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Ausgabe:

1984

Spalte:

831-833

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Ältere Akademie, Aristoteles

Titel/Untertitel:

Peripatos 1984

Rezensent:

Keil, Günther

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Theologische Litcraturzeitung 109. Jahrgang 1984 Nr. 11

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kommen zu lassen". (202) Im Gegensatz zum Typ III vermeidet sie so
dureh die Beschränkung auf die Form religiösen Sprechens und Handelns
eine „sachfremde Vorentscheidung", etwa durch einen philosophischen
Gottesbegriff, der präjudiziert wird. (2021) „Wägt man die
Chancen und Gefahren dieser beiden Typen von Religionsphiloso-
phic gegeneinander ab, dann erscheint die Phänomenologie der Religion
(Typ IV) als die notwendige Synthese einer inhaltsbezogenen und
einer formbezogenen Religionsbetrachtung. Denn der phänomenologische
Grundsatz, wonach Nocsis und Noema sich streng entsprechen
, gestattet es, durch eine Formanalyse des religiösen Aktes (seiner
.Logik*) zugleich die spezifische Weise seines Gegenstandsbezuges
(seines .Sinnes') und die Wesensstruktur seiner Gegenstände (ihr
,Eidos") zu bestimmen." (203) „Zur Grundlegung einer Phänomenologie
, die nicht in der bloßen Aufzählung empirischer Befunde aufgehen
soll, ist eine transzendentale Methode (Typ III) unentbehrlich.
Ebenso unentbehrlich ist diese Methode dann, wenn die Sprachanalyse
über den fruchtlosen Streit zwischen Positivisten und Sprachspieltheoretikern
hinausgelangen soll, von denen die ersten einen . . .
Sinnlosigkeitsverdacht erheben, die anderen aber die Frage nach der
Wahrheit ausblenden und damit auch die Möglichkeit einer Begegnung
zwischen verschiedenartigen Sprachspielen und Lebensformen
nicht mehr diskutieren können." (210)

Die überzeugende Position des Vf., die hier nicht extensiviert, nur
angedeutet werden konnte, wirft manche Fragen auf:

- Wie greift er die Bonhocfferschc Aufgabenstellung auf, weltlich von
Gott zu reden in einer Welt ohne Gott, und welche Konkretionen
schlägt er von seinem Konzept her vor, die den Sinnlosigkeitsverdacht
widerlegen?

- Ist in dem Typ III-V und im Kontext seiner religionsphilosophischen
Konzeption das Proprium christlicher Religion, die vorbehaltlose
Kondeszendenz Gottes in Jesus Christus, noch unterzubringen
oder sprengt es dieses Konzept?

-Und was sich aus der zweiten Frage ergibt: Ist Rcligionsphilosophie
mit Theologie identisch oder Vorfelddiskussion der Theologie? Wie
verhalten sich beide zueinander? Wie Gesetz und Evangelium? Wie
notitia Dei naturalis und notitia Dei rcvelata?

Münster Horst Georg Pöhlmann

Flashar, Hcllmut [Hrsg.]: Die Philosophie der Antike: Ältere Akademie
- Aristoteles - Peripatos. Basel-Stuttgart: Schwabe 1983.
XXII, 645 S„ I Abb.gr. 8'= Grundriß der Geschichte der Philosophie
, begr. von F. Ucberweg, völlig neubearb. Ausgabe. 3. Lw.
sfr 136.-.

Wilhelm Windelbands bekanntes „Lehrbuch der Geschichte der
Philosophie" behandelt Aristoteles auf 18 Seiten, die weit umfangreichere
Philosophiegeschichte von Hans Meyer („Geschichte der
abendländischen Weltanschauung"), die keinesfalls mehr ein Lehrbuch
sein will, stellt Aristoteles auf I 14 Seiten dar, der hier zu besprechende
Band 3 des „Grundrisses der Geschichte der Philosophie,
begründet von Friedrich Ucberweg". braucht für Aristoteles 284 Seiten
. Dieser Seitenzahlcnverglcich mag zeigen, in welche Dimensionen
diese neue Philosophicgcschichte greift, die den allen Ucberweg völlig
neu schreibt und die mit dem Band 3 („Ältere Akademie - Aristoteles

- Peripatos") zu erscheinen begonnen hat. Verlag und Herausgeber
haben sich offensichtlich die Aufgabe gestellt, uns eine Philosophicgcschichte
in die Hand zu geben, die umfangmäßig allen Anforderungen
entspricht, die man nur überhaupt an eine solche stellen kann.

