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Ausgabe:

1984

Spalte:

829-831

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Schaeffler, Richard

Titel/Untertitel:

Religionsphilosophie 1984

Rezensent:

Pöhlmann, Horst Georg

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Theologische Litcraturzeilung 109. Jahrgang 1984 Nr. 11

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sprich: Interpretation - zum Aggiornamento in die Welt ziehen
möchte, sich aber gleichzeitig genötigt sieht, das Gehäuse vorgegebener
Kirchenlehre nicht zu verlassen, befindet sich in einem Grundwiderspruch
, lösbar nur auf dem einen Wege, konsequent und beharrlich
in der Richtung weiterzugehen, die das II. Vatikanische Konzil
eingeschlagen hat. Das bedeutet: Dieses Konzil darf nicht als Endpunkt
einer Entwicklung verstanden werden, wie es allzu oft heute
schon geschieht, sondern muß als Impulsgeber angenommen werden
fiir einen Weg noch sehr viel grundsätzlicherer Neubesinnung, wobei
dann auch jenes Gehäuse überlieferter Lehren kein Tabu mehr darstellen
darf.

Schöneiche bei Berlin Hubert Kirchner

Philosophie, Religionsphilosophie

Schaeffler, Richard: Religionsphilosophie. Freiburg-Münchcn: Alber
1983. 278 S. 8" = Handbueh Philosophie, geb. DM 59,-.

Dieses Buch - das muß vorweg gesagt werden - ist ein Markstein in
der Geschichte der Rcligionsphilosophie, nicht zuletzt weil es erstmals
in umfassender Weise eine typologisierende Zusammenfassung
der gesamten Diskussion dieser Disziplin wagt, vor allem aber, weil es
im abschließenden systematischen Ausblick (S. 197-250) eine reli-
gionsphilosophischc Metatheoric entwickelt, die vollkommen neue
Wege ins Unbefahrene gehl und an Stringenz und Originalität ihresgleichen
sucht.

Das Werk, das im achtzchnbändigen Handbuch Philosophie (hrsg.
v°n E. Ströker und W. Wicland) erscheint, will weder selbst eine Reli-
gionsphilosophie sein, noch alle Religionsphilosophicn, die im Laufe
der Geschichte konzipiert wurden, beschreiben. Es stellt sich nur die
Aufgabe, „einige Fragestellungen" der Rcligionsphilosophie „exemplarisch
zu verdeutlichen", die die philosophische Deutung der Religion
geleitet haben, sowie „Lösungsansätze" anzuführen, die diese
Frag cn zu klären versuchen und „Methoden" zu bestimmen, um von
den Lösungsansätzen zu Ergebnissen zu kommen. Vor allem will das
Buch aber eine Typologie der vielfältigen Möglichkeiten, Religions-
Philosophie zu betreiben, erstellen. (150 Trotz der Fülle des erfaßten
Materials und der Sclbstbeschränkung aufs Exemplarische muß es
bedauert werden, daß so wichtige religionsphilosophische Konzeptionen
wie die von H. U. von Balthasar, F. Ebner, R. Guardini,
A. Heschcl. W. Kaufmann, H. de Lubac. M. Machovcc, U. Mann,
A. Nygren. E. Przywara, W. Wcischedcl u. a. in dem Buch nicht
berücksichtigt werden. Sie hätten die Typologie des Verfassers bestä-
''gt. aber wohl auch gesprengt.

Vf. findet fünf Haupttypen und Grundmuster rcligionsphiloso-
Phischen Denkens in Geschichte und Gegenwart: I. „Der älteste
Typus: Rcligionsphilosophie als Kritik eines vorrationalen Bewußtseins
", II. ..Ein weit verbreiteter Typus: Religionsphilosophie als Ver-
wandlung von Religion in Philosophie", III. „Der herrschende Typus
mehrerer Epochen: Religionsphilosophie auf der Basis philosophischer
Theologie", IV. „Ein jüngerer Typus der Rcligionsphilosophie
: Die Phänomenologie der Religion", V. „Die linguistische Wendung
und die Rcligionsphilosophie als Analyse religiöser Sprache".

Nach Typ I ist die Religion durch Affekte (Hoffnung, Furcht) entbanden
und ihr Ende erst zu erwarten, wenn die Ursachen für die Entstehung
dieser Affekte beseitigt sind. (S'talius, Lukrez. Marx, Freud
u- a.) Schade, daß Vf. hier nicht auf die religionserzeugenden Affekte
Feuerbachs eingeht, die das Repertoire erweitert hätten und zum besseren
Verständnis des Typs beigetragen hätten. Im Typus II werden
u, a. Plato, Plotin. der Idealismus und Bloch behandelt. Typus III enthaltet
die Systeme u. a. von Descartes, Marechal, Bloch, Rahner, und
v°i" allem von Kant. In diesem Abschnitt wird u. a. das.Mißverständ-
bis ausgeräumt, Kant habe Religion zu einer Sache der im Unterbewußtsein
wirkenden, rational nicht kontrollierbaren Gefühle gemacht
. Vf. weist demgegenüber nach, daß Kant nicht rationale

