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Ausgabe:

1984

Spalte:

761-762

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Titel/Untertitel:

Modernes Freiheitsethos und christlicher Glaube 1984

Rezensent:

Wiebering, Joachim

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Seite 1

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761

Theologische Literaturzeitung 109. Jahrgang 1984 Nr. 10

762

.Schwartländer. Johannes [Hrsg.]: Modernes Freiheitsethos und christlicher
Glaube. Beiträge zur juristischen, philosophischen und theologischen
Bestimmung der Menschenrechte. München: Kaiser;
Mainz: Grunewald 1981. 384 S. 8° = Entwicklung und Frieden,
24. Kart. DM 48.-.

Die Diskussion über Menschenrechte und christlichen Glauben
wird heute nicht allein von Theologen geführt werden können. Die
Materie ist zu vielschichtig, und die geschichtliche Entwicklung des
Bewußtseins der Menschenrechte hat zu lange im Kontrast zum
christlichen Glauben gestanden, als daß nun der theologische Zugang
dazu selbstverständlich wäre. Jedoch ist die Beziehung zwischen dem
Anspruch der Menschenrechte und den Aussagen des Glaubens notwendig
zu präzisieren, weil heute unter dem Eindruck der Dringlichkeit
oft gar keine Differenz mehr zwischen beidem gesehen wird.

Der vorliegende Sammelband ist Ergebnis eines Forschungsprojektes
, das von der Wissenschaftlichen Kommission des Katholischen
Arbeitskreises ..Entwicklung und Frieden" gestartet worden ist. Der
besondere Ton liegt in ihm auf dem Aspekt der sittlichen Autonomie,
die in der Neuzeit als ..unbedingte Pflicht zur Selbst-Gesetzgebung"
im Anschluß an Kant verstanden wird. Für die römisch-katholische
Tradition geriet der Begriff dadurch lange unter den Verdacht einer
Loslösung von der göttlichen Seinsordnung, und darum wurde ihm
der Begriff der „Theonomie" entgegengesetzt. Das Forschungsprojekt
war zunächst auf diesen begrifflichen Gegensatz fixiert, doch bei den
Gesprächen ergab sich bald, daß diese Alternative irreführend ist.
..Autonomie und Theonomie widersprechen sich nicht. In einem entschiedenen
Freiheitsbewußtsein können, ja werden sich autonomes
Selbstbewußtsein und theonom orientierter Glaube entsprechen,
denn . . . vertiefte Autonomie ist ein Weg zu Gott" (S. 8). Was hier fast
ineinander Rufzugehen scheint, wird dann genauer im Sinne einer
Analogie gedacht, nicht einer analogia entis, aber einer „analogia
libertatis", bei der sich sittliche Freiheit und Freiheit des Glaubens
entsprechen.

Menschenrechte und christlicher Glaube sind im Freiheitsgedanken
miteinander verbunden, wobei eine ..absolute Fundierung
menschlichen Freiheitsdenkens im Glauben nur dann sinncrfüllcnd
sein kann, wenn der Glaube selber Freiheit . . . bedeutet" (S. 22). Diesen
Horizont sucht der Philosoph Johannes Schwartländer in einer
auf die zweijährigen Gespräche der T eilnehmer des Projekts rückblickenden
Einlührung (7-35) und in einem großen eigenen Beitrag
(.36-69) zu verdeutlichen. Allerdings bleibt unter diesem Vorzeichen
die Menschenrechtsdiskussion auf die zivilen Freiheitsrechte des einzelnen
beschränkt, während die sozialen Glcichhcits- und die kulturellen
Teilhaberechte an den Rand der Betrachtung geraten. Die
neuzeitliche Emanzipation des Sittlichen und die daraus folgenden
„Ansprüche der Freiheit" sind jedoch nur ein Aspekt in dem viel
komplexeren Kampf um die Erfüllung der Menschenrechte.

Neben den Beiträgen aus philosophischer und juristischer Sicht
stehen auch einige theologische Beiträge, die an dieser Stelle vor allem
interessieren. Von evangelischer Seite hat der Bonner Systematiker
Martin Honeckerdas reformatorischc Freiheitsverständnis dem neuzeitlichen
konfrontiert (266-284). Die Differenz erweist sich darin,
daß nach evangelischem Verständnis „der Ausgangspunkt der weltlichen
Würde des Menschen nicht die Freiheit des isolierten Individuums
, sondern die Gleichheit aller Menschen als von Gott angesprochener
und geliebter Geschöpfe und die wechselseitige Verantwortung
" ist (279). Damit wird der Anspruch der Menschenrechte
relativiert: „Menschenrechte sind keine Hcilsveranstaltungcn" (276).
Freiheit wird im christlichen Glauben erfahren als „Freisetzung des
Glaubens zum absichtslosen freien Tun der Liebe" (283); solcher Satz
provoziert die Frage, ob da nicht eher eine fundamentale Differenz als
eine analogia libertatis zum neuzeitlichen Freiheitsverständnis vorliegt
. Von katholischer Seite untersucht der Tühingcr Dogmatiker
Walter Kasper die theologische Bestimmung der Freiheit (285-302)
und argumentiert dabei ebenfalls gegen eine individualistisch verstandene
Freiheit. Der Moraltheologe Franz Böckle stellt die Frage nach
dem Rahmen einer umfassenden ethischen Theorie und erläutert das
am Beispiel der sittlich-institutionellen Rechte für Ehe und Familie
(304-321). Diese Erläuterung läuft freilich auf eine Bestätigung des
Rechtes auf eheliche Treue und auf „qualitative Nachwuchssicherung
" hinaus, die aus der sittlichen Autonomie folgen sollen.

