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Ausgabe:

1984

Spalte:

731-733

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Fowler, Robert M.

Titel/Untertitel:

Loaves and fishes 1984

Rezensent:

Schille, Gottfried

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Theologische Literaturzeitung 109. Jahrgang 1984 Nr. 10

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Es ist ein bemerkenswerter Weg. der mit diesem Argumentationsgang
abgeschritten wurde: Aus dem Wort, das die Torheit des Kreuzes
als Gotteskraft verkündigt, ergibt sich schließlich unmittelbar das
Interesse des Paulus am .historischen Jesus'! Was immer die Chiffre
.geschichtliche Identität Jesu' heißen mag: Niemand wird dem Verlässer
widersprechen, wenn er konstatiert, daß bei Paulus keineswegs
„die geschichtliche Identität Jesu aufgegeben und durch die mythologische
Identität eines präexistenten göttlichen Wesens ersetzt worden"
ist (233). Wie könnte es anders sein, da doch der Präexistente den Tod
am Kreuz stirbt! Doch ist diese Feststellung eines, ein anderes das
bloß angebliche Desinteresse des Paulus am .historischen Jesus'; denn
die von niemand bestrittene geschichtliche Realität des Kreuzes Jesu
bei Paulus entscheidet noch nicht die Frage, welche Bedeutung der
.historische Jesus' für die Theologie des Paulus haben möchte.

Dazu kommt, daß der Verlässer die theologische Situation der letzten
Jahrzehnte spürbar verzeichnet, wenn er im Gegenüber der Positionen
dem Begriff .historischer Jesus' das .geschichtliche Ereignis',
dem Begriff .kerygmatischer Christus' aber den geschichtslosen
Mythos zuordnet. Der Geschichtsbezug einer Kerygmatheologie, die
sich mit Paulus als theologia crucis oder mit Johannes als theologia
incarnationis versteht, leidet auch ohne den exegetisch problematischen
Rückgriff auf den sogenannten historischen Jesus keinen
Zweifel.

Erst im zusammenfassenden Schlußteil der Arbeit (225-251) stellt
der Verfasser fest, daß das Problem seiner Untersuchung für Paulus
selbst „als Problem überhaupt nicht bestand". Er hält es aber - mit
Recht-für „legitim, wenn der Ausleger die (neuzeitliche) Unterscheidung
von historischem Jesus und kerygmatischem Christus an die
paulinischen Briefe heranträgt, sofern er . . . darauf verzichtet, seine
eigenen Unterscheidungen für die des Paulus auszugeben" (226).
Gerade diesen Verzicht, so scheint mir, hat Weder nicht geleistet,
wenn er den exegetischen Nachweis versucht, daß Paulus pointiert
vom Kreuz Jesu spricht, um den (für ihn ganz unproblematischen)
Gesehichtsbezug des Glaubens darzutun, und wenn er auf dieser
Grundlage eine .systematische' Lösung des Problems .Paulus und der
historische Jesus' vorlegt, ohne die traditionsgeschichtlichen Probleme
der (synoptischen) Jesusüberlieferungen im mindesten anzusprechen
: Die in diesen kritischen Bemerkungen angesprochene radikale
Vereinfachung einer diffizilen und vielfältig differenzierten
historischen und überlieferungsgeschichtlichen Fragestellung läßt es
nicht zu, die vorliegende Untersuchung, die ein großes Thema mit
bemerkenswertem Mut anfaßt und überaus anregend durchfuhrt,
anders als im Sinne des insofern bescheidenen Verfassers zu verstehen,
nämlich „als tastenden Versuch" (6), über den Geschichtsbezug des
christlichen Glaubens nachzudenken.

Berlin (West) Walter Schmithals

Fowler. Robert M.: Loaves and Fishes. The Function of the Feeding
Stories in the Gospel of Mark. Chico, CA: Scholars Press 1981. IV,
258 S. 8° = Society of Biblical Literature. Dissertation Series, 54.
$ 15.-.

Die vorliegende Arbeit ist eine Dissertation, die aus einer Seminararbeit
entstanden ist, welche seinerzeit noch von Norman Perrin
betreut worden war (Preface). Vordergründig geht es um die Frage, wie
das Verhältnis der beiden Speisungserzählungen Mk 6,30-44 und
8,1-10 zueinander und im ganzen des Evangeliums zu bestimmen ist.
Aber forschungsgeschichtlich hat die Arbeit einen eigenen Rang, weil
sie am Beispiel der Speisungsgeschichten methodische Fragen zur
Erweiterung der Redaktionsgeschichtlichen Betrachtungsweise stellt.
F. bemüht sich zu zeigen, daß man nicht nur die Differenzen zwischen
Uberlieferung und literarischem Konzept eines Autors nachweisen
muß, sondern auch nach dem Warum der vorliegenden Komposition
fragen sollte und damit die „redactional" creation (S. 181 f) durchsichtig
machen. Er nennt die neue Betrachtungsweise auf S. 181 literary

critical. Im Bedenken dieser Gesichtspunkte erhält seine Arbeit bleibenden
Wert.

