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Ausgabe:

1984

Spalte:

757-759

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Petzoldt, Martin

Titel/Untertitel:

Gleichnisse Jesu und christliche Dogmatik 1984

Rezensent:

Haufe, Günter

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Theologische Literaturzeitung 109. Jahrgang 1984 Nr. 10

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Man kann sich deshalb des Eindrucks einer gewissen Separierung des
Nachdenkens über den ..Gott für dich" in dieser Arbeit nicht erwehren
. Das zeigt sich nicht nur an der Umständlichkeit, mit der Einsichten
expliziert werden, die in einer Theologie der Gemeinde ihren
natürlichen Ort haben. Das zeigt sich vor allem daran, daß der für das
Heil anderer Menschen „otTcne" Mensch eben doch der Einzelne ist.
Aus seiner Gottesbeziehung heraus werden die Relationen entwickelt,
die auf die anderen Menschen weisen. Seine existentielle Verfassung
als Gesandter und sich am Heil anderer Freuender schließt den Heilsegoismus
als Grundhaltung des Glaubens aus. Dies alles ist zu bejahen
, zumal wenn es so im Gottesverständnis gründet, wie der Vf. es
zeigt. Auf der anderen Seite darf aber theologisch auch nicht in den
Rang eines „Folgephänomens" rücken, daß der Glaubende von
Hause aus in eine bestimmte Gemeinschaft eingewiesen wird und daß
die [ufgabe dieser Gemeinschaft ursprünglich zu seinem eigenen
Christsein gehört. Sonst kann es geschehen, daß der Glaubende in all
seiner Olfen hei t für andere selber eben doch ein Einzelner bleibt.

Berlin WolfKrötke

Petzoldt, Martin: Gleichnisse Jesu und christliche Dogmatik. Berlin:
Evang. Verlagsanstalt; zugleich Göttingen: Vandenhoeck &
Ruprecht 1983. l80S.gr. 8".

Die von E.-H. Amberg betreute und 1976 in Leipzig vorgelegte Dissertation
verdient doppelte Beachtung. Einmal meldet sich hier ein
junger Nachwuchswissenschaftler von bemerkenswerter systematischer
Denkkraft zu Wort. Zum anderen wird thematisch in Neuland
vorgestoßen, das der Dogmatik erheblichen Erkenntnisgewinn einbringt
. Der Autor wagt sich an „den Versuch, dogmatisches Nachdenken
zu begründen und mit Impulsen zu versehen durch neutesta-
mentlichc Texte, die selbst einen vordogmatischen Charakter tragen
oder eine Tendenz verfolgen, die jedenfalls nicht als dogmatische
anzusehen ist" (Vorwort). Nach der Lektüre der Arbeit fragt man sich
unwillkürlich, warum dieser zweifellos notwendige Versuch nicht
schon eher unternommen worden ist. Im Zuge der theologischen Wie-
derentdeckung des irdischen Jesus war er einfach fällig. Das hier
demonstrierte Zusammenspiel von exegetischer und systematischer
Besinnung sollte zu ähnlichen Versuchen ermutigen.

Nach einer knappen „Einleitung" zur Frage nach dem Schriftgebrauch
in der Dogmatik (9-1 5) handelt der erste Hauptteil (16-1 10)
vom „Zusammenhang von Interpretation und Dogmatik". P. sei/t
mit Beobachtungen und Überlegungen zum Interpretationsbegriff ein.
„Interpretation" signalisiert danach nicht nur heutige Beschäftigung
mit überlieferten Texten, sondern bezeichnet ebenso das Geschehen,
das sich in Jesu Glcichnisrcdc selbst vollzieht. Dieses Geschehen
kommt in den Blick, wenn die Für die Gleichnisrcdc Jesu insgesamt
charakteristische „antithetische Struktur" beachtet wird, die sich für
P. aus der häufig wiederkehrenden Gegenüberstellung von zwei
Typen ergibt. Die Darstellung des ersten Typs läuft sachlich auf Jesu
Interpretation des Menschen in seiner festgelegten Typik hinaus, während
die um den zweiten Typ angelegte Bewegung sachlich Jesu Interpretation
Gottes als des Unerwarteten und Wandelbaren zum Zuge
bringt. Diese antithetische Struktur ist nicht nur historisch-kritisch
erweisbar. sondern zugleich dogmatisch integrierbar. d. h. verall-
gemeinerungsfähig. Im Blick auf den Glcichnisadressatcn besagt sie,
daß er von Jesus bei seiner grundsätzlichen, ihm freilich unbewußten
Annahme durch Gott behaftet, kritisch in Frage gestellt und schließlich
durch die überraschende Botschaft des Gleichnisses (Gottes
Liebe) hinsichtlich seiner Annahme erneuert wird. P. liegt daran, daß
diese systematisch-theologische Trias von Annahme - Infragestellung
- Erneuerung einerseits der traditionellen Relation von Gesetz und
Evangelium entspricht und andrerseits in der hermeneutischen Trias
von Tradition - Situation - Interpretafion ihre notwendige Kehrseite
haf. Nicht weniger als 13 ausgewählte Gleichnisse analysiert P. hinsichtlich
ihrer Urgestalt. um diese dann jeweils auf ihre Interpretation

des Menschen und ihre Interpretation Gottes zu befragen. Unter diesen
Texten befinden sich allerdings auch solche, die nicht im strengen
Sinn als Gleichnisse gelten können, so die Beispielerzählungen Lk 10.
25-37; 12,16-20; 18.9-14 und die Weltgerichtsschilderung
Mt 25,31-46. An eigentlichen Gleichnistexten zieht P. durchweg
„Parabeln" heran, die von einem interessierenden Einzelfall handeln
und in ihrer Ausführlichkeit für die Interpretation besonders ergiebig
sind (Mk 12,1-12; Mt 18.23-35; 20.1-15; 22,1-14; 25,14-30;
Lk 15.1 1-32; 16.1-9; 18.1-8).

