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Ausgabe:

1984

Spalte:

49

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Titel/Untertitel:

Kirche in Preussen 1984

Rezensent:

Holtz, Gottfried

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49

Theologische Literaturzeitung 109. Jahrgang 1984 Nr. I

50

Selbstvernichtungskampf der europäischen Völker und die Fellachi-
sierung ihrer Menschen herbeiführen. Nur unter der Herrschaft des
Sozialismus könnte die revolutionäre Romantik (NS-Bewegung) von
ihrem verhängnisvollen Weg abgebracht werden. Auf keinen Fall hätten
die zehn Thesen Tillichs über „Die Kirche und das Dritte Reich"
(1932) ausgeklammert werden dürfen, in denen die Blut- und Rassenideologie
des Nationalismus scharf verurteilt und dem Heidentum des
Hakenkreuzes das Kreuz des Christentums entgegengestellt wird.

Diese Beispiele zeigen, daß die handbuchartige Kürze der Behandlung
zentraler Fragen auch die Gefahr der Verkürzung und Verzeichnung
mit sich bringt. Aber die Themen: Barth/Tillich in der Weimarer
Republik hätten jeweils eine eigene Monographie erfordert. So
wird man bei der Behandlung von Themen mit kontroversem Forschungsstand
solche Defizite in Kauf nehmen müssen. Auls Ganze
gesehen mindern sie den Wert der Untersuchung nur unwesentlich.
K. Nowak hat mit seiner Habilitationsschrift eine überzeugende Leistung
vorgelegt. Gesamtüberblicke werden in der Regel auf dem Zenit
oder am Ende eines Forscherlebens gewagt. Dem Vf. ist zuzubilligen,
daß er hoch gegriffen hat, aber nicht zu hoch. Sein Buch kann als beste
und sicher noch für längere Zeit maßgebende Gesamtdarstellung der
Geschichte der evangelischen Kirche in der Weimarer Republik bezeichnet
werden.

Göttingen Hans-Walter Krumwicde

Richter, Manfred [Hrsg.]: Kirche in PreuBen. Gestalten und Geschichte
. Stuttgart-Berlin-Köln-Mainz: Kohlhammer 1983.212 S.
8* Kart. DM 34,-.

Der Band steht im engen Zusammenhang mit dem neueren Interesse
an Preußen. Der Herausgeber M. Richter spricht einleitend von
dem Eindruck, daß in Preußen die Kirche „im Schatten des Staates"
bleibe und „kirchliche Struktur und christliche Gesinnung sich so
stark mit dem Staat verbanden, daß ihr eigenes Profil kaum mehr
erkennbar ist.. . Von der Aufhebung der Religion in den Staat sprach
dann in Berlin der Philosoph Hegel, in die Gesellschaft in Bonn der
Theologe Rothe." (13) Tatsache ist, daß es weder eine „Kirchengeschichtc
Preußens" noch eine „Kirchengeschichtc Brandenburgs"
gibt, während es doch mehr als eine Kirchengeschichtc Mecklenburgs
oder Sachsens oder Thüringens gibt. Der vorgelegte Sammelband enthält
Vorträge über einzelne Gestalten, er will „Schlaglichter auf die.
Geschichte der Kirchen" werfen (15).

Das geschieht durch folgende Beiträge: M. Richter, Kirche in PreuBen -
Aufgaben aus der Geschichte; A. Raddatz, Paul Gerhardt - der Lutheraner
im Streit mit dem reformierten Herrscherhaus; M. Kruse, Philipp Jacob
Spcner und August Hermann Franckc - Preußen und der Frühpictismus; C.
Gest ric h. Friedrich Daniel Ernst Schlcicrmacher-Christentum in der Nachbarschaft
zu Aufklärung und Idealismus; R. Staats, Emst Moritz Arndt -
seine Wirkungen in der Deutschen Geschichte; C.-J. Kaltenborn, Die protestantische
Religion Adolf von Harnacks; E. Bethgc, Dietrich Bonhoefler -
Widerstand in preußischer Tradition?; R. v. Thadden, Wie protestantisch
war Preußen? Gedanken zur evangelischen Kirchengeschichtc Preußens; R.
Till, Preußen und der Katholizismus; W. M. Heidemann, Preußen und die
Mcnnoniten; I. Heinrich-Jost, Die politische Publizistik AdolfGlaßbren-
ners; K. Scharf, Kirchlicher Widerstand im Dritten Reich - Bekennende
Kirche; E. K lausener. Zum Widerstand der Katholiken im Dritten Reich;
W. Gastpary. Bischof Julius Bursche im Kampf um eine evangelische
Kirche in Polen.

Es verwundert etwas, daß ein spezieller Beitrag über die Reformation
in Preußen im Lutherjahr 1983 fehlt; sie erscheint S. I6f sowie
bei R. v. Thadden mit der Feststellung: „Luther hatte der Well zu
einem neuen Bewußtsein ihrer Weltlichkeit verholfen; in Brandenburg
-Preußen war damit das Tor zu einer Entwicklung gcölTnct. die
bald beim absoluten Vorrang des Staates gegenüber der Kirche
endete" (127). Dieser Satz kann zum Nachdenken anregen über Brandenburg
-Preußen wie über Luther.

