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Ausgabe:

1984

Spalte:

729-731

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Weder, Hans

Titel/Untertitel:

Das Kreuz Jesu bei Paulus 1984

Rezensent:

Schmithals, Walter

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Theologische Literaturzeitung 109. Jahrgang 1984 Nr. 10

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Neues Testament

Weder, Hans: Das Kreuz Jesu bei Paulus. Ein Versuch, über den Geschichtsbezug
des christlichen Glaubens nachzudenken. Göttingen:
Vandenhoeck & Ruprecht 1981. 273 S. gr. 8' = Forschungen zur
Religion und Literatur des Alten und des Neuen Testaments, 125.
Kart. DM 38,-; Lw. DM 56,-.

Wie der Untertitel sagt, dient die paulinische Kreuzestheologie dem
Verfasser als Modell, anhand dessen der Geschichtsbezug des christlichen
Glaubens bestimmt werden soll.

Einleitend macht er .Bemerkungen zur Problemstellung' (11-48).
Er unterscheidet zwischen dem Bezug des Glaubens auf die Geschichte
Jesu Christi, mit dem sich die Problematik der Frage nach
dem historischen Jesus verbindet, und dem Bezug auf den jeweiligen
geschichtlichen Ort des Glaubenden selbst. Beide Bezüge treffen sich
in der auslegenden Vergegenwärtigung des Offenbarungsgcsche-
hens.

Der neuzeitliche Ort des Glaubens wird einmal von der Religionskritik
bestimmt, die der Geschichte Jesu Christi den Offenbarungscharakter
überhaupt abspricht, zum anderen vom Niedergang der
abendländischen Metaphysik, durch den es schwer wird, Gott und
Geschichte zusammenzudenken.

Angesichts dieser Schwierigkeit will der Verfasser in einem ersten
Teil seiner Arbeit fragen, wie sich gegenwärtige Historiker auf
Geschichte beziehen, um mit den dabei gewonnenen geschichtstheo-
retischen Kategorien an die Kreuzestheologie des Paulus heranzugehen
, nicht ohne bei diesem zweiten Schritt diese Kategorien selbst
einer theologischen Interpretation zu unterziehen.

Dies erscheint alsein geschlossenes und sinnvolles Programm.

Das erste Hauptkapitel (49-1 19) stellt das Verhältnis des Historikers
zu seinem Gegenstand, der Geschichte, anhand der analytischen
Geschichtstheoric in Umrissen dar, und zwar vor allem aufgrund
der Entwürfe von A. C. Danto und H. Lübbe. Dabei begibt sich
der Verfasser,,auf ein Gebiet, das außerhalb seines bisherigen Arbeitsfeldes
liegt" (6)- erst recht der Rezensent. Da der Verfasser aber in der
Regel die aus der analytischen Geschichtsphilosophie übernommenen
Einsichten an seinem Thema, der Geschichte Jesu Christi, exemplifiziert
, bleiben das Dargelegte und sein Verständnis kontrollierbar
.

Die Objektivität geschichtlicher Ereignisse zwingt dazu. Texte, die
sich auf geschichtliche Ereignisse beziehen, auf diese Ereignisse hin zu
.hinterfragen' - so auch das .Wort vom Kreuz'. Die Relativität der
Geschichte selbst und der Erkenntnis der tieschichte läßt nur bedingte
Begegnungen mit der Geschichte zu. Das Subjekt der Gcschichtser-
zählung ist ein .Referenzsubjekt', nicht ein .Handlungssubjekt': das
.Wort vom Kreuz' wiederholt nicht einfach Jesu eigenes Verständnis
seines Todes, sondern berichtet diesen Tod aus der Optik der glaubenden
Gemeinde. Die Einzigkeit Gottes begründet das Interesse der
Theologie an der Universalgeschichte. Der Kategoriedes Einzelnen in
der Geschichte entspricht die Sprachform der Erzählung. Eine
GeschichtS-Erzählung bezieht sich auf wirklich Geschehenes, wenn
sie auch die bloße Faktizität des Geschehenen so überschreitet. Wiedas
historische Faktum des Kreuzes und das Extra nos des Heils
zusammengehören. Der Gegenwartsbezug des Geschichtlichen - in
diesem Fall des geschichtlichen Jesus - kann weder unter Absehung
vom geschichtlichen Ereignis selbst noch unter Abschung vom
Kcrygma als der Zukunft dieses Ereignisses begegnen.

Dies alles leuchtet im wesentlichen ein, wird freilich im zweiten
Hauptkapitcl, das Für sich selbst steht, nur sporadisch und unsystematisch
wieder aufgegriffen.

Das zweite Hauptkapitcl (121-224) befaßt sich mit dem Kreuz Jesu
in den paulinischen Briefen. Schon in der Einleitung (42f) hatte der
Verfasser darauf aufmerksam gemacht, daß erst Paulus pointiert vom
Kreuzestod Jesu (statt vom Tod Jesu, seinem Sterben, seinem Blut)
spricht. Dies könne keine zufällige Variation sein, doch stelle sich die

Frage, ob Paulus mit seiner betonten Rede vom Kreuz lediglich ,anti-
doketisch' die Faktizität des Historischen betonen oder ob, wie anzunehmen
sei, das Interesse des Apostels am dezidierten ,Wort vom
Kreuz' weiterreiche.

