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Ausgabe:

1984

Spalte:

820-822

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Prigent, Pierre

Titel/Untertitel:

L' apocalypse de Saint Jean 1984

Rezensent:

Vanni, Ugo

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819

Theologische Literaturzeitung 109. Jahrgang 1984 Nr. 11

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„Die experimentelle Hypothese" (S. 151-163) bringt nur noch eine
Anwendung der bisher erörterten Prinzipien.

Jewett stellt in einem Schaubild (Anhang) ..ein experimentelles System mit
Spannen von Zeitangaben und mit Zeiträumen" zusammen (S. 151). In der Tat
ergibt sich hier ein bemerkenswerter Befund an weitgehender Übereinstimmung
. Nur- hier handelt es sich nicht um objektive Tatsachen, sondern um die
Endergebnisse einer teilweise höchst subjektiven Deutung. Während Knox
seine Chronologie wirklich auf der Grundlage der Primärquclle entwirft (und
Lüdemann ihm darin folgt), kommt Jewett zu seiner Spätdatierung des Apostelkonzils
wegen des vermeintlichen Zeitdrucks zwischen der Bekehrung und dem
Eintreffen des Paulus in Korinlh. das wegen der Gallio-Notiz auf Anfang 50
datiert wird (obwohl Herbst 49 gegen Ende der Reisezeit wahrscheinlicher
wäre!) und darum neben der vermeintlich 3—4jährigen Reise bis dorthin keine
Zeit läßt, auch noch das 17 Jahre nach der Bekehrung zu datierende Konzil vor
diesem Eintreffen in Korinth anzusetzen. Folgerichtig muß das Konzil nach der
für Herbst 34 angenommenen Bekehrung im Oktober 51 stattgefunden haben.
Dazu muß ein erneutes Zusammentreffen mit Barnabas (und Titus) postuliert
werden, die Paulus nach Jerusalem begleiteten, nachdem die Gemeinde in
Antiochien gerade zu diesem Zeitpunkt von Beschneidungslänatikern heimgesucht
worden war Apg 15,1-2 (S. 154). Ungeklärt bleibt hier, warum Paulus
nach der mit Barnabas durchgeführten ersten Missionsreise allein nach Griechenland
zog. was viel eher verständlich wird, wenn der Zwischenfall in Antiochien
vorher den Anlaß dafür gegeben hatte. Außerdem ist merkwürdig, daß
Paulus nach seiner langen Abwesenheit von Antiochien nach nur einwöchigem
(!) Aufenthalt in Antiochien sofort mit Barnabas (und Titus) zum Konzil
delegiert worden sein soll (ebd.). Da Jewett sonst so gern mit Plausibilität argumentiert
, lallt es besonders auf. daß er hier nur chronologische Überlegungen
anstellt. Dabei wird der Zeitpunkt des Konzils ganz wesentlich durch die Flucht
vor Aretas 2Kor I 1.32F mitbestimmt, die wegen der angeblich notwendigen
Kontrolle des Nabatäers über Damaskus nicht vor August 37 stattgefunden
haben kann. So wird die in sich unwahrscheinliche Hypothese noch zusätzlich
belastet durch die Hypothese über die Umstände der frühen Flucht vor Aretas. -
Auch die Berechnung der Spätzeit ist deutlich von Hypothesen belastet, wenn
mit dem Statthalterwechsel von Apg 24,27 am I. Juli 59 gerechnet wird, was
den Ausschlag gibt, das astronomisch mögliche Abreisedatum aus Philippi
Apg 20.6IFam I 5. 4. 54 zu verwerfen und den 15. 4. 57 als gegeben anzunehmen
(S. 158). Vor allem vermag ich die Übereinstimmung mit der vagen Berechnung
des Todesdatums im Jahre 62 nicht als einen endgültigen Beweis für
die Stimmigkeit der vorgelegten Chronologie zu würdigen (S. 160). Jewett muß
sich dazu nämlich mit Wieseler und Plooij auf die nur im westlichen Text von
Apg 28,16 bezeugte Notiz beziehen, wonach Paulus in Rom nur einem Präfck-
ten übergeben wurde, und das sei nur bis Januar 62 möglich gewesen, da danach
zwei Männer dieses Amt innehatten; daraus folge der Sommer 61 als spätest-
möglicher Zeitpunkt für die Ankunft in Rom (S. 81). Diese Notiz wird dann mit
der Wiedereinführung des crimen laesae majestatis durch Nero im Jahre 62
kombiniert und aus der Anspielung der von Lukas formulierten (!) Verteidigungsrede
Apg 25.8 auf dieses Delikt die Vermutung gefolgert, daß Paulus tatsächlich
aul'Grund einersolchen Anklage verurteilt wurde (S. 86). denn ..vor 62
n. Chr. wäre dafür die Todesstrafe vermutlich nicht verhängt worden" (ebd.).
Auch hier wird deutlich, wie sehr die Bestimmung von Einzelheiten auf Vermutungen
beruht. Ihre Korrelation vermag dann aber nicht mit einem Mal ein solches
Höchstmaß an Objektivität zu erzeugen, wie Jewett annimmt. Allein auf
solche Berechnungen aber baut Jewett seine Rekonstruktion auf. Was fehlt, ist
ein detailliertes Arbeiten an den Primärtexten. Dadurch wird aber meiner Meinung
nach z. B. die Annahme ausgeschlossen, daß es sich bei der Phil-Gclän-
genschaft nur wegen der Differenz der Reisepläne zwischen Phil 2,23 und
Phlm 22 um eine andere als die des Phlm handele, vor allem aber dürfte die für
die zeitliche Aufteilung der Kor-Korrespondenz konstitutive Annahme einer
zweiten ephesinischen Gefangenschaft nach dem Tränenbriefsich bei genauer
Analyse des Versöhnungsbriefes als unhaltbar erweisen.