Begründungen der Religion verworfen habe, sondern nur deren „bisher
geübtes Verfahren". (68) „Gemeinsam ist den hier zusammenfassend
dargestellten Formen der Religionsphilosophie die Überzeugung
, es gebe philosophische Argumente, die ein speziell philosophisches
Sprechen von Gott möglich machen ..." (98) Sie gehen alle
davon aus, daß das einschränkungslos „Seiende" und der „Möglichkeitsgrund
für die Öffnung des Horizontes" der Welt oder die „absolute
Zukunft" realidentisch ist mit dem, was die Religion „Gott" nennt. (98)
Dieses philosophische Wissen vom Sachbezug aller religiösen Rede von
Gott enthält aber nach Meinung des Vf. zugleich auch einen „Maßstab
", an dem diese religiöse Rede gemessen werden kann. „Wo Religionen
so von Gott sprechen, daß entweder bestritten wird oder doch nicht
deutlich zum Ausdruck kommt, daß er das absolute Sein, der Ermög-
lichungsgrund transzendentaler Subjektivität, die absolute Zukunft ist,
unterliegen die Religionen philosophischer Kritik." (99)

Typ IV wird repräsentiert durch R. Otto, M. Eliade und G. Lancz-
kowski u. a. Der religionsphänomenologische Typ IV unterscheidet
sich vom Typ III einer Religionsphilosophie auf der Basis einer philosophischen
Theologie dadurch, daß „der Gottesbegriff' „nicht am
Anfang, sondern, falls er überhaupt eine Rolle spielt, erst am Ende des
Argumentationsganges steht". (105) Charakteristisch für diesen Typ
ist die „Dialektik der Hierophanie", das Erscheinen des Numinosen
in der Weise des Sichentziehens, der Abbruch der Noesis und das sich
in sich Zurückziehen des Noema. Diese Dialektik der Hierophanie
wird nach Meinung des Vf. an der „Dialektik des religiösen Sprechaktes
und seines Gegenstandes" erfahrbar. Denn dieser Sprechakt ist
wesentlich „ein Sprechen an den Grenzen der Sprache" und die Gegebenheitsart
seines Gegenstandes ist wesentlich „ein Anrufbarwcr-
den an den Grenzen der Namen losigkeit". (1411) Der Lutheraner vermißt
in diesem Abschnitt die Thematisicrung des reformatorisch-
biblischen discrimen legis et cvangelii.

Ebenso meisterhaft wie Typ III und IV wird der besonders aufschlußreiche
Typ V entfaltet, die Religionsphilosophie als Analyse
der religiösen Sprache. Im Zuge der linguistischen Wende wurde auch
die Religionsphilosophie aus einer Erörterung der Frage, was Religion
sei, zur Analyse der spezifischen Sprache von Religion (J. M. Crom-
bie, G. Ryle, A. Flew, J. L. Austin, U. Dalferth, H. Palmer. L. Wittgenstein
, H. Cohn, F. Rosenzweig. M. Buber, G. Wainwight. G. Ebe-
ling u. a.). Besonders interessant sind hier die Ausführungen des Vf.
über den „Sinnlosigkeitsvcrdachf' gegen die Rede von Gott (S. 146 ff)
von seiten der sprachanalytischen Rcligionsphilosophie aus der Tradition
positivistischen Denkens einerseits sowie über die „Autonomie
des religiösen Sprachspicls" und des „nichtpropositionellcn Charakters
" religiöser Sprache, (15011) andererseits - wonach sie nicht mitteilt
, was außerhalb ihrer schon ist, sondern bewirkt, was ohne sie
nicht zustande käme, wonach sie nicht das Gesagte feststellt, sondern
herstellt („Sprachhandlungen").

Vf. zieht folgendes kritisches Resümee, wobei seine Position aus
einer Kombination der drei Typen III, IV, V (Philosophische Theologie
, Phänomenologie der Religion, Analytik der religiösen Sprache)
eruiert wird. „Jeder dieser Ansätze eröffnet spezifische Möglichkeiten,
stößt aber auch an je spezifische Grenzen. Darum kann keiner von
ihnen die beiden anderen ersetzen". (197) Religionsphilosophie vom
Typ I und II birgt trotz positiver Ansätze die Gefahr, Religion stets
nur als das „Andere der Philosophie" und als ihre Dunkel- und Kontrastfolie
, ihre Vorgeschichte oder ihr Erbgut zu beschreiben. (1990
Durch diese Blickschranken und durch ein themenfremdes Interesse
scheiden sie als Ansatzpunkt für die Religionsphilosophie aus. Die
drei anderen Typen versuchen, dieser Gefahr zu entgehen. Während
der Typ III der Religionsphilosophie auf der Basis einer philosophischen
Theologie am Inhalt der Religion orientiert ist, scheint
freilich beim nur an der Form interessierten sprachanalytischen
TypV das Inhaltliche der Religion und ihr Wahrheitsanspruch ausgeklammert
zu werden. (201) Dieser Gefahr steht die „Chance" der
linguistischen Religionsphilosophie gegenüber, „die Religion ohne
philosophische Überformung in ihrer religiösen Eigenart zu Wort