Damit sind zwei Vorentscheidungen gefallen: Die pointierte Rede
vom Kreuz Jesu ist nicht traditionell, sondern paulinisch; und: ein

Interesse an der Faktizität des Historischen verrät sich in dieser Poin-

*

tierung in jedem Fall.

Der Verfasser geht die einschlägigen Stellen der authentischen
Paulusbriefe in folgender Reihenfolge durch: 1 Kor 1,13.17.
18-25.26-31; 2,1-5. 6-16; 2Kor 13,4; Gal2,19 und Rom 6,6;
Gal 3,1.13; 5,11.24; 6,12.14; Phil 2,8; 3,18.

Daß Paulus mit Pointierung des Kreuzes nicht nur den Geschichtsbezug
des Glaubens betonen will, erweist sich z. B. an 1 Kor 1,26-31.
Mit der Hilfe der Erfahrung, daß Gott Nichtiges berufen und das
Nichtseiende auserwählt hat, interpretiert Paulus das .Wort vom
Kreuz'. Die Weisheit, die in der Niedrigkeit und Torheit des Kreuzes
begegnet, führt zum Ruhm dessen, „der des Selbstruhms Ende ist"
(160). Dementsprechend begegnet auch in 2Kor 13,4 „die Identität
des in Schwachheit gekreuzigten Jesus als unsere eigene Identität"
(175) und - so zu Phil 2,8 - „befreit das Handeln aus seiner Verhaftung
mit der Herstellung des Lebens" (217).

Diese zentralen Gedanken der paulinischen theologia crucis werden
vom Verfasser auch sonst sachgemäß auf den Bahnen Luthers,
Barths und Bultmanns und - manchmal etwas affektiert - in der Sprache
von Fuchs und Jüngcl dargeboten. Freilich begegnen sie weithin
als .systematische' und abgehoben von den konkreten historisch-exegetischen
Analysen, die der Verfasser in die Anmerkungen verdrängt
. Indessen bedürfen sie als systematische auch kaum einer
exegetischen Einzclbegründung, da ein Konsensus im Verständnis der
paulinischen Theologie besteht, dem Weder sich selbständig, differenziert
und überzeugend anschließt.

Das wesentliche Gewicht dieses zweiten Hauptkapitcls liegt freilich
auf dem Versuch nachzuweisen, daß Paulus vom Kreuz, so pointiert,
wie er es tut, vor allem deshalb spricht, weil er sich gegen eine Aufhebung
der Geschichte Jesu Christi wendet.

Diese These begründet der Verfasser vor allem mit I Kor 1,17 fT. Die
Entleerung des Kreuzes meine nicht primär die Vernichtung seiner
Hcilsbedeutung, sondern seine Aufhebung als geschichtliches Ereignis
(127ß; denn die korinthischen Weisheitslehrer hätten das Kreuz
wahrscheinlich als „Symbol für eine allgemeine Wahrheit" bzw. „als
bloßes Durchgangsstadium im mythologischen Erlösungsdrama"
(132) verstanden. Diese Wahrscheinlichkeit mag man Weder zugestehen
. Indessen wendet Paulus sich in IKorl,l2ff gegen die korinthische
Weisheit nicht deshalb, weil sie die geschichtliche Einmaligkeit
des Kreuzes, sondern weil sie die Torheit des Kreuzes, also das
Kreuz als Gottes kräftige Heilstat, aufhebt.

Der Verfasser geht aber weiter. Verteidigt seiner Meinung nach
Paulus das Kreuz gegenüber den korinthischen Irrlchrern als
geschichtliches Ereignis, so „ist das Wort vom Kreuz auf das Daß und
das Wie der Geschichte des Kreuzes angewiesen" (146). Darum kann
Christus als Gotteskraft „nicht anders als durch die Erzählung der
Geschichte seines Kreuzes und seiner Aufcrwcckung zur Sprache
kommen. Das gilt auch und gerade für Paulus, dessen Kreuzestheo-
logic narrative Elemente einschließt" (1550-eine Feststellung, die
keinen festen Anhalt an den paulinischen Briefen hat, darum als
Postulat auftritt und überdies deshalb überrascht, weil Weder, folgt
man dem letzten Zitat, auch die Auferstehung Jesu parallel zu seinem
Kreuz als .geschichtliches' Ereignis versteht, das angemessen erzählt
werden muß.

Hat aber das Was und das Wie des Todes Jesu überragende Bedeutung
für Paulus, dann auch, so heißt es zu Gal 3,13, das „geschichtliche
Dasein Jesu" überhaupt (190) bzw. die Frage „nach dem historischen
Sein Jesu" (244). so daß der Verfasser sich schließlich gegen
„ein angebliches Desinteresse des Paulus am historischen Jesus"
wendet (231).