine jüdische Tradition
" eine Beleidigung, was der Vf. gewiß beides nicht wollte. Sagt
doch Vf. selbst, daß er nicht nach dem persönlichen Betroffenscin.
sondern nach den wissenschaftlichen Anforderungen der Übersetzung
und ihrer Verdeutscher fragt.

Dies geschieht nun unter drei Hauptteilen: (1) Erläuterungen zur
Übersetzung am Text von 2Sam 18 und 19, wo Müller eine begeisternde
Fülle von Beobachtungen liefert, so z. B.: Wegen sprachlicher
Schwierigkeiten, die Buber aber verschweigt, hat dieser in 2Sam 18,3
aus „sterben" „getötet werden" gemacht und damit den hebräischen
Text geändert, was Buber aber immer verwirft. Hier bietet Vf. eine
Lösung an: „Die Einordnung dieses Satzes als gestörtes Konditional-
gefüge", was endlich eine sinnvolle Übersetzung zuläßt (p. 30). In
2Sam 18,9 läßt Buber Absalom mit seinem Haupthaar - statt mit
seinem Kopf- im Baum hängenbleiben, was sicher durch Darstellungen
der Kunst beeinflußt worden ist!

2Sam 18.16 übersetzt Buber so. daß der Eindruck entsteht, die
Krieger schonten das Volk. Davon steht in der Tat nichts im Text,
vielmehr schonen sich die Soldaten selber. Müller vermerkt zu Recht:
„Bubers Wortzusammensetzungen sind wieder einmal ein Mittel
seiner Exegese." (p. 49).-(2) Der Gottesname. Hier belegt Müller eindrücklich
, daß Bubers Voraussetzung, Exodus 3,13 frage nach der
Bedeutung des Namens, nicht aber nach dem Namen Gottes, nicht
haltbar ist. So ist des Verfassers Ergebnis gerechtfertigt, der schreibt:
„Einer (religiösen) Gewohnheit oder Anschauung - einem Tabu,
wenn man so will - wird der Mantel der Wissenschaftlichkeit umgehängt
." (p. 105) Es gibt also keine philologischen Gründe, dem
Namenlosen keinen Namen zu geben, wohl aber theologische, um den
Herrn mit DU anzureden. Davon allein hätte Buber reden sollen. -
(3) Schließlich wird die Echtheit der Bibel bedacht: Buber und Rosenzweig
haben den textlichen Befund der hebräischen Bibel oft genug
der jüdischen Tradition geopfert und versucht, „aus dem Sprung zwischen
den Qucllcnschichten oder Bearbeitungen" (eine) „bewußte
Gegenüberstellung von zwei Aktionen innerhalb desselben Handlungsablaufes
" zu machen (p. 122). Um die Qucllenscheidung auszuschließen
, werden ohne grammatikalischen Anhaltspunkt Wayyiqtol-
Formen mit einem deutschen Plusquamperfekt wiedergegeben (so
z. B. Gen 25.1 und Ex 2,1). und selbst der Zeilenabstand in der verdeutschten
Schrift muß für die Einheit der Schrift einstehen, so
zwischen Ex 2.20 und Ex 2.21 weil „der Mann" nicht der vorhergenannte
Reguel sein darf, denn Moses Schwiegervater darf nur Jitro
heißen (p. 139). Einzig ausgenommen aus der Harmonisierung der
Schrift sind die Schöpfungserzählungen, wo der zweite Schöpfungsbericht
auch bei Buber und Rosenzweig mit „am Tag. da" neu einsetzt
. Unausgeglichenes sollte hier nebeneinander stehen bleiben,
„um das Janusgesicht des Menschen und der Menschlichen Geschichte
zu kennzeichnen" (p. 151). Am Schluß schreibt Müller:
„Hätte Buber den Schlußredaktor auch an anderen Stellen so verstanden
wie in Gen 2.4, hätte er anders übersetzt." (p. 151)

Das stimmt. Aber wir wären um den kostbaren Schatz einer jüdischen
Bibel betrogen. Es ist zu bedauern, daß der „zweite Band" des
Werkes, das Müller begonnen hat. noch aussteht: Zu fragen nach der
deutschen Sprache der verdeutschten Schrift. Denn Bubers gesuchte
Wortwahl erinnert in manchem an Richard Wagner (sie!) und seine
sprachliche Brillanz an Thomas Mann, und sein Gebrauch des Prono
men „es" in „es sprach" (cf. dazu p. 13 Anm. 51!) findet sich vollende
wieder bei Georg Trakl. der „seinen" Psalm so beginnt: „Es ist ein