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Ausgabe:

1984

Spalte:

745-747

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Titel/Untertitel:

Glaube und Toleranz 1984

Rezensent:

Reventlow, Henning

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Theologische Literaturzeitung 109. Jahrgang 1984 Nr. 10

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Meinung nach keine Versöhnung zwischen Gott und Mensch möglich
sei, wenn Christus Fleisch von Maria, der sündigen Adamstochtcr,
angenommen habe. Nur unter der Voraussetzung, daß Christus keine
Substanz von Maria ererbte, sondern sich in ihrem Körper so entwickelte
wie ein Saatkorn in einem Acker, habe er das reine Sühneopfer
werden können, welches die Sünden der Menschheit tilgte. Die
Menschheit Christi aus der Gottheit herzuleiten, hielt Mikron wiederum
für völlig absurd, und mit der Leugnung der wahren Menschheit
Christi schien ihm auch eine Negation der Versöhnung zwischen Gott
und Mensch gegeben zu sein.

In der Sache kamen sich die beiden Disputanten keinen Schritt
näher. In der Argumentation war Mikron dem wenig flexiblen Menno
weit überlegen, der sich auf stereotype Wiederholungen und vorschnelle
Verdammungsurteile fixierte. Überhaupt dürften beim Leser
dieses Protokolls einige Zweifel entstehen im Hinblick auf die These,
daß die Täufer zu den Bahnbrechern der religiösen Toleranz zu zählen
sind.

Die Ausgabe ist sorgfaltig kommentiert, hervorragend gedruckt und
mit einer instruktiven Einleitung in niederländischer und englischer
Sprache versehen. Man vermißt freilich Hinweise auf neuere Literatur
zu Menno Simons und Melchior HolTman, die in deutscher und
englischer Sprache erschienen ist. Auf zwei Übersetzungsfehler in der
englischen Einleitung sei hingewiesen: "Eenc hardt grondtlickc
scherpe sendebrief" muß im Englischen lauten: "A stern and fundamental
Epistlc" (nicht ..rudimentary", S. VII). "Wat men van de
Misse hounden sal" heißt Englisch: "What wc should think of the
Mass", nicht "What one should retain of the Mass", (S. XI).

Zum Schluß muß man sich freilich fragen, ob sich die Mühe und die
Kosten für diese gut lesbare, sorgfältige, aber auch sehr teure Ausgabe
gelohnt haben. Sachlich bringt dieses Streitgespräch nichts Neues
Alle relevanten Argumente für und gegen die monophysitische Chri-
stologie sind zwischen Bucer und Hoffman schon auf der Straßburger
Synode von 1533 ausgetauscht und von Menno Simons und Johannes
ä Lasco I 544 wiederholt worden. Die vorliegende Disputation macht
nur deutlich, welch hohen Stellenwert dieser bizarre dogmatische
Streitpunkt in den Auseinandersetzungen zwischen Reformierten und
Täufern hatte und welch trübe irdische Leidenschaften das Gespräch
überden „himmlischen Christus" vergifteten.

l reiburg Klaus Deppermann

Rendtorff. Trutz JHrsg.]: Glaube und Toleranz. Das theologische Erbe
der Aufklärung. Gütersloh: Gütersloher Vcrlagshaus Gerd Mohn
1982. 312 S. 8*. Kart. DM32,-.

Der im Herbst 1981 in Wien veranstaltete „Europäische Theologenkongreß
" war aus Anlaß des 200jährigen Jubiläums des Tolcranz-
edikts Josephs II. dem Thema „Toleranz" und im weiteren Sinne der
Aulklärung, ihren historischen Formen und ihrer bleibenden Bedeutung
für die heutige Theologie gewidmet. In dem vorliegenden Sammelband
sind die vier Hauptvorträge dieses Kongresses und siebzehn
weitere Beiträge aus allen theologischen Disziplinen enthalten.

Eindrucksvoll schildert Heinrich Lutz, Wiener Historiker, vor
allem die Vorgeschichte des Toleranzcdikts von 1781: den lang-
dauernden Gewissenskonflikt zwischen der sich als Landesmutter für
den katholischen Glauben ihrer Untertanen verantwortlich fühlenden
Maria Theresia und ihrem dem Zeitgeist aufgeschlossenen Sohn, der
gleich nach dem Tode der Mutter eine (wenn auch eingeschränkte)
Duldung der Protestanten und Orthodoxen freigab (Das Tolcranz-
edikt von 1781 im Kontext der europäischen Aufklärung. 10-29).
Weitcrc Einzelheiten über die dem Edikt vorausgegangene Entwicklung
und seine unmittelbaren Folgen ergänzt der Sektionsvortrag von
P. F. Barton: Toleranz und Toleranzpatente in der Donaumonarchie
(272-287). Er macht vor allem auch die engen Grenzen deutlich,
die der Toleranz gegenüber nichtkatholischen Minderheiten selbst
unter Joseph II gesetzt waren. Ihren vorwiegend katholischen Charakter
behielt die Donaumonarchie bis zu ihrem Ende bei. wenn auch mit
allmählich größer werdenden Freiheiten für die religiösen Minderheiten
.

