Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1984

Spalte:

694-695

Kategorie:

Referate und Mitteilungen über theologische Dissertationen und Habilitationen in Maschinenschrift

Autor/Hrsg.:

Geisthardt, Günter

Titel/Untertitel:

Theologische Konzeptionen von Gesellschaft 1984

Rezensent:

Geisthardt, Günter

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

693

Theologische Literaturzeitung 109. Jahrgang 1984 Nr. 9

694

Beitrag der Christen zu irdischer Gerechtigkeit und Frieden die Orientierung
an der Vernunft und der Sache ausreichend ist oder ob nicht
mitunter „unvernünftige" Kriterien anzuwenden sind, bleibt ungeklärt
."

Zu 2: Besonders in den ersten drei Kapiteln reflektiert Vfn. häufig
die Bedeutung, die das soeben von ihr Berichtete (der Vortrag, die
Tagung, die Phase) faktisch für die Gesamtentwicklung zur Konkor-
die hin gewonnen hat - oder nicht. So sagt sie z. B. (S. 161) zu den
Sehauenburger Thesen über das Gesetz: Fs ..stellt sieh die Frage, ob
die in Sehauenburg erreichte Klärung ausreichend ist. um Für den
gesamten Themenbereich .(leset/ und Evangelium' zur Feststellung
nieht-kirehentrennender Verschiedenheit zu kommen". Vfn. stellt
dann aber doch zu Sehauenburg 1965 fest, es habe ..auf dem Weg bis
1973 in Leuenberg. . . einen nicht unwesentlichen Platz, auch wenn
man - wie bei den .Thesen über das Wort Gottes' - nicht von einem
unmittelbaren Aufgreifen der .Thesen über das Gesetz' in Leuenberg
sprechen kann". - Oder zum Referat von M. Lienhard „Die Verwerfungen
in den Bekenntnisschriften" auf der Leuenberg-Tagung 1970:
Dieses Referat hat eine ..Nachwirkung . . . durch alle Entwürfe bis in
die Endfassung der Konkordie" gehabt. ..eine Wirkung, wie sie von
kaum einem anderen Referat festgestellt werden kann" (S. 338).

Zu 3: Anstelle solcher Versuche einer Einordnung findet sieh am
Schluß des IV. Kapitels eine Zusammenfassung der Diskussion über
die „Vorkonkordie" von 1971. Sic geschieht (S. 537-543) unter den
Stichworten ..Methode". ..Der Begriff der .Konkordie'". ..Die .Kirchengemeinschaft
bekenntnisverschiedener Kirchen'" und ..Das
.Umfeld' der Konkordie" (u. a. Verhältnis zu anderen Konsensustexten
). Diese Schwerpunkte der Diskussion haben sich durchgehalten
bis zur Beschlußfassung über die Konkordie 1973 und über diese
hinaus (vgl. im V. Kapitel S. 586-625: dort noch vermehrt um die
Stiehworte „Konkordie und Bekenntnis" sowie „Die kirehenreeht-
lichen Fragen der LK").

Auf die so konzipierten fünf Kapitel folgen noch eine „Schlußbetrachtung
", in der der Vfn. im Sinne ihres spezifischen Interesses
(vgl. oben zum Vorwort) noch einmal neu ansetzt, sowie in einem
„Nachwort" (S. 683-687) ein Vergleich mit einem Buch von Tuomo
Mannermaa (Von Preußen nach Leuenberg. Hintergrund und Entwicklung
der theologischen Methode in der Leuenberger Konkordie,
Hamburg, 1981).

In der Schlußbetrachtung (S. 643-681) geht es um „Die Leuenberger
Kirchengemeinschaft und die Einheit der Kirche". Vfn. zieht dazu
nunmehr ökumenische Modelle für Einigung der Kirchen heran,
nämlich „Konziliarc Gemeinschaft", „Organische Union". „Versöhnte
Verschiedenheit" und bei ..Kirchengemeinschaft" die anglikanische
. Der Vergleich ergibt einerseits, daß die Leuenberger Kirchen-
gemeinsehaft mit jedem dieser Modelle Berührungspunkte hat.
Andererseits läßt der Vergleich einen spezifischen „Beitrag der
Leuenberger Kirchengemeinschaft für die (lemeinschaft aller christlichen
Kirchen" erkennen. Vfn. thematisiert ihn (S. 675) mit „Bekenntnis
und Gemeinschaft" und meint damit (wenn ich richtig
zusammenfasse).

- daß es mit Leuenberg, bisherige Trennungen überwindend, zu
„Kirehengcmeinsehaft" ..bekenntnisverschiedener Kirchen" gekommen
ist;

- daß es da/u gekommen ist unter Anwendung der Kriterien für die
„wahre Einheit der Kirche" (nach CA VII);

- daß diese Gemeinschaft von daher ollen ist Für die universale Einheit
der Kirche und

- daß sie dementsprechend als ein Sehritt auf dem Wege zu dieser
größeren Einheit verstanden werden kann und soll.

