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Ausgabe:

1984

Spalte:

775-777

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Titel/Untertitel:

Gemeinsam leben und glauben lernen 1984

Rezensent:

Wegenast, Klaus

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775

Theologische Literaturzeitung KW. Jahrgang 1984 Nr. 10

776

Christliehen zu stark durch die jeweils sehr persönlich gefärbten Motivationen
der Lehrer und Erzieher bestimmt und dadurch beschrankt?
Gerade im Hinblick auf diese Beschwernisse werden klare Alternativen
abgesteckt. Die psychologischen Erkenntnisse über die Chancen
und Grenzen derchristlichen Erziehung des Kindes vor allem von
M. Langeveld und K. E. Nipkow linden gebührende Beachtung und
sinnvolle, konkrete Anwendung(24fT).

Umfangreiche Fußnoten mit weiterführender Literatur beschließen
die Stellungnahme.

Greifswald Günther Kehnscherper

Nipkow, Karl Ernst: Grundfragen der Keligionspädagogik. Bd. 3:

Gemeinsam leben und glauben lernen. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus
Gerd Mohn 1982.272 S. 8- = GTB/Siebenstern, 756. Kart.
DM 19,80.

Im Band 2 seiner „Grundfragen der Religionspädagogik" hatte Nipkow
vier Grundaufgaben genannt, die der Kirche als Probe auf ihr
Selbstverständnis und ihre Lernfähigkeit aulgetragen seien:

- Die lcbcnsbeglcitende und erlährungsnahe Identitätshilfe gegenüberallen
Menschen,

- die gesellschaftsdiakonische politische Verantwortung.

- das Wagnis einer kritischen Religiosität in Kritik und Selbstkritik
und

- den ökumenischen Weg als dialogisch-konziliare Bemühung um
eine .kommunikative Kompetenz? der Kirche.

Alle diese Aufgaben wurden im Band 2 nur genannt und theoretisch
buchstabiert und jeder Leser fragte, wie das nun eigentlich gehen
sollte. Der jetzt vorliegende Band 3 will diese Frage beantworten.

Der Aulbau ist wiederum durchsichtig, der Gedankengang stringent
und ohne Brüche. Nach einem kurzen Durchgang durch die Wandlungen
der Religionspädagogik in diesem Jahrhundert, die Nipkow
durch zwei fundamentale Wandlungen bestimmt sieht, durch eine
Wandlung vom Kulturprotestantismus mit seiner Mittelpunktstellung
des Menschen zur Alleinbetonung der Majestät Gottes und durch
eine Wandlung zu einem neuen Realitätsdenken in den sechziger Jahren
(Kapitel I). versucht Nipkow in seinem 2. Kapitel, es umläßt den
größten Teil des Buches, die erste genannte Hauptaufgabe religionspädagogisch
verantworteter Arbeit der Kirche, die lebensbeglcitende
und erfahrungsnahe Identitätshilfe, zu beschreiben. Dabei ist es das
Bemühen des Verfassers, die Genese des Mensehen, seine Entwicklung
und die lebensbegleitende Sinnerschließung so aufeinander zu
beziehen, daß die Erfahrungswelt des Adressaten und das Traditionspotential
der Kirche so miteinander ins Benehmen kommen, daß sie
sich gegenseitig befragen und auf diese Weise einander erschließen.
Interessant und gegenüber der sonst waltenden Diskussion weiterführend
erseheint der Tatbestand, daß Nipkow mit als erster die weitverzweigten
Forschungen der sich mit dem Menschen beschäftigenden
Sozialwissenschaften nicht nur zur Kenntnis nimmt, sondern auch
kritisch für die religionspädagogische Aufgabe verarbeitet. Das
3. Kapitel ist dann der ethischen Erziehung gewidmet, die angesichts
des immer mehr bewußtwerdenden Wertwandels in den westlichen
Gesellschaften weg von materiellen Zielen und hin zu sog. postmateriellen
Werten wie Freiheit, Selbstverwirklichung, Mitbestimmung
etc. ausgefahrene Wege etwa der Moralvermittlung verlassen muß.
Interessant in diesem Kapitel vor allem die über die kognitive Entwicklungspsychologie
eines Kohlberg hinausgehende Beachtung des
ganzen Menschen im Horizont des Aufbaus von Identität.

