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Ausgabe:

1984

Spalte:

835-837

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Titel/Untertitel:

Schuld, Sühne und Erlösung in Zentralafrika (Zaire) und in der christlichen Theologie Europas 1984

Rezensent:

Wendelborn, Gert

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Theologische Literaturzeitung 109. Jahrgang 1984 Nr. 11

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ist längst überfällig, wie mir durch diese Arbeit erneut deutlich wird.
Es war nicht nur ein überaus geschickter Griff, gerade Ernst Fuchs,
den aus der Bultmannschule herkommenden Neutestamentier als
Kronzeugen für die wünschenswerte Erweiterung des Hermeneutischen
aufzurufen. Es ist auch sachlich wohl berechtigt, sich von
daher in eine gemeinsame Diskussion um Proprium und Primat der
verschiedenen „media salutis" hineinziehen zu lassen, um nachzuprüfen
, wieweit die konfessionsgeschichtlich vorgeschriebenen Demarkationslinien
eigentlich noch stimmen. Gewiß: Spezifika des
katholischen Sakramentsverständnisses treten auch bei Rüster am
Ende hervor. Aber es hieße eine evangelische Chance verpassen,
damit anfangen zu wollen. Der Umstand, daß er seinerseits erst auf
den letzten Seiten (S. 225-261) explizit mit Thema und These seines
Buches herausrückt, während der Leser davor immer auf das angekündigte
Gespräch Fuchs - Biser gewartet hat, zeigt wohl, daß auch
der Autor sich erst am Anfang weiß.

Heidelberg Hermann Timm

Rivinius, Karl Josef [Hrsg.]: Schuld, Sühne und Erlösung in Zentralafrika
(Zaire) und in der christlichen Theologie Europas. St. Augustin
: Steyler Verlag 1983. 298 S. gr. 8° = Veröffentlichungen des
Missionspriestersemihars St. Augustin bei Bonn, 33. Kart.
DM 37,50.

Zu obigem Thema veranstaltete die Phil.-Theol. Hochschule
St. Augustin 1982 eine Tagung, die dem Dialog mit Theologen der
Kath.-Theol. Fakultät von Kinshasa, der Hauptstadt Zaires, dienen
wollte. 70 Theologen aus über 10 Ländern nahmen daran teil, und
7 Professoren der letztgenannten Fakultät konnten neben 6 theol.
Lehrern aus der BRD als Redner gewonnen werden. Die einführenden
Bemerkungen des Herausgebers und die Eröffnungsansprache des aus
Benin stammenden Kardinals Bernardin Gantin, Vorsitzender der
Päpstl. Kommission „Justitia et Pax", verdeutlichen, daß sich dieser
Dialog zwei übergreifende Aufgaben stellte. Er ist zum einen im
Zusammenhang mit dem derzeitigen Bestreben zu sehen, die afrikanische
Theologie, die sich immer mehr anschickt, Elemente der
eigenen vorchristlichen Tradition in ihr christliches Bekenntnis aufzunehmen
, in ihrer Eigenart zu würdigen. Es zeigt sich zugleich, daß
dies naturgemäß hier von spezifisch katholischen Voraussetzungen
her legitimiert wird, nämlich in Absage an „kulturell-religiöse Uni-
formitäf' bei urkatholischer Betonung der Vielfalt in der Einheit. Ich
würdige meinerseits die antikolonialistisch-emanzipativen Elemente
dieser Position und verstehe auch die hermeneutischen Hintergründe,
verhalte mich als reformatorischer Theologe aber abständig zum
Bindestrich zwischen Kultur und „Religion" wie zu der Behauptung,
die Kirche sei die societas perfecta, die gerade in der Anknüpfung an
das Überkommene den Anspruch erhebt, jede Kultur zu durchdringen
und umzuformen. Da der Band nur die Vorträge, nicht aber die
Diskussionsbeiträge wiedergibt, ist nicht auszumachen, ob es zu
einem wirklichen Dialog gekommen ist. Ansätze dazu liegen' in den
Referaten vor, aber Rivinius deutet an, daß das Sachgespräch schwierig
war und weithin kontrovers verlief. Er scheint für die deutschsprachigen
Theologen aber auch nicht entscheidend zu sein, da sie
allein auf ihrer betont immer wieder als abendländisch gekennzeichneten
Tradition aufbauen. So scheint es mir gerechtfertigt, die Redner
aus der BRD und aus Zaire jeweils im Zusammenhang kurz vorzustellen
, obgleich der Band die Referate unter 3 Themen ordnet: I. „Die
ethischen Normen und ihre verpflichtende Legitimation", II. „Das
Problem von Sünde, Schuld und Vergebung", III. „Die Frage nach der
christlichen Verkündigung".