Jewett schreibt abschließend: „Wenige der hier benutzten Zeitangaben
und Zeiträume können mit einem hohen Grad an Sicherheit
nachgeprüft werden, wenn man sie für sich allein nimmt. Der Anspruch
dieser Hypothese des chronologischen Ineinandergreifens ist
also notwendigerweise bescheiden, nämlich, daß alle nachweisbaren
Angaben untergebracht sind. Die entscheidende Überprüfung durch
die Zeugnisse hat die Hypothese nicht widerlegt" (S. 163). An dem
letzten Satz möchte ich aus den genannten Gründen erhebliche Zweifel
anmelden.

Natürlich weiß auch ich nicht genau, wie sich das Leben des Paulus
tatsächlich abgespielt hat. Hier steht Hypothese gegen Hypothese,

und vielleicht hat Jewett am Ende doch Recht. Mirging es nur darum,
die methodischen Bedenken aufzuzeigen, die sich gegen Jewctt's
Erkenntnisweg erheben. Ich kann mir gut vorstellen, daß Paulus angesichts
unserer Bemühungen und Argumente nur verwundert den Kopf
schüttelt. Ich weiß mich jedoch mit meinem Freund Jewett darin
einig, daß die Bemühung um ein kontrolliertes Erkennen der paulini-
schen Chronologie eine für unser Verstehen unabdingbare Voraussetzung
ist, die wir darum mit dem nötigen Ernst verfolgen sollten, daß
dieses Geschäft aber zugleich dem Verstehen des Wesentlichen als
bloßes Mittel zum Zweck funktional unterzuordnen ist.

MünsJer Alfred Suhl

Prigent, Pierre: L'apocalypse de Saint Jean. Lausanne: Dclachaux et
Niestie 1981. 385 S. gr. 8' = Commentaire du Nouveau Testament,
XIV.

