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Ausgabe:

1984

Spalte:

769-770

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Schenk, Wolfgang

Titel/Untertitel:

Glaube als Erkenntnis 1984

Rezensent:

Genthe, Hans Jochen

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Seite 1

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769

Theologische Literaturzeitung 109. Jahrgang 1984 Nr. 10

770

Schenk. Wolfgang: Glaube als Erkenntnis. Das Grundwissen des
Christen nach dem Neuen Testament. Predigten und Vorträge als
Diskussionsgrundlage für Gesprächsgruppen. Berlin: Evang. Verlagsanstalt
1983. 135 S. 8 Kart. M 8,20; Ausland 9,20.

Der Untertitel will genau gelesen sein. Es geht um mehr als um ein
Grundwissen über das Neue Testament. Dies wird in drei Anhängen
auch vermittelt. Vf. will aber das Wesentliche dessen, was christlichen
Glauben ausmacht, darstellen. Dies geschieht in 15 Auslegungen neu-
testamentlichcr Texte. Er nimmt nicht einfach den Bestand dessen
auf, was unter Christen heute geglaubt, gelebt und gebetet wird, sondern
er stellt dieser ..Christlichkeit" wesentliche Aussagen des Neuen
Testaments gegenüber- oder soll man besser sagen: entgegen? Hier ist
Theologie in ihrer kritischen Funktion an der Kirche verstanden,
nicht als Werkzeug zur Rechtfertigung des Bestehenden. Hier ist
Theologie wesentlich Schriftauslegung; und diese Schriftauslegung
hat eine Mitte oder - wie Vf. gleich in der Überschrift zur ersten Auslegung
(1 Kor I 5,20) sagt - eine Basis.

Damit bezieht Vf. sogleich Stellung in einer Debatte, die schon seit
einem Vierteljahrhundcrt währt. „Alle Christologic beginnt mit der
Nachricht von der Aufcrweckung Jesu von den Toten, weil die Möglichkeit
, ein Christ zu sein, eben mit dieser Aufcrweckung Jesu eröffnet
wurde. Ohne die Aufcrweckung Jesu gibt es kein Christscin."
(S. II) Die Aufcrweckung Jesu ist also für Kirche und Glaube das
„Fundament", das „Axiom", wie es der Lektor Peter Paul Sänger in
seinem „Begleitbrief anstatt eines Vorwortes" (S. 6) ausdrückt. In der
erwähnten ersten Auslegung erklärt Vf. sogleich, nach welchen
Gesichtspunkten sich sein weiteres Denken von dieser Basis aus vollziehen
soll: die Aufcrweckung Jesu ist der dem denkenden Erkennen
vorgegebene „Gegenstand" (S. 13). Dieses Nach-Denken muß „nachprüfbar
, nachvollziehbar und mitteilbar" sein. Es hat also den Anforderungen
der Wissenschaftlichkeil zu genügen.

Daß Vf. damit heute auch Widerspruch erfahren wird, kann man voraussehen
. Gerade deshalb ist aber seine Absicht wertvoll. Das Buch ist ja
für die Arbeit in der Gemeinde und für die I [and nicht theologisch gebildeter
Gemeindeglieder geschrieben, hervorgegangen aus Aufsätzen,
Studienheften zur Bibelwoche und - was das wichtigste ist - aus jahrelanger
Praxis der Bibelarbcit in Gemeinden. Er versteht Gemeinde nicht
nur als stille Zuhörerschaft, sondern als eine Versammlung, in der man
auch miteinander über und zu Gott redet. Dabei hat der Theologe tlir
seine Schrillauslegung Rechenschall abzulegen.

„Darin liegt einmal beschlossen, daß Predigt heute wohl nicht
anders denn als erster Diskussionsbeitrag und Diskussionsvorlagc für
eine Gruppe verstanden werden kann. Die andere Konsequenz für die
Praxis liegt darin, daß Predigt nicht auf das Ziel des anredenden
.Zuspruchs' verengt werden darf, sondern primär vorlaufend erst einmal
.Aussage' und .Information' sein muß", schreibt Vf. im Nachwort
(S. 128). Es geht also um eine Theologie, die nicht das Reservat professioneller
Theologen ist. Einer solchen Aufgabe gegenüber gibt es
offene, aber noch mehr verdeckte Resignation, denn nach andcrthalb-
tausendjähriger Entmündigung der Gemeinden erwarten wohl nur
noch wenige, daß die Gemeinden mündiger werden. Dieses Buch aber
ermutigt, es dabei nicht bleiben zu lassen.

