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Ausgabe:

1984

Spalte:

755-757

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Trowitzsch, Michael

Titel/Untertitel:

Gott als "Gott für dich" 1984

Rezensent:

Krötke, Wolf

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Theologische Literaturzeitung 109. Jahrgang 1984 Nr. 10

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hal letztlich festzustellen, wie er gelungen ist; ich habe den Eindruck,
daß Handbuch und Autor ihn auch in diesem Falle bestanden haben.
Ein möglicher Einwand richtet sich weniger an den Autor als vielmehr
an die Gesamtkonzeption: Auch angesichts dieses Bandes bin ich
nicht davon überzeugt, daß das Einbringen der sog. Vätergeneration
(einmal abgesehen von Barth) wirklich in dieser immer wiederholten
Auswahl die beste Möglichkeit ist, die Theologie des 20. Jahrhunderts
ins Gespräch zu bringen. Der VI. hat allerdings durch seine Literaturkenntnis
und -Präsentation diese Einseitigkeit der Anlage an vielen
Punkten ermäßigt bzw. korrigiert. Dafür ist ihm besonders zu
danken.

Leipzig Ernst-Heinz Arnberg

1 Vgl. dazu inzwischen die Lima-Papiere und andere ökumenische Texte.

Trowitzsch, Michael: Gott als „Gott für Dich". Eine Verabschiedung
des Heilsegoismus. München: Kaiser 1983. 196 S. 8' = Beiträge zur
evangelischen Theologie, 92.

Der Glaube an den Gott der Liebe, der in Jesus Christus zur Welt
gekommen ist, ist keine einsame Beziehung zwischen einzelnen Menschen
und diesem Gott. Er setzt den einzelnen Menschen vielmehr
sofort und unausweichlich in ein Verhältnis zu anderen Menschen,
denen die Liebe Gottes gleichursprünglich zugewandt ist. Das „Heil"
anderer Menschen gehört darum zu seinem ureigensten Anliegen.

Der Präzisierung dieses Sachverhalts und der mit ihm gegebenen
Probleme gilt diese Tübinger Habilitationsschrift aus dem Jahre 1981.
Sie will „vom Zentrum christlicher Theologie" her (14) das Gottesverständnis
und die „innere Vcrfaßtheit" des Glaubenden begrifflich
so fixieren, daß „Heilsegoismus" als eine „Fehlform des Glaubens
selbst' (15) einsichtig wird. Ein solcher „Egoismus", der sich als individuelles
und kollektives Interesse bloß am eigenen Heil darstellt, wird
nach Meinung des Vf. durch das Verständnis Gottes als deus pro nie
und deus pro nobis nicht hinreichend ausgeschlossen. Vielmehr ist im
christlichen Glauben „von vornherein nach Sache und Sprache von
der 2. Person auszugehen" und Gott (mit einer Formulierung von
Ernst Fuchs) als „deus pro te" zu denken (32). Für diese Aufgabe
reicht es nicht zu, die Beziehung des Glaubenden auf den Nächsten in
der Liebe als „Folgephänomen" des Glaubens in den Blick zu nehmen
(vgl. 28). Gerade das kritisiert der Vf. an einigen neueren Erörterungen
des Verhältnisses von Individualität und Kollektivität (W. Mosten
, E. Gräßer, H. Gollwitzer, M. Barth). Es geht ihm um eine sachgerechte
„Transzendierung" der Alternative von Individualität und
Kollektivität, die nicht in unfruchtbaren Einseitigkeiten enden muß.
Diese „Transzendierung" ist möglich, weil der „deus pro te" „den
ungehinderten und seiner Wahrheit auch wirklich ansichtig werdenden
, offenen Blick auf den Nächsten und sein Heil frei" gibt (37).

Die Notwendigkeit, Gott als „Gott für dich" zu denken, expliziert
die Arbeit in zwei Schritten. Der erste Schritt ist ein „Rückgang in die
Problemgeschichte", der die „Entschränkung der Subjektivität gegenüber
einem zunächst ohne den Nächsten gedachten Gott" zum
Thema hat (vgl. 39-122). Der zweite Schritt wendet sich neutesta-
mentlichen Grundaussagen im Blick auf die „Entschränkung der
Subjektivität angesichts des „Gott für dich" zu (vgl. S. 123-185).

Der sachliche Fortgang der Untersuchung wird durch dieses Vorgehen
nicht sehr gefordert. Denn die Texte, die der Vf. bei seinem
„Rückgang in die Pfoblemgeschichte" analysiert, dienen im Blick auf
das benannte Problem nur einer Fehlanzeige. Zum einen wird an
F. Schleiermachers „Reden über die Religion . . ." aufgewiesen, daß
die „Liebe zum Universum", die nach Schleiermacher die „Religion"
charakterisiert, nur im Horizont des Einzelnen gedacht ist (vgl. 41 IT).
Der Subjektivität widerfahrt zwar eine „Entschränkung" durch diese
Liebe (vgl. 48), aber das „Gesellige" in der Religion und die religiöse
Mitteilung gewinnen kein eigenes Gewicht, sondern dienen im wesentlichen
der „Steigerung . . . des eigenen religiösen Erlebens" (56). -

