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Ausgabe:

1984

Spalte:

834-835

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Ruster, Thomas

Titel/Untertitel:

Sakramentales Verstehen 1984

Rezensent:

Timm, Hermann

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Theologische Literaturzeitung 109. Jahrgang 1984 Nr. 11

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larbiologie zusammen, daß ... die invariante Reproduktion der Arten
aufgrund teleonomischer Information nach streng kausalen .technischen
' Gesetzmäßigkeiten . . . abläuft. Durch die Entdeckung der
unterschiedlichen Funktion der Nukleinsäuren einerseits, die die
genetische Invarianz verbürgen, und der Proteine, die für die teleono-
misehen Strukturen und Leistungen verantwortlich sind, andererseits,
erweist sich, daß die arist. Vorstellung einer programmierten zielgerichteten
Epigcnesis in ihrem wesentlichen Kern der Realität näherkommt
als manche andere Theorie neueren Datums ..."(411)

In der Logik setzt Flashar die Logik des Aristoteles von der traditionellen
Logik, die sich auf Aristoteles beruft, ab. Durch Umstellung der
Reihenfolge der Schriften des Organon arbeitet er heraus, daß das
ursprüngliche Ziel des Aristoteles zunächst das dialektische (induktive
) Schlußverlähren war. Damit sieht erden Aristoteles der Topik in
der Nachfolge und Weiterentwicklung der platonischen Logik:
.... . abcrauch die theoretische Leistung des Aristoteles im Ganzen ist
eine Weiterentwicklung der platonischen Dialektik" (327). Erst in den
zeitlich nach der Topik zu stellenden beiden Analytiken entwickelt
Aristoteles eine deduktive Logik (und eine Wissenschaftstheorie).

Am meisten interessiert natürlich die Ontologie. Hier behandelt
Flashar hauptsächlich die Probleme der Begriffsbestimmung der
Ersten Philosophie und die Theologie. Letzte wird ausdrücklich als
die Spitze des ganzen Systems bezeichnet. Dadurch daß Gott als das
völlig in sich selbst ruhende, nur sich selbst denkende (gnosis gnoseos)
Wesen, also als völlig immaterielles, rein geistiges Wesen von Flashar
als letzte Aufgipfelung aristotelischen Denkens herausgearbeitet wird,
kommen die idealistischen Züge des Aristoteles sehr stark zur Geltung
(was sich dann auch in der Ethik in der höheren Wertung der dianoe-
bschen Tugenden fortsetzt, wenn sich hierauch Flashar-seiner Betonung
der praktischen Philosophie entsprechend - bemüht, auch die
ethischen Tugenden zu ihrem selbständigen Recht kommen zu lassen
). Dies sowie die gute begriffliche Klärung von Energeia und Dyna-
tnis (im Unterschied zu unseren Begriffen „Tatsächlichkeit" und
..Möglichkeit" gibt es bei Aristoteles keine Dynamis ohne Energeia,
Energeia ist also ontologisch früher), die hier nicht im einzelnen wiedergegeben
werden kann, scheinen dem Rezensenten gut gelungene
Interpretationen Flashars zu sein. Dagegen bleibt zu fragen, ob in
6inem so monumentalen Werk wirklich die ontologischen Zwischen-
stulcn zur Theologie so übergangen werden können. So wird z. B. ein
so wichtiger und vieldiskuticrter Begrilfwic das to ti en einai nur zweimal
kurz und diskussionslos erwähnt.

Das Interesse an den Gedanken des Aristoteles und die heute so lebhafte
Aristotelesdiskussion machen es natürlich den beiden anderen
Kapiteln über die Ältere Akademie und den Peripatos schwer, ein nur
annähernd vergleichbares Interesse auf sich zu ziehen. Das gilt besonders
Für die Darstellung des Peripatos, die Fritz Wehrli schrieb: Eine
solide Arbeit, die kaum wesentlich Neues zu sagen hat, dafür aber
durch große Ausführlichkeit und gute Sachkenntnis befriedigt. Etwas
leichter in dieser Hinsicht hat es Hans Joachim Krämer, der die Ältere
Äkadcmic bearbeitet: Hier ergibt sich die Möglichkeit, die geistigen
Vermittlungsglieder zwischen Piaton und Aristoteles herauszuarbeiten
, was gut zu Flashars Arislotclesdcutung stimmt, die den Stagiriten
die platonischen Probleme weiterentwickeln sieht.

Dieser als erster erschienene dritte Band des neuen „Ueberweg"
dürfte damit der Anfang einer großen, wirklich philosophisch befriedigenden
Philosophiegeschichte sein, wenn natürlich das Thema
-Aristoteles" auch eines der Glanzthemen jeder Philosophiege-
schichte ist. Es bleibt zu hoffen, daß es dem Verlag gelingt, diese vielbändige
Philosophiegeschichte in dieser Form und Qualität - auch in
weniger glänzenden Themata - in einigen Jahren auch wirklich zu
Ende zu führen. Das Buch geht zweifellos weit über die Bedürfnisse
desjenigen Theologiestudenten hinaus, der sich nur aufsein Philoso-
Phicum vorbereiten will. Dagegen dürfte es für jeden, der tiefer in die
Philosophie eindringen will, auch für den Theologen, ein zuverläs-
S|ges Hilfsmittel sein, zu dem ergern greifen wird.