Kapitel I (S. 5-42) bespricht zunächst ältere Vorschläge zur f rage der
..Dubletten" bei Markus. Vornehmlich an der Annahme, in Mk 4-8 liege eine
durchgängige Doppelerzählung vor, die auf einen vormarkinischen Überliefe -
rungszusammenhang zu schließen erlaube, übt F. Kritik (S. 148 und 181). Das
Kapitel endet mit der eigenen Gegenthese (S. 370 und der Darstellung der
neuen methodischen Einsichten (S. 3811). Nimmt man die knappen C'onclu-
sions hinzu, die jedem Teilabschnitt nachgestellt sind, so erfährt der Leser stets
sofort, was er zu erwarten hat. Das macht die Lektüre zu einer Freude.

In Kapitel II (S. 43-90) untersucht F. die beiden Texte vokabelstatistisch mit
dem Ergebnis, daß Mk 8.1-10 auf eine von Markus um V. I f und 10 (und V. 7,
dazu noch weiter unten) erweiterte Vorlage zurückgehe. Mk 6.30—44 erscheint
demgegenüber last durchweg als markinisch (S. 89). woraus F. folgert, es handle
sich um eine markinischc Transformation der in Mk 8 (als model) benutzten
Vorlage. Kapitel III (S. 91-148) will dies erhärten: Die Dubletten des Evangeliums
werden als literarische Stilmittel erklärt, durch welches Markus seinen
Lesern bestimmte Einzelheiten bewußt machen wollte. Kapitel IV (S. 149-179)
führt eine Anzahl weiterer Stilmittel auf, die eine Autor-Leser-Relation erkennen
lassen. Hierbei hält sich F. an Wayne Booth, dessen Beobachtung einer
reader-response und der irony in literature (auch S. 9611) ihn besonders inspiriert
haben (S. 182). Markus, der ungefähr zur Zeit des Jüdischen Krieges
geschrieben habe, kritisiere all things Jewish in his Christian heritage (S. 182t).
Als Kapitel V (S. 181-183) folgt eine Zusammenfassung, sodann die getrennt
wiedergegebenen Anmerkungen. 3 Appendixes und ein 20seitiges selectcd
Literaturverzeichnis.

Mir gefällt die methodische These besser als die Durchführung am
Stoff im einzelnen! Denn so gern ich F. abnehme, daß hinter Mk 8
eine (durch mehrere Hapaxlegomena ausgewiesene) Überlieferung
steht, so wenig überzeugt mich, daß Mk6,30ff wegen seiner weitgehend
markinischen Sprache und Diktion einzig auf den Autor
Markus zurückzuführen sei. Das ist ja gerade der Trugschluß der in
der Redaktionsgeschichte bevorzugten vokabelstatistischen Methode!
Gewiß, ein literarisch geübter Autor prägt die verwendeten Stoffe so
um, daß sie seiner Sprachgewohnheit ganz und gar entsprechen. Aber
trotzdem bleiben sie ja eben vorgegebene Stoffe! F. gibt bei Mk 6 auch
durchaus zu, die Zahlenangaben dort - und hierbei handelt es sich
nicht nur um eine einzige Relation! - würfen einige Fragen auf(S. 83).
Nun kann man doch aber mit dem Argument einer Transformation
auf gar keinen Fall Zahlensteigerungen (von 4 000 auf 5 000, von 7
auf 5 Brote, von „einigen" auf zwei Fische usw.) der vorliegenden Art
erklären, zumal die Transformation den Sinn haben soll, die traditionelle
Geschichte mit den kleineren Zahlen vorzubereiten! Hier traut
F. einer Transformation zu. was eine solche nicht leisten kann. Kurz:
die Durchführung der im ganzen brauchbaren These läßt eine ganze
Anzahl von Fragen offen.

Ich möchte hieran einige Bemerkungen zur Methode schließen,
wobei ich über die vorliegende Arbeit hinausgehen will. Das Programm
der „klassischen" Redaktionsgeschichte ist heute so weit ausgelotet
, daß man ohne weiteres die verstehen kann, die über den dort
abgesteckten Rahmen hinauswollen. F. gehört offenbar zu ihnen.
Aber seine Stoßrichtung geht m. E. nicht in eine allgemeiner förderliche
Richtung. Ich gebe zu, daß im Nachgang zur linguistischen
Anfrage der Gedanke naheliegt, man könne die Redaktionsgeschichte
auf dem literarischen Sektor ausweiten, indem man sie zur Literatur-
Theorie ausbaut. Aber hatte die klassische Redaktionsgeschichte
wirklich nur den Aufweis der Besonderheiten eines Autors und nicht
auch schon dessen Neuschöpfung im Visier? So ist wahrhaft Neuartiges
hier kaum noch zu holen! Anders sehen die Dinge auf dem Feld
der Überlieferungsgeschichte aus, das seit Jahrzehnten brach liegt.
Zwar war Traditionsgeschichte schon am Anfang der Formgeschichte
im Blick. Aber die redaktionsgeschichtliche Ausschließlichkeit der
jüngsten Jahrzehnte hat manche gute ältere Einsicht vom Tisch
gewischt. Traditionsgeschichte als die Frage nach der Tiefendimension
vorliegender Texte wäre folglich ein Programm, dem man gegenwärtig
seine Kraft widmen könnte, zumal es als Ergänzung und Sicherung
vieler redaktionsgeschichtlicher Ergebnisse dienbar wäre. Leider
hat F. in dieser Richtung methodisch sein Ergebnis nicht abgesichert.