Die Verfahren und Erkenntnisse der Bibclwisscnschaft gehören in
die Gemeindearbeit: „Bibclwisscnschall allein aber macht erst einmal
jede Herausgabe einer biblischen Schrill und ihre Übersetzung möglich
. So macht die Bibclwisscnschaft auch erst das Predigen möglich.
Bibel Wissenschaft ist Grundlagenwisscnschaft. auf der alle Praxis aufbauen
muß. wenn sie nicht wie ein unsinniger Brückenbauer arbeiten
wollte, der die Ergebnisse seiner einschlägigen Grundwissenschaft wie
Matcrialkundc. Mechanik. Statik usw. unberücksichtigt lassen
wollte."(S. 127)

In den fünfzehn Auslegungen werden alle wesentlichen Themen
erörtert: Ostern - die Basis; Gott - was wir damit bezeichnen: Gott -
was ihm widerspricht; Jesus-als Sohn Gottes; Wort Gottes - mehr als
Phrase; Glauben - als einzelner: Glauben - als Gemeinschaft; Heil -

und Heilsamkeit; Nachfolge - als Orientierung; Schöpfung - der
Bereich unseres Alltags; Taufe - als Bekenntnis; Herrenmahl - die
versammelte Gemeinde: Vergebung - in der Gemeinde; Gebet - ohne
Verlegenheit; Vollendung - das Ziel. Umfang und Art dieser Auslegungen
sind unterschiedlich, aber durchweg für Nichttheologen lesbar
und verständlich. Vf. liegt daran, Leerformeln zu überwinden. Gängige
kirchen- und bibelsprachlichc Ausdrücke, die viel gebraucht werden
, nimmt Vf. unter die Lupe, um ihren Sinn zurechtzurücken und
zu erklären.

Manches wird anregen, aufregen oder auch ärgern, vor allem die
Artikel über die Taufe (S. 60-66) und über das Herrcnmahl
(S. 67-75). Hier ergeben sich wichtige Gesprächsgegenstände für die
Gemeinde. Vf. wiederholt nämlich nicht die frommen Selbstverständlichkeiten
, auf die ohnehin keiner mehr hört. Natürlich sind manche
Artikel auch weniger anspruchsvoll. Was Vf. über die Vergebung
schreibt, wünschte sich Rez. für Gemeindekreise konkreter. Oft
werden Begründungen nur kurz gegeben oder durch Literaturhinweise
angedeutet. Vf. weist dabei meist auf eigene Arbeiten hin. Man sollte
ihm das nicht als Untugend ankreiden. Er will ja nur sagen, wo der
speziell interessierte Leser die genauen Gründe des Vf. für eine
bestimmte Auslegung findet. Ihre Ausführung hätte das Buch zu
umfangreich gemacht.

Der Anhang I bietet auf zwölf Seiten eine ganz knappe Einleitung
ins Neue Testament. Dabei äußert Vf. gelegentlich auch Meinungen,
die nicht den Konsens der Fachwelt haben. Z. B. hält erden Galater-
brief für das älteste Paulinische Schreiben (S. 102). Er trägt seine
spezielle Theorie über die Kompilation des I. Korintherbriefcs vor,
und vom 4. Evangelisten nimmt er an, daß er das Markusevangelium
benutzt habe.

Dem besonderen Thema „Bestand und Komposition der Reden-
quellc Q" ist der Anhang II gewidmet. Zuerst wird es manchen überraschen
, daß dieses Einzelthema so eingehend behandelt wird. Wenn
man aber berücksichtigt, daß sich ausgewiesene Fachleute an der vorösterlichen
Logicnüberlieferung. die sie in Q aulbewahrt sehen, orientieren
und die Aufcrweckung Jesu nicht oder nicht ausschließlich für
die Basis halten, dann kann man sich denken, warum Vf. der Logien-
quelle eine solche Aufmerksamkeit zuwendet. Er bestreitet die
Existenz von getrennten Traditionskreisen als Träger verschiedener
Stoff-Überlieferungsstränge. Er beruft sich dafür darauf, daß Q sowohl
Berührungen mit Markus wie auch mit Paulus zeige. Gerade das
letztere wird manchem als zu wenig gesichert erscheinen.

Im Anhang III erläutert Vf., was unter Fschatologic und Apokalyp-
lik zu verstehen ist. Dabei wehrt er sich gegen die Meinung, man
könne ohne apokalyptische Vorstellungen cschalologisch reden, „als
ob es je apokalyptische Vorstellungen gegeben hätte, die nicht auf die
Erzeugung von Einstellungen gerichtet gewesen wären; und umgekehrt
kann man auch überhaupt und immer keine Einstellungen
bewirken ohne eine Vorgabe von Vorstellungen" (S. 125).

Dieses Buch gehört also nicht zu jenen Handreichungen, in denen
Selbstverständlichkeiten oder herkömmliche Mißverständnisse populär
aufbereitet werden, sondern es bietet auch Fachleuten Anregungen
, mit denen auseinanderzusetzen sich lohnt. Vor allem aber ist es
eine empfehlenswerte Arbeitshilfe für Gcmcindekrcisc und für das
F.rwachscncnkatcchumenat. Darüber hinaus wäre zu erwägen, ob es
nicht all denen in die Hand gegeben werden sollte, die die Absicht
haben. Theologie zu studieren. Manche anfängliche Vcrstehcns-
schwierigkeit in den ersten Semestern könnte durch die Lektüre dieses
Buches behoben oder verringert werden.

Erfurt Hans lochen (icnlhe

Hunde. Siegfried Rudolf: Homophonie als Ausdruck von Sexismus in der
Kirche (DtPfrBl 84,1984 S. 230-233).

Schmidl-I anber Hans-Christoph: Die Wiederentdcekung des eucharisti-
schen Gebetes in den evangelischen Kirchcnd'Th 73. 1984 S. 134-147).

I alkenhcrgcr. Wolf-Dietrich: Alte Menschen (Die Christenlehre 37. 1984
S. I 12-119).