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Ausgabe:

1984

Spalte:

787-796

Autor/Hrsg.:

Stein, Albert

Titel/Untertitel:

Der neue Codex des kanonischen Rechtes Papst Johannes Paul II. und das einführende römisch-katholische Schrifttum 1984

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Theologische Literaturzeitung 109. Jahrgang 1984 Nr. I I

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Der neue Codex des kanonischen Rechtes Papst Johannes Paul II.
und das einführende römisch-katholische Schrifttum

Von Albert Stein, Karlsruhe

I.

An Pfingsten 1917 hatte Benedikt XV. den bis dahin höchst
unübersichtlich in der Rechtssammlung des Corpus Iuris Canonici
und in späteren Quellen gesammelten Rechlsstoff des kanonischen
Rechtes in einer moderner L.egistik entsprechenden Form als Codex
Iuris Canonici promulgiert. Nach noch keinem Halbjahrhundert
gesetzlicher Cieltung machte am 25. Januar 1959 Johannes XXIII.
den Entschluß bekannt, dieses kirchliche Rechtsbuch zu reformieren.
Am gleichen Tage des Jahres 1985 beendete Johannes Paul II. einen
Zeitraum langer Kommissionsvorbereitungen, widersprüchlicher
Vermutungen und Ungewißheiten mit der Unterschrift unter einen
..Codex Iuris Canonici recognitus", also ein revidiertes kirchliches
Gesetzbuch. Am ersten Adventssonntag 1985 trat es bereits für den
Gesamtbereich der lateinischen Kirche in Kraft; für ein entsprechendes
Rechtsbuch der mit Rom unierten orthodoxen Kirchen sind die
Vorarbeiten noch im Gange; und das Erscheinen oder Unterbleiben
einer die ganze römisch-katholische Welt gleichermaßen betreffenden
Lex Fundamentalis als kirchliches Grundgesetz ist noch ungewiß
und derzeit eher zweifelhaft.

Die erste Buchausgabe des neuen Rechtsbuches erschien alsbald als
Codex Iuris Canonici auctoritate loannis Pauli PP.ll. promulgatiis
broschiert und gebunden 1983 in der Libreria Edilrice Vaticana 1983.
Vor ihrer Benutzung sollte inzwischen aber ein sorgfältiger Vergleich
mit den Corrigenda erfolgen, die in dem amtlichen Gesetzblatt der
Kurie, den Acta Apostolicae Sedis - Commentarium Officiale,
Vol. LXXV. Pars II, Appendix, vom 22. September 1983, S. 321-324
dargeboten werden. Die für ein modernes Gesetzgebungswerk ungewöhnlich
hohe Zahl von Textberichtigungen umfassen nicht etwa nur
offenbare Druckversehen (etwa can. 79 a. E.: can. 46 statt 81.
can. 155: negligentia statt neglegentia. can. 127 §2 Nr. 2: falsches
Komma und ähnlich öfter), sondern auch Berichtigungen von grammatischen
Versehen (can. 174 §3: pro non appositae statt appositis
und ähnlich öfter), Veränderungen der Ausdrucksweise (etwa
can. 289 § 2: statt eadem leges et conventioncs nun; leges et conven-
tiones, und ähnlich öfter) sowie einmal sogar die Veränderung des
Sinnes ins Gegenteil (can. 1 059 war die Herrschaft des kanonischen
Eherechtes ursprünglich für alle Ehen angeordnet, etsi una tantum
pars sit baptizata, wo nun catholica eingebessert wird).

Die genannten Berichtigungen sind im fotografischen Druckverfahren
durchgeführt, dem aufmerksamen Auge allerdings noch als solche
erkenntlich in der Lateinisch-deutschen Ausgabe Codex Iuris Canonici
/ Codex des kanonischen Reelues, herausgegeben im Auftrag der
Deutschen und der Berliner Bischofskonferenz u. a.'. Hier steht dem
berichtigten lateinischen Text eine von einer Übersetzergruppe versierter
Fachgelehrter erarbeitete Übersetzung ins Deutsche gegenüber.
Diese ist, wie das Vorwort ausdrücklich hervorhebt, nur eine Verständnishilfe
für den allein authentischen lateinischen Text. Das
angesprochene Verständnis des Lesers wird aber von vornherein in
eine bestimmte Richtung gelenkt, wenn der laut Aymanns vom
Gesetzgeber extensiv verwendete Konjunktiv in der deutschen Übersetzung
regelmäßig durch einen strengeren Indikativ wie ..muß",
„müssen" wiedergegeben wird, da der bloße deutsche Konjunktiv
wegen seines „mehr lyrischen Klanges" und zur Vermeidung des Mißverständnisses
als nur eines nachdrücklichen Rates als Übersetzungsmöglichkeit
ausscheiden müsse. Ein solches Verständnis bleibt zwar
innerhalb des Denkstils, der sich in Auslegung und Anwendung des
alten Codex herausgebildet hatte, ob das allerdings so einzig möglich
ist und auf jeden Fall weiter zu bleiben hat. wäre doch vielleicht
weiterer Erörterung wert.