Marburg (Lahn) Günther Keil

Systematische Theologie: Allgemeines

Rüster, Thomas: Sakramentales Verstehen. Ein Beitrag zum theologischen
Wahrheitsverständnis und zugleich ein Gespräch mit
Eugen Biserund Ernst Fuchs. Frankfurt/M.-Bern-New York: Lang
1983. IV, 340 S. 8° = Disputationes Theologicae, 14. Kart,
sfr. 74.-.

Die wissenschaftlich organisierten Bemühungen um den Begriff des
Verstehens nennt man Hermeneutik. Sie bildet seit Schleiermacher
ein Zentrum theologischer Reflexion. Mit ihm beginnt die Reihe der
neuzeitlichen Klassiker theologischer Hermeneutik und endet vorläufig
bei R. Bultmann. Ihnen freilich, den geisteswissenschaftlichen
Literaten, hat der Bibelleser vor Augen gestanden, der Lektor mit dem
historisch fremd gewordenen Gottesbuch in der Hand. Ihre Frage war,
wie man über den Abstand der Zeiten (Antike - Moderne) hinweg
unmittelbar der Wahrheit des Gelesenen teilhaftig werden könne, um
nicht dem paulinischen Diktum zu verfallen, daß „der Buchstabe
tötet, während nur der Geist lebendig macht". Und die Antwort lautete
, daß das buchstäbliche Objekt (Schrift) vergeistigt werden müsse
durch Rückverwandlung in die Lebendigkeit der mündlichen Rede,
um wieder in die Situation des Hörers zu kommen, der sich als einen
ereignishaft vom Wort Gottes Angesprochenen vorfindet. Denn das
sei der sowohl historisch alsauch sachlich authentische Präsentationsmodus
von christlicher Wahrheit.

Anders als bei dieser These vom Primat der Sprache vor der Literatur
sieht das Realisationsgcfällc im Sakramentsvollzug aus, namentlich
bei der Kultfeier des heiligen Abendmahls. Denn dort tritt zur
anfänglichen Verbalität die gleichursprüngliche Realpräsenz des Zugesagten
in Form von elementarer Stofflichkeit hinzu, verbunden mit
dem Ansinnen, daß der Geladene sich über das Gehör hinaus auch
sehend und schmeckend auf die Gottesgegenwart verstehen lerne. Er
soll seine Wahrnehmung medial erweitern in jene Dimension handgreiflicher
Anschaulichkeit („verbum visibile"), von der das textgerechte
Verstehen den Blick abhebt. Ein komplexeres, mehrdimensionales
Gott-, Welt- und Selbstverstehen also.

Darum geht es in dem Buch, das ich vorstellen möchte: eine an der
Katholisch-Theologischen Fakultät in Bonn erarbeitete Dissertation,
deren Titulatur freilich nicht ganz dem entspricht, was sie faktisch
enthält. Denn sie befaßt sich überwiegend mit Ernst Fuchs, dem evangelischen
Neutestamentier, der, wenngleich aus der Kerygmatheolo-
gie herkommend, den erweiternden Ubergang in die Sakramentshermeneutik
vollzogen habe. Dies wird in breiter paraphrasierender
Weise dargelegt. Fuchs interpretiert die Gleichnisrcden und
-handlungcn des „historischen" Jesus als Tat-Worte oder „Sprachereignisse
" der nahekommenden Gottesherrschaft, in denen Geber
und Ciabe, Gehalt und Gestalt, Mitteilung und Vermittlung eine derart
unlösbare Sinneinheit bilden, daß die Stiftung des Abendmahls als
letztendliche Vollgestalt der Offenbarung zu gelten hat. Im Mahl
werde die Selbsthingabe Christi als Gleichnis aller Gleichnisse vollzogen
, so daß die „nachösterlichc" Gemeinde im sakramentalen
Formgesetz ihren geschichtlichen Ursprung sachgemäß vergegenwärtigt
. „Das Sakrament ist für Fuchs der Ort, wo die Gabe des Wortes
ankommt und empfangen werden kann, ... wo der Glaubende sich
bleibend bewußt bleibt, wem ersieh verdankt." (S. 234)

Der neben Fuchs parallel dargestellte römisch-katholische Hermeneutiker
Eugen Biser gewinnt kein rechtes Profil, weil die Unterschiede
minimiert werden zugunsten einer ökumenischen Konvergenz
an diesem Punkt. Uber die traditionelle Etikettierung des Katholizismus
als „Kirche des Sakraments" und des Protestantismus als
„Kirche des Wortes" ist man ja längst hinausgekommen. Schon seit
der liturgischen Bewegung der 20er Jahre hier wie dort, so daß es statt
des Untertitels „. .. zugleich ein Gespräch mit Eugen Biser und Ernst
Fuchs" (welches Gespräch aus Mangel an kritischem Abstand kaum
stattfindet) besser hätte heißen sollen: zugleich ein Gespräch zwischen
der liturgischen Bewegung und der Wort-Gottcs-Theologie. Denn das