Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1984

Spalte:

827-829

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

May, Georg

Titel/Untertitel:

Der Glaube in der nachkonziliaren Kirche 1984

Rezensent:

Kirchner, Hubert

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

827

Theologische Lileraturzeitung 109. Jahrgang 1984 Nr. I J

828

Vlay, Georg: Der Glaube in der nachkonziliaren Kirche. 270 S. gr. 8' =
UNA VOCE-KORRESPONDENZ 13. Jg. (1983), Heft 1-2. Kart.
DM 10.-.

Rcz. muß in diesem Falle mit dem ausdrücklichen Geständnis
seiner Verlegenheit einsetzen. Denn die Aufgabe, diese Publikation zu
besprechen, stellt ihm ein Rätsel, das er nicht zu lösen vermag: Was
mag wohl UNA VOCE, den Herausgeber und damit ja die Bewegung
dieses Namens dazu veranlaßt haben, diese besondere Nummer ihrer
Zeitschrift mit dieser Arbeit dieses Autors ausgerechnet der evangelisch
, der „protestantisch" verantworteten Theologischen Literaturzeitung
zur Rezension einzureichen? Verspricht man sich etwa für
seine spezifischen Positionen ausgerechnet hier Verständnis oder gar
Unterstützung? Doch wohl kaum! Denn sowohl der Autor wie die
Zeitschrift und die hinter ihr stehende Bewegung stehen ja für ein Programm
. Und in diesem Programm kommt die evangelische Kirche,
die evangelische Theologie, kommen Luther und die Reformation
eigentlich nicht vor, oder wenn, dann doch nur als Negativfolie, als
dunkler Hintergrund, von dem man sich absetzt als von der Wurzel
allen Übels. Der Autor, wird nicht müde, gerade das immer wieder neu
herauszustellen, daß der „protestantischen Theologie ... so gut wie
alle Einzelheiten der fälschen Lehre" entstammen (S. 242, hierauf die
Eschatologie bezogen, doch vgl. S. 23: „Ein erheblicher Teil der protestantischen
Ansichten muß als Irrtum im Glauben bezeichnet
werden", oder S. 257: Die „Rezeption des Protestantismus" als die
große Verfehlung der „Progressistcn" u. a. m.). Was also soll es? Das
Rätsel scheint ebenso schwer zu lösen wie die Aufgabe, dem vorliegenden
Buche - aus eben denselben Gründen - eine hinreichende
Würdigung zuteil werden zu lassen. Doch der Versuch sei immerhin
gemacht.

Die Publikation - formell also kein Buch, wenn auch in hinreichendem
Umläng (und eine Buchausgabc sollte auch wenig später folgen),
sondern die Doppelnummer einer Zeitschrift - ist die wesentlich
erweiterte Fassung eines Vortrages, den der Autor auf einer UNA
VOCE-Vcrsammlung 1982 gehalten hat. Diese internationale Bewegung
, gegründet nach dem IL Vatikanischen Konzil, hat es sich zur
Aufgabe gemacht, die Tradition des vorkonziliarcn Katholizismus zu
bewahren und gegen alle „Protestantisierungen" und „progressisti-
schen" Neuerungen in Theologie. Liturgie, Kirchenrecht, Katechese
und auch Kirchenlcitung zu verteidigen. Die Nähe zu dem seit langem
a divinis suspendierten Altcrzbischof Lcfebvre (dem „alten, guten und
frommen Bischof, der es nicht mit ansehen wollte, wie der Glaube und
der Gottesdienst der Kirche zerstört wurden . . ." S. 630 ist bewußt.
Und auch die Position des Autors, Kirchenrechtler an der Universität
Mainz, ist durch viele einschlägige Veröffentlichungen bekannt.
Dieses sollte jedoch gerade einen evangelischen Leser nicht dazu verleiten
, mit einem Achselzucken darüber hinwegzugehen (wozu sich
vielleicht ein katholischer Leser genötigt fühlen mag und u. U. auch so
manche katholische theologische Fachzeilschrift, und hier könnte
sich womöglich ein Lösungsweg für das anlängliche Rätsel ergeben!).
Denn eingehüllt in einen wahren Rhctorikschwall und bestückt mit
Legionen polemischer Spitzen vollzieht der Autor gleichsam eine
Generalabrechnung mit den gegenwärtigen Tendenzen in der katholischen
Kirche, so wie er sie sieht.

In 26 Kapiteln (u. a.: Der Glaube - Die Wahrheit und der Irrtum -
Der Angriff gegen die Dogmen - Die Eliminicrung der Wirklichkeit
im Umgang mit der Bibel - Weltanschauung und Ideologie - Die Zerstörung
der Geschichtlichkeit der Kindheitsgeschichten - Die Zerstörung
des Glaubens an die Wunder - Alarm um Jesu Auferstehung -
Die Konzepte des „nachösterlichen Jesus" - Der Angriff gegen die
Kirche - Das christliche Sittengesetz und sein Schicksal in der Nachkonzilszeit
) wird jeweils die authentische Lehre der Kirche dargestellt
und dann aufgewiesen, auf welche Weise diese von den „Progrcs-
sisten" zerstört, eliminiert, protestantisiert und damit die Kirche
selber an den Rand des Abgrundes gedrängt wird.