Der Dogmatiker Heinrich Dumont bestimmt das christliche Menschenbild
in der als fruchtbar betrachteten Spannung zwischen den
Aussagen des Thomas und Bonaventura, die er jeweils bei Rahner
und v. Balthasar heute neu aufgenommen sieht. Dadurch würden
ontologische Basis wie personale Bezogenheit, die unbegrenzt über

sich hinausgreifende menschliche Potentialität wie das Wissen vom
Geborensein im Kerker der Endlichkeit berücksichtigt. Entscheidend
scheint mir die Feststellung, Gott gehöre in die Definition des Menschen
hinein, da allein das adhaerere Deo das Menschsein erträglich
mache. Vf. grenzt sich von naturfeindlicher Askese ebenso ab wie von
der mit Ockham beginnenden Tradition, die sich in reformatorischer
Theologie fortsetze und zum neuzeitlichen Säkularismus führe, wo
der Mensch nicht mehr im tragenden Grund der Kirche stehe. Positiv
ist er mit Recht bestrebt, den Menschen in seiner Dialektik von Person
und Gemeinschaftswesen zu sehen, wobei er Personal-, Solidari-
täts- und Subsidiaritälsprinzip nebeneinanderstellt. Hermann Altmeyer
möchte mit der Mehrzahl der deutschen Moraltheologen unserer
Zeit in Abgrenzung gegen eine einseitig metaphysisch ausgerichtete
Naturrechtslehre unter Aufnahme moderner exegetischer Erkenntnisse
den unaufgebbaren Grundsatz, daß Gott Gesetzgeber und
Garant des Sittengesetzes ist, elastisch interpretieren. Sittliche Handlungsnormen
würden nur über die sittliche Vernunft verpflichtend,
wie man sich auch die göttlichen Sanktionen nicht vom Rachegedanken
her verständlich machen dürfe. Gut und böse seien gesellschafts-
bezogene Begriffe, könnten also nicht unter Absehung von der konkreten
Wirklichkeit bestimmt werden. Andererseits sei Sittlichkeit
nicht Gesellschaftskonformität. Johannes Gründel. Moraltheologe in
München, konstatiert, daß seit der Renaissance mit dem Gottesbezug
auch die Erfahrung persönlicher Schuld und die Belastbarkeit zunehmend
schwächer geworden sei. Er gibt im Gespräch mit vielen Autoren
, darunter auch bedeutenden Schriftstellern der Gegenwart wie
Beckett, Camus und Frisch, mannigfache Antworten auf das Wesen
der Sünde, wobei diese letztlich als Unfähigkeit zum Lieben bestimmt
wird. Arnold Angcncndt, Liturgiewissenschaftlcr in Münster, zeigt
von Jesus und Teilen der mittelalterlichen Tradition her Alternativen
zu einem schematisch-rechenhaftcn Bußverständnis auf. das dem
Vergeltungsdenken verhaftet bleibt. Der in Regensburg lehrende
Wolfgang Beinert zeigt in einem sehr erhellenden und diskussionswürdigen
Aufriß die Wandlungen christlicher Soteriologie. Dabei
bleibt ihm die Patristik trotz der Gefahr naturhaften Denkens wegen
ihrer Theozentrik normativ, während sich im Mittelalter eine Wendung
zum Kosmos, verstanden als Ordo, und in der Neuzeit eine
Wendung zum Individuum vollzogen habe. Die neuzeitliche Emanzipationsbewegung
wird nicht einfach verneint, doch habe sie sich in
eine Sackgasse verrannt. Die fundamentale menschliche Heilsfrage
erfordere heute eine noch tiefgründigere soteriologische Antwort, wie
sie etwa Rahner und Metz durch Hinweis auf die innere Hinordnung
des Menschen auf Gott bzw. auf die politisch-soziale Dimension der
Erlösung zu geben suchten. Heribert Bettscheidcr endlich fragt nach
dem rechten eschatologischen Bekenntnis heute und möchte dabei an
die in Auseinandersetzung mit wie in Rezeption von gnostischen und
hellenistischen Vorstellungen entwickelte Lehre anknüpfen. Im Unterschied
zu den evang. Theologen unseres Säkulums möchte er ebenfalls
am Glauben an die Unsterblichkeit der Seele festhalten, weil
auch an diesem Punkt Glaube denkerisch zu verantworten sei, doch er
betont zugleich die seit Thomas begrifflich geklärte unauflösliche
Beziehung von Körper und Seele.

Die Redner aus Zaire widmeten ihre ganze Aufmerksamkeit der
Darstellung der schwarzafrikanischen Traditionen, wobei detaillierte
Auskunft über die Vorstellungen der wichtigen Stämme des Heimatlandes
auch in ihren Nuancen gegeben wird. Einmal mehr tritt eindrucksvoll
hervor, wie sehr afrikanisches Denken vom Gemeinschaftsgedanken
wie von der Hochschätzung des Lebens als des höchsten
Wertes geprägt wird. Die Autoren zeigen präzise auf, wie sich das
auf Individualität, Gottcsvorstellung, Symbolik, Ethik. Bewußtsein
von Schuld und Vergebung und Eschatologie auswirkt. Die Spezifik
afrikanischen Zeitgefühls und die bleibende Unterordnung unter die
Normen der geheimnisvoll präsenten Vorfahren und der sie gegenwärtig
repräsentierenden Häuptlinge wird dem Leser einsichtig ge'
macht. Mehrere Redner verschwiegen nicht die Gefahren dieses Denkens
sowie den Tatbestand heutiger Wandlungen mit krisenhaften