GH.

Dogmen- und Theologiegeschichte

Nicolai de Cusa Opera omnia iussu et auetoritate Academiae Littera-
rum Heidelbergensis ad codicum fidem edita, Bd. XVII: Sermo-
nesll (1443-1452), Fasciculus I: Sermones XXVII-XXXIX a
Rudolf Haubst et Hermann Schnarr editi. Hamburg: Meiner 1983,
IV, 118 S., 4-. Kart. DM 186,-.

Dieser 2. Band, Fasz. 1 der Predigten des Nikolaus von Kues (NvK)
enthält die Predigten, die er 1443/44 in Trier und Koblenz gehalten
hat. Hatte NvK in den letzten (in Band I, Fasz. 4 noch zu edierenden)
Predigten die Leitideen von De docta ignorantia kerygmatisch umgesetzt
, so zeigen die hier zum ersten Male von R. Haubst und
H. Schnarr vollständig edierten Predigten einen anderen'NvK. Weit
stärker als vordem geht jetzt NvK vom Neuen Testament, aber auch
von der Selbsterfahrung des Menschen aus und erschließt so das stellvertretende
, erlösende Leiden (XXVIIf, XXXI-XXXV) und Auferstehen
des inkamierten Gottessohnes. Gerade in seinen Predigten - so
vorallem in der längeren Predigt zum Trinitatisfest 1444 (XXXVIII)-
geht NvK manuduktorisch vor, ein Grundzug seiner oft so spekulativen
Theologie.

Von drei Predigten liegen verschiedene Aufzeichnungen vor und
werden getrennt ediert, weil jede ihre eigene Gliederung hat bzw. eine
eigene Predigt darstellt. Die Pfingstpredigt von 1444 (XXXVII) liegt
in vier Entwürfen gar vor und enthält eine ganze Pneumatologie; das
gesamte Wirken des Heiligen Geistes wird in ihr dargestellt. Ihr 3. Teil
enthält fünfQuacstionen.

Die im zweiten Apparat sehr sorgfaltig ausgewiesene Quellenanalyse
deckt das intensive Studium der hochscholastischen Lehrtradition
durch NvK auf. Neben Petrus Lombardus werden Thomas,
Bonaventura, Bernhard, Richard von St. Viktor und weitere Scholastiker
, aber auch Augustin, Hieronymus und heidnische Autoren der
Antike von den Editoren nachgewiesen. Sie vermuten bei ihm auch
eine Kenntnis der „Theologia deutsch" und konstatieren ein zunehmendes
Interesse an Eriugena und Eckhart.

Den Predigten, die durchweg nach seinem Autograph (Cod.
Cus. 220) gedruckt worden sind, sind jeweils „Praenotanda" vorangestellt
. In ihnen werden zunächst Tag und Ort der gehaltenen Predigt
angegeben, dazu der Fundort in J. Kochs Kritischem Verzeichnis
sämtlicher Predigten (1942), dann werden die Handschriften genannt
und angegeben, ob die Predigten schon früher (d. h. 1514 in Paris
durch Faber Stapulensis oder 1565 in Basel durch H. Petri) gedruckt
worden sind, denn von den 13 hier edierten Predigten sind von I I vorher
Exzerpte gedruckt worden; schließlich wird die Gliederung der
jeweiligen Predigt genannt. Dann folgt der Text, dem das biblische
Thema vorangestellt ist.

Der Apparat ist drcigeteilt; der erste, der eigentlich kritische, dient
der Textgcstaltung; im zweiten werden die von NvK herangezogenen
Quellen nachgewiesen, der dritte gibt Parallelstellen bzw. Hinweise
aus der neueren Sekundärliteratur an. Die Editoren haben „Sammelstellen
" in den Apparaten eingerichtet, um sowohl die Vorgeschichte
erklärungsbedürftiger Begriffe wie verwandter Begriffe bei NvK selbst
zusammenfassen zu können und die leitmotivisch wiederkehrenden
Gedanken und typischen Formulierungen hervorzuheben. Der Apparat
ist außerordentlich umfangreich und zeichnet diese vor vergleichbaren
Editionen aus. Er ist wichtig für den Nachweis der Entwicklung
im Denken des NvK und für seine Kenntnis der patristischen und
scholastischen Väter.

In diesem Fasz. I des zweiten Predigtbandes der opera omnia des
NvK sind 13 der ca. 300 Predigten aus dem Zeitraum eines reichlichen
Jahres (April 1443-Juni 1444) enthalten. Aus seinen Predigten,
zu denen später die Menschen von weither geströmt sind, lernen wir
NvK besonders gut kennen, nicht nur als Redner, sondern vor allem
als Prediger, Theologen und Seelsorger. Wird die Edition seiner Predigten
einmal weiter fortgeschritten sein, wird unser Bild von NvK,
wenn auch vielleicht nicht ein völlig anderes, so doch ein tiefer