Zum linderen wird an Luthers Auslegung vor allem von Rom 9,3 in
der Römerbriefvorlesung von 1515/16 gezeigt, daß „der von Luther
mit großartig scharfer Prägnanz in die Formel .damnart ul dantnati
salvenlur' . . . gefaßte Skopus des paulinischen Textes" (89) für
Luthers eigenes Denken in dieser Zeit keine Rolle spielt. Der Vf.
behauptet: „Eine frei gewährte Solidarität mit dem Unheil Anderer
und ein nur von Liebe eingegebenes Eintreten für ihr Heil liegen
außerhalb der bestimmenden Interessen Luthers" (119). Die „Demutstheologie
" des jungen Luther ziele vielmehr darauf, daß der
Mensch, um Gottes Gnadenhandeln zu erfahren, „dem eigenen
Unheil und dem Gekreuzigten Nächster werden" müsse (vgl.
I 17 ff).

Demgegenüber möchte der Vf. durch eine Vertiefung des christolo-
gischen Bezuges des Glaubens, der in Schleiermachers „Reden . . ."
gänzlich fehlt und der in den ausgewählten Texten des jungen Luther
einseitig auf das eigene Heil des Menschen hin ausgelegt ist. die Einheit
des Glaubens an Gott und der Beziehung dieses Glaubens auf das
Heil des Nächsten erweisen. Die entscheidende Einsicht ist hier, daß
in der Liebe Jesu zu Gott ..mein von seiner Mühe zu den Verlorenen
abgesehen werden kann" (131). Die Liebe zu Gott ist „in sieh bereits
Liehe zum Nächsten" (ebd.). Das wird sichtbar an der Armut des
irdischen Jesus, der nichts für sich selbst haben will und alles vom
Kommen der Gottesherrschaft für die Verlorenen erwartet. Das wird
vor allem sichtbar am Kreuzestode Jesu, in dem Jesus sich selber
„nicht zum eigenen Heil verhelfen" „kann und will" (142). Er gibt
sich hin zugunsten anderer und begegnet in der Freiheit des Auferstandenen
so, daß „meine Begegnung" mit ihm „mich . . . dem Heil
des Nächsten unmittelbar werden läßt" (147). Erwägungen zur
Neuinterpretation der Lehre von der En- und Anhypostasie der
menschlichen Natur Jesu Christi (W. Pannenberg, E. Jüngel,
vgl. 147fT) und zur Unverfügbarkeit Gottes (H. Mühlen, 155) unterstreichen
diesen in Jesus Christus gegebenen Zusammenhang: „Gott
Gott sein lassen" bedeutet, „ihn als .Gott für dich' gewähren zu
lassen"(151).

Die Haltung des Glaubenden, die sich daraus ergibt, kann man im
Sinne des Vf. mit den Stich Worten „Sendung" (168) und „Freude über
das Heil des Anderen" (177) zusammenfassen. „Christus in dem, was
er ist, wahrhaft zu loben heißt, ihn als den Sendenden und so bereits
auf unseren Nächsten Bezogenen . . . wahrhaben zu wollen" (168).
Denn die Homologie kann Jesus nicht „Christus" nennen, ohne in
seiner Intention auf das Heil anderer hin zu stehen. „Mut zum Sein
Jesu Christi" (171) nennt der Vf. dieses Bestimmtwerden des Glaubenden
von Jesus Christus etwas mißverständlich. Denn es ist nicht
gemeint, daß wir das Sein Jesu Christi zu wiederholen (vgl. 173) oder
gar das Heil für andere selbst ins Werk zu setzen hätten. Indem aber
die Freude am Heil des anderen ebenso ein „inneres Moment" (175)
des eigenen Heils ist wie das Leiden am Unglauben des anderen ist
ausgeschlossen, daß es im Glauben an Gott zu einer Isolierung des
eigenen Heils kommen kann.

In der theologischen Einübung dieses für den christlichen Glauben
eigentlich selbstverständlichen Sachverhalts liegt die Bedeutung
dieser Arbeit. Sie zielt auf eine Verkündigung, der die Beziehung des
Glaubenden auf den Nächsten nicht erst nachträglich durch die
Ermahnung zur Nächstenliebe hinzugefügt werden muß. Sie wehrt
damit der Moralisierung und Vergesetzlichung des Glaubens vom
Gottes- und Glaubensverständnis her. Leider geht die Arbeit auf die
Frage, welche Konsequenzen die Beziehung des Glaubenden auf das
Heil anderer Menschen für die christliche Ethik hat, nicht mehr explizit
ein. Es liegt aber auf der Hand, daß die vollzogene „Verabschiedung
des Heilsegoismus" den tätigen Einsatz für andere ebenfalls mit
Glaubensakt ursprünglich zusammendenken muß.

Verwunderlich ist, daß die Dimension der Gemeinde in der ganzen
Arbeit so gut wie gar nicht in den Blick tritt. Darum spielen auch theologische
Entwürfe, die die Frage des „Heilsegoismus" von daher angehen
(D. Bonhoeffer!), für den Vf. ebensowenig eine Rolle wie
solche, die das Christsein ursprünglich als Zeugenschaft verstehen.