Das geschieht durch den ..verhccrcndc(n) Ökumenismus" (S. 15). in

dem sich „die Wölfe . . . anscheinend allesamt in Lämmer verwandelt
" haben, mit seinem „Anbicdcrungs- und Nachlauf-Katholizismus
" (S. 20) und gemeinsamen Erklärungen katholischer Bischöfe
und „protestantischer Religionsführer", die „eine Gefahr für den
katholischen Glauben und eine Provokation für unverbildetes katholisches
Empfinden" (S. 23) darstellt. - Das geschieht durch einzelne
Theologen von Joseph Blank über Waller Kasper. Karl Rahner („die
verhängnisvollste Erscheinung der theologischen Szene seit dem Konzil
", „Er ist der Großvater der Verwirrung". S. 257) bis zu Anton
Vögtle, von Edward Schillebeeckx, der „zum Protestantismus abgefallen
" ist (S. 37) und erst recht von Hans Küngganz zu schweigen. - Das
geschieht durch Bücher, zumal Katechismen, den Holländischen
Katechismus, das Neue Gluubensbuch. aber auch durch das Gotteslob
. - Das geschieht - natürlich - durch die „sogenannte Liturgiereform
", die „Neuliturgie" und überhaupt durch „mangelhafte Texte
des Zweiten Vatikanischen Konzils" (S. 240). - Das geschieht durch
Vertreter des Lehramtes der Kirche, durch Bischöfe, z. B. den „besonders
.fortschrittlichen' Erzbischof von München und Freising, Julius
Kardinal Döpfner" (S. 204f). Und selbst Papst Johannes Paul IL
kommt nicht ohne ironischen Tadel davon (S. 190).

Angesichts dieser wirklich umfassenden Zensierung fragt man sich:
Was vermag eigentlich noch zu bestehen? Doch der Autor kann
durchaus auf Glaubens- und Kampfgenossen verweisen; Paul Hacker
(den „lauteren Konvertiten", S. 236). Leo SchelTczyk. Wilhelm
Schamoni („der erfahrene Seelsorger und erleuchtete Theologe".
S. 238) u. a. In Zeitschriften wie „Theologisches" haben sie ihre
Bastion lür die Wahrheit aufgebaut. Das Missale Pius'V. ist ihr
Grund. Daß der Autor ausgerechnet den Antimodernistcncid Pius' X.
von 1910 als Zusammenfassung der Lehre von der Stiftung der Kirche
heranzieht, ist sicher auch nicht von ungefähr. Und nicht zuletzt gilt
die Losung: „Bonifatius und Canisius stehen auf unserer Seite."
(S. 264)

Überschaut man das Ganze, so wird ein Mehrfaches hinlänglich
deutlich:

- wie hart und offenbar unversöhnlich die Fronten quer durch den
gegenwärtigen Katholizismus verlaufen, die Front derer, die den
Weg des II. Vatikanischen Konzils fortzusetzen gedenken, und die
der anderen, die mit allen Mitteln die Kirche hinter das Konzil
zurückführen wollen:

- daß es nicht um Einzelpunkte geht, sondern um Grundentwürfe,
die man entweder mitvollzieht, oder denen gegenüber man sich erweigert
, und daß es deshalb kaum denkbar ist, einen Mittelkurs ZU
steuern;

- wie schwach im Grunde die Brücke ist, die durch den Aulbruch im
II. Vatikanischen Konzil und seither hinüber zu den anderen Kirchen
und Konfessionen geschlagen worden ist.

Denn gerade dieses läßt sich ja eben nicht von der Hand weisen: Der
Autor und seine Gesinnungsfreunde haben in vieler Hinsicht den formalen
Buchstaben der katholischen Kirchenlehre für sich. Und mag
man ihnen darob auch in ihrer eigenen Kirche Traditionalismus und
Fundamentalismus vorwerfen, und das sicher in vielem zu Recht, SO
sollte doch nicht übersehen werden, daß sie gerade darin ein besonderes
Kennzeichen römisch-katholischer Theologie und Kirchlichkeit
bewahren, und auch nicht das andere, daß eine Rückkehr zu
diesen Traditionen und Fundamenten - zumindest partiell - keineswegs
im Bereich des Unmöglichen liegt. Freilich gibt der Autor selber
zu: „Ich erwarte nicht, daß Papst und Bischöfe in absehbarer Zeit die
zersetzenden Theologen wirksam in die Schranken verweisen, die
Wahrheit überall siegreich wiederherstellen und die Ordnung in der
Kirche tatkräftig aufrichten werden. Schon gar nicht rechne ich mit
der Abschaffung der unseligen sogenannten Reformen." (S. 265)
tiewisse Tendenzen jedoch und gerade beim allerhöchsten Lehramt
sollten aufhorchen lassen. Der Boden der modernen katholischen
Theologie, in deren Programm die Grundsätze von Dogmenhermeneutik
und Hierarchie der Wahrheiten gleichsam Eckpositionen einnehmen
, ist so sicher nicht. Wer unter der Losung von Hermeneutik -