Alle übrigen Beiträge stellen in irgendeiner Form die mehr grundsätzlichen
und Für die gegenwärtige theologische Problematik bedeutsamen
Aspekte des Gesamtthemas in den Vordergrund. Einzig von
exegetischen Vorträgen (S. Herrmann: Grenzen der Toleranz im
Alten Testament. Die Bücher Dcuteronomium, Jeremia und Hiob.
180-190; H.-P. Müller, Erkenntnis und Verfehlung. Prototypen
und Antitypen zu Gen 2-3 in der altorientalischen Literatur,
191-210: K. Koch, „Adam, was hast du getan?" Erkenntnis und Fall
in der zwischentestamentlichen Literatur. 211-242; H. Weder,
Eleutheria und Toleranz, 243-255; in diese Gruppe ist auch der Beitrag
von O. Kaiser: Gottesgewißheit und Weltbewußtsein in der
frühhcllenistischen jüdischen Weisheit [Koh; Sir], 76-88, einzuordnen
) muß man sagen, daß sie teilweise nur in sehr losem Zusammenhang
zum Kongreßthema standen. Möglicherweise ist das eines der
Anzeichen für die Grundproblcmatik, die nach wie vor den historisch
-kritischen Umgang mit der Bibel kennzeichnet, ihrerseits Folge
der Aulklärung und hermeneutisch noch nicht befriedigend gelöst. Sie
ist Gegenstand des Hauptvortrags von J. Barr: Bibelkritik als theologische
Aufklärung, 30—42. Barr sieht allerdings die Situation anders:
in der empiristisch geprägten englischen Tradition stehend, begegnet
erder kontinentaleuropäischen Neigung, philosophische Interpretationsmuster
(wie die existentialistische Philosophie Heideggers bei
Bultmann) für das Verständnis der Schrift heranzuziehen oder die
Hermeneutik zu thematisieren, mit gewisser Skepsis. Historischkritische
Exegese bleibt für Barr im traditionellen Sinne „akade-
misch'Vhistorisch" - wobei er allerdings Aspekte wie den wirkungsgeschichtlichen
und den literaturwissenschaftlichen (er selbst ist ein
Protagonist der biblischen Semantik) durchaus mit einschließt. Hier
bedarf manches weiterer Diskussion.

Von den systematischen Beiträgen ist als Hauptvortrag G. Eßeling
: Die Toleranz Gottes und die Toleranz der Vernunft. 54-73. an
erster Stelle zu nennen. Ebeling untersucht Luthers gelegentliche
Rede von der tolcrantia Dei und macht deutlich, wie Luther mit dieser
Formulierung Gottes Bereitschaft schildern kann, die in seinem Reich
zur Linken noch vorhandene Sünde um der Erfüllung seines Heilsplanes
willen zu dulden, ja diese im Christusgeschehen mit der seinen
Zorn aulßebcndcn Liebe zu umgreifen. Diese Verwendung des Begrif-
fes ist gewiß weit von dem Tolcranzbcgriff der Aufklärung entfernt;
doch sollte die damit gemeinte Sache für gegenwärtiges theologisches
Nachdenken über christliche Toleranz stets mitbedacht werden. Notwendigkeit
und Grenzen der Toleranz sind mit der Wahrheitsfragc
unlöslich verknüpft. G. Sauters Beitrag: Wahrheit und Toleranz,
128-1.37, versucht ebenfalls, über die relativierende Auffassung von
Toleranz, die keine letztlich gewisse Erkenntnis kennt und deshalb die
Wahrheitsfragc offenläßt, zu Luthers Glaubensverständnis zurückzutragen
, (iewißheit gewinnt christlicher Glaube durch den Heiligen
(ieist im Blick auf die Offenbarung Gottes in Jesus Christus; aber
zugleich weiß dieser Glaube auch um die Verborgenheit und Freiheit
Gottes - und in der Hoffnung auf die allen Menschen geltende Erlösung
duldet er nicht nur den Andersgläubigen, sondern nimmt ihn als
Mitmenschen, der unter der gleichen Hoffnung steht, an. In diesen
Rahmen fügt sich auch das Verständnis von „Toleranz", das
H Bürkle für den christlichen Missionsauftrag von heute entwickelt
(Toleranz und Sendungsauftrag, 138-144): es geht um die Vermittlung
des C'hristuszcugnisscs in fremde Völker und Kulturen hinein,
die deren Identität nicht aufhebt, sondern sie gerade in ihrer jeweiligen
Besonderheit in die universale Kirche Christi einlügt und deshalb
diese jeweilige Herkunft ernst nimmt.

Eine Reihe von Beiträgen beschäftigt sich schließlich mit der Relevanz
des Gesamtthemas im kalcchetischcn und rcligionspädagogi-
schen Bereich: R. Lcucnbcrger, Glaubensfreiheit und religiöse
Erziehung. 43-53 (HauptVortrag); G. Adam. Toleranz als Problem
des Religionsunterrichts. 145-156: W. Grünberg. Aufklärung