Das 4. Kapitel ist mit ,,Elementares Gespräch mit der Bibel im
Unterricht - Wege zu biblischem Denken" überschrieben. Ausgehend
von dem reformatorischen Grundgedanken, der in den Kirchen der
Reformation wie anderswo häufig in Vergessenheit geraten scheint,
daß das Evangelium zwar in den biblischen Texten enthalten ist, aber
nicht mit ihnen identisch, bemüht sich Nipkow in diesem Kapitel um
eine situations- und adressatengerechte Erschließung biblischer
Tradition, die nicht nur auf die Tradition, sondern gleichursprünglich

auf die Adressaten und ihre Erfahrungswelt hin fragt und sich darum
bemüht, die Lebensfragen heutiger Menschen mit ins Kalkül aufzunehmen
. Dabei sind die Gesprächspartner nicht nur heutige Exegeten,
sondern der Laie in den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung, die
er eingebunden in gesellschaftliche Verhältnisse durchmißt. Der alle
Überlegungen begleitende Begriff in diesem Kapitel ist der Begrill der
Elementarisierung im Rahmen sehr verschiedener Fragehinsichten.
Das 5. Kapitel ist dann den Voraussetzungen und Chancen gemeinsamen
Lebens und Lernens in der Gemeinde und in der Ökumenist Ii
verstandenen ('hristenheit gewidmet. Dabei ist es m. E. wichtig, daß
Nipkow in diesem Kapitel nicht dem unseligen Trend folgt, Gemeindepädagogik
und schulische Religionspädagogik voneinander
abzuheben, sondern den Versuch unternimmt. Religionspädagogik
als alle Handlungsfelder in Kirche und Gesellschaft1 übergreifende
wissenschaftliche Bemühung verständlich zu machen.

Im übrigen ist dieses Kapitel die Probe aufs Exempel, ob es möglich
ist, das Sinnproblem, das den Schwerpunkt des Kapitels 2 bestimmte,
das ethische und das Traditionsproblem in ihrer Bedeutung für die
Gemeinde und ihr Leben so zu buchstabieren, daß Kognitives nicht
allein bleibt, sondern im Leben einer Gemeinschaft sich zu bewähren
und Ganzheit mit zu konstituieren vermag.

Es ist in einer kurzen Anzeige nicht möglich, ein so umfassendes
Werk wie das hier vorliegende, in dem sich die Religionspädagogik als
theologische Integrationsdisziplin repräsentiert, umfassend zu würdigen
und kritisch zu erläutern, aber es ist m. E. wichtig, doch einige
Grundprobleme, die Nipkow in Angriff nimmt, wenigstens zu skizzieren
.

Da ist zuerst der sog. religionspädagogisch-hermeneutische Orientierungsrahmen
, in dem Nipkow denkt. Seine Perspektiven sind
strukturell-genetisch - lebensgeschichtlich, erlährungsbez.ogen im
Blick auf den Alltag, auf Tradition und ihre Wirkungsgeschichte
zielend und umgreifend gesellschaftlich-geschichtlich denkend im
Blick auf die Kirche in der Gesellschaft. Im Klartext heißt das, daß es
für Nipkow keinen Kurzschluß geben kann zwischen der Tradition und
heutigen Lebensproblemcn, sondern nur ein vieldimensionalcs InBeziehung
-Setzen von heutigen Situationen von Menschen aus verschiedenen
Lebensaltern, den in diesen Situationen gründenden Fragen,
Hoffnungen und Sehnsüchten, den hier überall zu machenden Erfahrungen
auf der einen Seite und den in der Tradition zur Sprache kommenden
Erfahrungen vergangener Generationen des Glaubens und
ihrer Wirkungsgeschichte auf der anderen. Ziel ist es dann, in den Alltags
- und Grunderfahrungen Gott erfahrbar zu machen, z. B. auf dem
Hintergrund von Fragen Jugendlicher, wie sie im Alltag begegnen:

Kann das so weitergehen? Wie kann das alles anders werden - so
wie die Musik, die ich höre, es zeigt?

Wie werde ich Anerkennung finden können und wie kann ich
Selbstvertrauen aufbauen?

Kann Gott gerecht sein, wenn er den Wahnsinn zuläßt, der uns umgibt
?

Warum will ich Gutes tun und kann es dann nicht schaffen?

Warum habe ich ein schlechtes Gewissen und versage dauernd?

Wie kann der Religionspädagogc, der Sinn erschließen möchte,
Jugendlichen unter Ernstnahme ihrer Erfahrungen im Alltag und
ihrer lebensgeschichtlich möglichen Denk- und Verstehensformen
das Evangelium angemessen verantworten und die Botschaft vom
liebenden und vergebenden Gott, vom gerechten und allmächtigen
verantworten? An dieser Stelle macht Nipkow einleuchtende Vorschläge
, wie der Pfarrer oder Lehrer in den Zirkel der Erfahrung die
Tradition und die von ihr repräsentierten Erfahrungen einbringen
kann und wie es zu einer doppelseitigen Erschließung von Erfahrung
und Tradition kommen kann. „Begleitende Deutung", „Weiterdenken
von Formen kindlichen Glaubens". „Bewegung von eigenen Erfahrungen
zu solchen der Tradition" u. a. sind hier wichtige Stichworte
.

Der Leitsatz lautet dann: „Die christliche Pädagogik und Seelsorge
schuldet dem Menschen ihre Hilfe inmitten dieser tiefen Ambivalenz