Bei der Prüfung, welche Traditionen ethischen Nachdenkens für die
Bestimmung der Menschenrechte wesentlich gewesen sind, wird
neben der transzendentalen Freiheitsphilosophic auch auf das Naturrecht
verwiesen. Als Vermittler dieser Tradition gilt vor allem
Thomas von Aquino; seinen Gedanken sind in diesem Band zwei
große Studien gewidmet. Paulus Engelhardt geht der Frage nach, was
die Ethik in der „Summa" des Aquinaten zur kritischen Klärung und
Begründung der Menschenrechte beitragen kann (138-164) und
betont dabei besonders die Zuordnung von vorgegebenem Naturgesetz
und aufgegebener Verwirklichung des Guten. Karl-Wilhelm
Merks erläutert die theologische Grundlegung der Menschenrechte in
der Perspektive des Thomas (165-187) und warnt vor einer leichtfertigen
Identifizierung von Naturrecht und Menschenrechten. Naturrechtliches
Denken kann höchstens in einem zweiten Schritt
Elemente der Menschenrechte, „die aus einem allzu subjektbezogenen
neuzeitlichen Ansatz herrühren", korrigieren - etwa im Blick auf
„eine theologische Einordnung jenes menschlichen Selbstverständ-
nisses in eine umfassende Sinndeutung der Welt als ganzer und der
menschlichen Würde in der Schöpfungs- und Erlösungsperspeklive
des Metaphysikcrs und des Theologen" (186). Schließlich wird aus
der gegenwärtigen katholischen Theologie das Arbeitspapier der
Päpstlichen Kommission lustitia et Pax zu den Menschenrechten
(1976) ausführlich analysiert und von Gerhard Höver darin ein natur-
rcchllichcr und ein theologischer Begründungsansatz unterschieden
(344-358). Dabei wird noch einmal unterstrichen, daß im Sinne einer
Analogie der neuzeitliche Autonomiegedanke positiv aufgegriffen
werden kann, wenn er offen ist „für eine Sinngebung, die ihren Gehalt
aus dem Glauben an Gott als Grund und Ziel allen Handelns
empfängt".

Sicher vermittelt der Sammelband einen guten Eindruck von den
vielfachen Überlegungen, ohne Bruch mit der römisch-katholischen
Tradition einen positiven Zugang zur Menschcnrechtsfragc zu gewinnen
. Durch die einseitige Hervorhebung des Frciheitsbegrilfs wird das
allerdings wohl erschwert, denn die Aspekte von Solidarität und Teilhabe
, die in der Diskussion um die Menschenrechte ebenso wichtig
sind, können wahrscheinlich eher mit der christlichen Tradition verbunden
werden.

Leipzig Joachim Wiebering

Anzcnbaeher, Arno: Der Begriff des Menschen in der formalistischen und in
der klassisch-naturrcchtlichen Ethik (Univ. .39.1984S. 545-547).

Engelhardt. Hanns [Hrsg.]: Die Kirchen und die Ehe. Frankfurt/M.:
Lembeck 1984. 96 S. 8" = Beiheft zur Ökumenischen Rundschau, 46. Kart.
DM 17,80: Schott. Rein hold: Das Eherecht der römisch-katholischen Kirche
(S. 7-29)- Engelhardt Hanns: Ehe. Eheschließung. Ehescheidung und Wiedertrauung
in der Evangelischen Kirche in Deutschland (S. .30-4.3) - Kalbs
Anastasios: Mysterium der Liebe. Ein Beitrag zum orthodoxen Eheverständnis
(S. 44-55)- Engelhardt Hanns: Ehe und Ehescheidung in der Kirche von England
und der anglikanischen Kirchcngcmeinschaft (S. 56-64) - VVynn. John
Charles, u. J. Robert Nelson: Ehe und Ehescheidung in den protestantischen
Kirchen Nordamerikas (S. 65-75)-Jean Masamha ma Mpolo: Polygamie und
Familie. Identität und Seclsorgcproblcmc der afrikanischen Kirchen (S. 76-90)
- Engelhardt. Hanns: Das neue Eherecht der Kirche der Provinz Tanzania
(S. 91-96).

Ethik vor dem Anspruch auf Befreiung (Thcmahcft Concilium 20. 1984
Heft 2): Rossi. Philip: Die Grundlegung des philosophischen Autonomic-
bcgrilfs durch Kant und ihre geschichtlichen f olgen (S. 89-94) - Hilpert.
Konrad: Die theologische Rezeption des Aulonomicgedankcns und ihre Kritik