Das gilt aber nicht nur umfangmäßig, sondern auch inhaltlich. Das
zeigt schon der dispositionelle Autbau innerhalb der Besprechung der
einzelnen Philosophen, der zwar je verschieden ist, aber doch ein einheitliches
Grundschema zeigt. Zunächst wird nach den Zeugnissen
(Schriften) und deren Überlieferung gefragt (bei Aristoteles geht dem
noch ein Abschnitt über den Stand der Aristotelesforschung voraus),
dann wird eine umfangreiche Bibliographie erstellt und daraufhin das
Leben des betreffenden Philosophen dargestellt. Darauf folgt eine ausführliche
Werksbeschreibung, das heißt, eine kurze Inhaltsangabe
sämtlicher Werke, die sogar jedes einzelne Kapitel zu berücksichtigen
pflegt. Im Anschluß daran wird in einer „Doxographie" der Hauptinhalt
der Lehre des besprochenen Denkers dargestellt, wobei überall
das Bemühen deutlich wird, auch die neuesten Auslegungen zu berücksichtigen
, um dennoch zu den anstehenden Fragen eine eigene
Stellung zu beziehen. Zum Schluß wird die Nachwirkung des einzelnen
Denkers oder seiner Schule geschildert.

Wie schon in den früheren Auflagen des „Ucberweg" (die freilich
inhaltlich mit diesem neuen Ucberweg nichts mehr zu tun haben), so
wird auch in dieser jede Philosophie bzw. jede Schule von einem
anderen Forscher bearbeitet. So zeichnet in diesem Bande für die
Ältere Akademie Hans Joachim Krämer, Für Aristoteles Hellmul
Flashar und für den Peripatos bis zur römischen Kaiserzeit Fritz
Wchrli verantwortlich.

Was die Werksbeschreibungen anbelangt, so bieten sie eine ausgezeichnete
Möglichkeit für den. der sich schnell über den originalen
Inhalt der Schriften orientieren will. Sie sollten freilich nicht dazu verführen
, daß der Leser sich dadurch des eigenen Quellenstudiums enthoben
glaubt. Im ganzen ist das, was sie bieten, eine saubere Arbeit.

Der philosophiegeschichtlich interessierte Blick fällt wohl in diesem
Band zuerst auf die Aristotelesdarstcllung von Hellmut Flashar,
obwohl sie im Buche erst an zweiter Stelle steht. Sie nimmt nicht nur
die Hälfte des Raumes des gesamten Bandes ein, sondern interessiert
auch deshalb besonders, weil die Aristotelesforschung gegenwärtig in
lebendigem Fluß ist. So steht auch die Darstellung von Flashar ganz
im gegenwärtigen Strom der Abkehr von Jacgers Aristotelcsintcrprc-
tation. Dabei wird Aristoteles wesentlich näher an die Grundposition
Piatons bez. der älteren platonischen Akademie herangerückt, um
dennoch die Probleme differenzierter, individueller, weniger streng
deduktiv zu lösen. Bezeichnend dafür ist folgender Satz, der zwar nur
der aristotelischen Ontologie gilt, aber auch über der ganzen Aristotelesdarstcllung
von Flashar stehen könnte: „Dort" (in der akademischen
Seinslehrc) „ist die Wissenschaft von der Transzendenz zugleich
Grundwissenschaft allen Seins, indem - insbesondere in der
platonischen Ontologie selbst - das einzelne Seiende vom Seinsgrund
streng deduziert wird. Einer derartigen strengen Deduktion tritt bei A.
eine graduelle Abstufung von Seinsgrund und Seiendem und damit
ein lockeres Verhältnis von Theologie und reiner Scinswissenschalt
gegenüber" (377).

Flashar behandelt Aristoleles in folgenden Abschnitten, deren Reihenfolge
, die die praktische Philosophie gleich nach der Logik an den
zweiten Platz stellt, hinsichtlich der hier vorliegenden Aristotelesinterpretation
nicht zufällig ist: I. Logik und Sprache, 2. Praktische
Philosophie, 3. Dichtung-Prosa-Rcdc, 4. Erste Philosophie-Theo-
logie-Ontologie-ldeenkritik, 5. Naturphilosophie und Naturwissenschaft
. 6. Psychologie. 7. Weltbild und Wissenschaftsverständnis.

Wir können hier im einzelnen nur wenige Gesichtspunkte, die uns
besonders erwähnungswert erscheinen, herausgreifen.

Flashar bemüht sich um eine verständnisvolle Interpretation des
Aristoteles. Das zeigt sich besonders in der Kosmologie, wo ein verständnisvolles
Nachzeichnen aristotelischer Gedanken auf Grund der
modernen naturwissenschaftlichen Entwicklung sachlich geradezu
unmöglich scheint. „Die Darstellung der Kosmologie des A. ist
durch den Umstand erschwert, daß das Weltbild des A. in seinen
wesentlichen Teilen bekanntlich .falsch' ist, ja, daß die richtige
Erkenntnis sich im Widerspruch zu A. Bahn gebrochen hat. Eine
historisch gerechte Charakterisierung der Leistung des A. mag daher
ihren Ausgangspunkt in der Frage nehmen, gegen welche Vorstellungen
sich A. absetzt" (395). Voll entfalten kann sich diese verständnisvolle
Betrachtungsweise natürlich besonders in den nichtnaturwissenschaftlichen
Partien sowie bei denjenigen Gedankengängen, in denen
die moderne Naturwissenschaft dem aristotelischen Denken Bahn
gebrochen zu haben scheint, so etwa in der Biologie. Als Beispiel diene
hier eine Stelle, in der Flashar Kullmann zitiert: „A.s Anschauungen
stimmen auch mit der entscheidenden These der modernen Moleku-