Beide Ausgaben erleichtern das Zurechtfinden zwar durch eine dem
Text nachgestellte ausführliche Gliederungsübersicht. Jedoch fehlt

noch das gerade dem nur gelegentlichen Benutzer dringend erwünschte
alphabetische Stichwortregister; es soll vom Verlage der
zweisprachigen Ausgabe in einem besonderen Registerbande nachgebracht
werden, wenn für die amtliche lateinische Ausgabe der angekündigte
„Index analytico-alphabeticus" vorliegt. Bis zu einer wissen-
schaftlicher Arbeit so entgegenkommenden Ausgabe wie der des alten
Codex von Petrus Gasparri, zuletzt Rom 1953, mit ihren alle Quellen
und Parallelen des älteren Kirchenrechtes aufschließenden Anmerkungen
wird sicherlich noch längere Zeit vergehen.

II.

Der evangelische Leser des neuen Rechtsbuches stellt als ersten Eindruck
mit Überraschung fest: der neue Codex kommt mit fast einem
Drittel weniger an Umlängaus, statt 2414 „canones" linden wir jetzt
nur mehr deren 1752. Am Anfang ebenso wie zum Schluß zeigt sieh
der deutliche Wille, den Eindruck formalistisch enger Strenge /u
vermeiden: Die Einleitungskonstitution „Sacrae diseiplinae leges"
betont, „daß es keineswegs der Zweck des Codex sein kann, im Lehen
der Kirche oder der Gläubigen die Gnade, die Charismen und vor
allem Ute Liebe zu ersetzen. Im Gegenteil, der Codex zielt vielmehr
daraufab, der kirchlichen Gesellschaft eine Ordnung zu geben, die der
Liebe, der Gnade und den Charismen Vorrang einräumt und gleichzeitig
deren geordneten Fortschritt im Leben der kirchlichen Gesellschaft
wie auch der einzelnen Menschen, die ihr angehören, erleichtert
." (S. XIX) Und der letzte Satz, des Gesetzeswerkes betont im
Zusammenhang der Versetzung eines Plärrers im Interesse des

Dienstes als Maßstab „das Heil der Seelen..... das in der Kirche

immer das oberste Gesetz sein muß" (can. 1752).

Die Einleitungskonstitution stellt den neuen Codex als ein großes
Bemühen vor, die konziliarc Ekklesiologie des II. Vaticanum in die
kanonische Rechtssprache zu übersetzen (S. XIX, vgl. auch XXI und
aus der anschließenden, die Geschichte des Entwurfes schildernden
Vorrede S. XLIff). Von dieser Zielsetzung her ist auch der Gesetzesaufbau
gestaltet; nicht mehr nach dem juristischen Schema von Personen
, Sachen, Prozessen und Delikten wird aufgebaut, sondern es ist
nunmehr im Anschluß an die „Allgemeinen Normen" vom „Volke
Gottes" die Rede, vom Verkündigungs- und Heiligungsdienst der
Kirche, dann allerdings doch - wenn auch kürzer gefaßt als zuvor -
von den „Sanktionen" in der Kirche (die Übersetzung verschärft das
im Tone durch den Ausdruck „Strafen" für das Buch VI. das doch
neben den Strafen ausdrücklich auch im Teil IV „andere Maßregelungen
" ohne Strafcharakter vorsieht).

Auch theologische Zentralaussagen des Zweiten Vatikanischen
Konzils fallen in dem neuen Codex in die Augen. So w iederholt can.
204 § 2 das berühmte „subsistit", mit dem die Dogmatische Konstitution
Lumen Gentium (Nr. 8 Abs. 2) das Verhältnis zwischen der
Einen Kirche Christi und der vom Papst geleiteten katholischen
Kirche bestimmt hatte. Die Erkenntnisse der konziliaren Erklärung
über die Religionsfreiheit „Dignitatis humanae" von der Würde und
den Grundrechten der Menschen finden sich widergespiegelt in den
Bestimmungen des Codex über die Pflichten und Rechte der Gläubigen
, wo insbesondere auch die Stellung der Laien in der Kirche eine
gewisse Aufwertung erfährt (can. 208-223). Ebenso ist an späterer
Stelle die Autorität des Papstes und des mit ihm verbundenen
Bischofskollegiums der Kirchenkonstitution des Konzils entsprechend
gestaltet (can. 330fTund Lumen Gentium Nr. 18ff). Der konziliarc
Auftrag des Ökumenismusdekretes „Unitatis redintegratio" wird
auch von dem neuen Codex aufgenommen. Für den Apostolischen
Stuhl und das Bischofskollegium (can. 755 §1) ebenso wie für
Bischöfe und Bischofskonferenzen (can. 755 §2. 383 §3), wird die
Verpflichtung zur Förderung der ökumenischen Bewegung - in dem