Die große Zahl der in den letzten Jahren erschienenen Studien zur
Apokalypse und ihre hervorragende Qualität hat die Notwendigkeit
einer umfassenden Synthese deutlich werden lassen, die zusammenfassend
und bewertend ihre Ergebnisse auf das Buch der Apokalypse
anwendet. Wir sind P. Prigent zu Dank verpflichtet, ein solches Werk
in über zwanzigjähriger Arbeit in Angriff genommen und zu einem
guten Ende geführt zu haben. Der vorliegende Kommentar stellt eine
Krönung zahlreicher anderer Monographien des Autors zur Apokalypse
und zurGeschichte des Frühchristentums dar.

Der Inhalt des Buches enttäuscht die Erwartungen nicht, die es im
Leser weckt. Alle Beiträge von Interesse - von Kommentaren bis zu
Artikeln - übereilten Zeitraum, der sich von der Palristik his in unsere
Tage erstreckt, findet man dort aufgeführt und unabhängig von ihrer
Ausrichtung sachlich bewertet.

Ein so weit gesteckter bibliographischer Horizont mußte jedoch
gewisse Schwierigkeiten mit sich bringen: So stellt er z. B. den Autor
vor die Wahl, entweder (wie etwa Charles Brütsch, La Clane de
L'Apocalypse. Geneve 1965 es tut) die verschiedenen Meinungen
zu sammeln und umfassend zu dokumentieren, was das Risiko beinhaltet
, sich in der Vielfalt des Details zu verlieren oder eine Methode
der Interpretation theoretisch zu erarbeiten, was wiederum die umgekehrte
, jedoch nicht weniger reale Gefahr in sich birgt, dem Text der
Apokalypse mit einem Vorverständnis gegenüberzutreten. Prigent
hat diese Klippe auf originelle Weise umgangen: Nach einem „Vorwort
" (p. 5) und einer kurzen bibliographischen Auswahl (p. 7)
beginnt er sofort mit dem Kommentar des Textes (pp. 9-363). Die
üblichen einleitenden Fragen, die meist am Anfang eines Kommentars
behandelt werden, legt Prigent - gleichsam als Zielpunkt - in den
Schlußteil (pp. 364-383).

Er präsentiert den Text der Apokalypse nach einem detaillierten
Plan, der als solcher erst am Schluß erklärt und begründet wird
(pp. 380-383). Dadurch haben wir den Text schon in Perikopen
unterteilt und dabei jede Pcrikope bereits mit einer eigenen Überschrift
versehen (z.B.: Vorwort 1.1-3; Anschrift 1,4-8; Eingangsvision
1,9-20; usw.).

Jede Pcrikope wird zunächst einmal wörtlich übersetzt und sodann Vers um
Vers, Phrase für Phrase und, wo nötig, auch Wort für Wort analysiert. Am
Schluß wird ihr theologischer Inhalt synthetisch zusammengefaßt. So bietet der
Autor dem Leser Abschnitt für Abschnitt eine Übersicht an. die in der notwendigen
Begrenztheit eines Kommentars kaum vollständiger hätte sein können.

Wo immer eine Auswahl zu treffen ist. tut Prigent dies mit größter Rücksicht
auf den Leser. Man hat nie den Eindruck, als wolle er jemandem seine Meinung
aufdrängen oder die Entwicklung verbergen, die er selbst im Laufe der vielen
Jahre Arbeit am Kommcntardurchgcmacht hat. Sein lebhafter und flüssiger Stil
wirkt auf den Leser unmittelbar und attraktiv. Er läßt in ihm den Eindruck entstehen
, als entdecke er die Apokalypse gemeinsam mit dem Autor wieder.

Die generellen, am Schluß des Buches behandelten Fragen spiegeln etwa folgendes
Gesamtbild wieder: Prigent teilt die Auffassung einer linearen literarischen
Struktur, die den Ablaufder Heilsgeschichtc zeigt. Dies jedoch nicht in
abstrakter Weise, sondern in ihrem ununterbrochenen Zusammenhang mit der