Die im ersten Hauptteil gewonnenen dogmatischen Ansätze werden
im zweiten Hauptteil „Der Zusammenhang von Gleichnissen und
Dogmatik" (1 I 1-160) weitergreifenden Überlegungen zugeführt, auf
denen für P. das Schwergewicht liegt. Zuerst wird der Zusammenhang
von Tradition - Situation - Interpretation in Jesu Gleichnispredigt
näher bestimmt. Hinsichtlich vorgegebener Tradition sieht P. Jesus
intentional auf das /icrü-Modell und das eng mit ihm verbundene
Ethos-Modell bezogen. Die Gleichnisse setzen alle sachlich mit entsprechenden
Traditionsbezügen ein. Jesu Situation ist dagegen sein
eigenes Gegenwärtigsein, das jede Situation der Begegnung mit ihm
zur Grenzsituation im Sinn von Krisis und Infragestellung macht. Die
Vergangenheit wird ihr kausal bzw. korrelativ zugeordnet. Der Schritt
von dieser Situation zu Jesu Interpretation ist dagegen ein paradoxer:
Gott wird als der entdeckt, der total anders begegnet als erwartet und
sich gerade als der Unverfügbarc glauben läßt. D. h.: Interpretation
signalisiert eine veränderte Sicht der Gemeinschaft von Gott und
Mensch. - An zweiter Stelle markiert P. „Entdeckungen", die anschließend
durch eine Reihe von „Näherbestimmungen" dogmatisch
entfaltet werden. Die Entdeckung von kausalen und paradoxen Komponenten
in Jesu Gleichnissen führt auf ein theologisches Geschichtsverständnis
, das durch eben diese Komponenten bestimmt ist. Der
„anthropologische" Einsatz der Gleichnisse "empfiehlt die Anthropologie
als sinnvollen Zugang zur speziellen Dogmatik. wobei der
Mensch als Partner. Angeklagter und Befreiter Gottes zu beschreiben
ist. Der Gotteslehrc gebührt entsprechend der Gesamtstruktur der
Gleichnisse erst der zweite Platz in der Dogmatik: „Man muß zuerst
vom Menschen reden, wenn man von Gott reden will" (145). Zentral
für die Gotteslehrc ist weder eine anthropologische noch eine christo-
logisehc Motivation, sondern die Erfahrbarkcit Gottes als Richtenden
und Liebenden und damit als Wandelbaren. Diese Erfahrung der
„Wandlungen Gottes" ist als Prozeß zu denken. Erst aufdem antithetisch
strukturierten Hintergrund von Anthropologie und Gotteslehre
wird dann auch Christologie möglich und sinnvoll. Der Gleichnisprediger
Jesus führt auf die christologische Bedeutsamkeit des predigenden
Jesus mit seiner verbalen Vermittlung des Heils, die nicht
weniger wichtig ist als die Bedeutsamkeit des aufcrwccktcn Jesus Christus
mit seiner die Sprache transcendierenden ganzheitlichen Heilsvermittlung
, beide auf eigentümliche Weise zusammengehalten durch
das Kreuz. In beiden Hinsichten erfüllt Jesus die Funktionen eines
Botschafters, eines Anwaltes und eines Versöhners. Endlich folgt aus
der Absicht aller Gleichnisse. Menschen ins Einverständnis zu rufen,
für die Ekklesiologie die Forderung, Kirche wesentlich als Gemeinschaft
der „Einverstandenen" zu begreifen und mithin die Gleichnisse
Jesu als „Paradigmen fürckklcsiologische Lernprozesse" (159).

Blickt man auf das Ganze zurück, so ist man beeindruckt von der
Folgerichtigkeit, mit der P. aus der Struktur der Gleichnisse strukturelle
wie inhaltliche Impulse für die spezielle Dogmatik gewinnt.
Dieser ungewohnte Ansatz sollte ernstlich bedacht und nicht eilfertig
kritisch hinterfragt werden. Sinnvoll können zunächst nur Einzel-
anfragen sein. Der Exeget möchte wohl fragen, ob auch die von P.
nicht behandelten „Gleichnisse", die typische Vorgänge schildern
und nicht das Gegenüber von zwei Typen kennen, in gleicher Weise
Zeugen für die einleuchtend nachgewiesene „antithetische Struktur"
sind wie die „Parabeln". Die Beispiclcrzählungcn sowie Mt 25.31-46
hätte P. lieber übergehen sollen. Ihre Auslegung wirkt am ehesten
gezwungen, wie sie denn auch gattungsmäßig aus der Reihe der
übrigen Texte herausfallen. In hcrmencutischcr Hinsicht wünschte