Vfn. sehließt (S. 681) mit Sätzen wie folgenden: Der weitere Weg
wird ..sieher oft noch mühsam" sein. Doch ist die Leuenberger Konkordie
„auch ein Modell geworden Für die Einigungsbemühungen
anderer christlicher Kirchen, mit dem sie sich auseinandersetzen
müssen". Das gilt auch für die „wechselseitigen Verurteilungen", die
„die Beziehungen der römisch-katholischen Kirche zu den Kirchen

der Reformation" belasten. Im Hinblick auf „weitere wirksame und
dauerhafte Sehritte .... die die Einheit der Kirche Jesu Christi sichtbar
werden lassen", ist „die Konkordie . .. ein Angebot und eine
Anfrage an alle christlichen Kirchen" (Vfn. Fährt begründend fort:),
„weil Einheit und Vielfalt einander nicht behindern müssen, sondern
wechselseitig bereichern können".

Die „Schlußbetrachtung" (die noch v iel mehr um läßt, als hier angedeutet
werden konnte) ist ihrerseits ein Modell dafür, wie mit der
Konkordie ökumenisch weitergearbeitet werden kann. Voraussetzung
dafür bleibt die so sorgsame Erhebung des Wesens der Konkordie aus
ihrer Entstehungsgeschichte, der der Hauptteil des Buches gewidmet
ist.

Ich kehre zum Anfang zurück: Es handelt sich um ein erstaunliches
Buch. Jedenfalls eignet es sieh hervorragend als Arbeitsbuch, z. B. in
Seminaren. Für solche Nach- und Weiterarbeit gebe ich zu den Stichworten
„Bekenntnis und Gemeinschaft" aus eigener Erinnerung an
die Textverhandlungen in Leuenberg noch mitzubedenken:

„Verschiedener Bekenntnisstand" (z. B. LK 29) unterscheidet sich
um nicht unerhebliche Nuancen von „Bekenntnisverschiedenheit".
Auch ist der Aussage in LK 37. daß die beteiligten Kirchen sieh bei
der gemeinsamen Ausrichtung von Zeugnis und Dienst von der im
Zentralen gewonnenen Übereinstimmung „leiten" lassen, noch
besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Dasselbe gilt von dem
Schlußsatz in LK 5: „Weil die Bekenntnisse das Evangelium als das
lebendige Wort Gottes in Jesus Christus bezeugen, schließen sie den
Weg zu dessen verbindlicher Weiterbezeugung nicht ab. sondern eröffnen
ihn und fordern auf. ihn in der Freiheit des Glaubens zu gehen"
(vgl. bei Vfn. S. 446 u. 561).

Potsdam Horst Lahr

Referate über theologische
Dissertationen in Maschinenschrift

Geisthardt, Günter: Theologische Konzeptionen von Gesellschaft.
Studien zu Riehard Rothe. Wollliart Pannenberg und Trutz Rend-
torft". Diss. theol. Tübingen 1984. 454 S.

Die Arbeit untersucht an Texten von R. Rothe. W. Pannenberg und
F. Rendtorff Beschreibung und Deutung von Gesellschaft im Zusammenhang
systematisch-theologischer Theoriebildung. Auf dem Hintergrund
spätidealistischer Geistmetaphysik zeichnet Rothe die Entwicklung
des Gottesreiches in einen Prozeß zunehmender Naturbe-
herrschung ein. Sittlichkeit und Religion verhalten sieh in diesem
Prozeß wie Vollzug und adäquates Bewußtsein. Die Sozialtheorie ist
dem theologischen Gesamtkonzept untergeordnet und trägt somit
normatives Gepräge. Die politisch konstituierte Weltgesellschaft bildet
als Reich Gottes die Endstufe einer Abfolge unterschiedlicher So-
zialgebilde. Der universalen Integration der Menschheit entspricht die
soziale Ausdiffcrcn/ierung, deren Rekonstruktion einem Modell von
Handjungstypen folgt. Sünde und Erlösung werden als entgegengesetzte
Richtungsfaktoren der gesellschaftlichen Entwicklung in dieses
Konzept eingetragen. So erscheint die bürgerliehe Gesellschaft als soziale
Konkretion der Sünde, bestimmt durch die egoistische Selbstbehauptung
vereinzelter Individuen, dem .christlichen' Staat kommt im
Erlösungsprozeß eine stärkere Affinität zum Reich Gottes zu als der
Kirche.

Von einem monotheistischen Gottcsbegriff aus entfaltet Pannenberg
den Zusammenhang von Weltgesellsehaft und Reich Gottes. Im
historischen Übergang zur Weltgesellschaft erfüllt der ökumenische
Dialog die Aufgabe der Kirche, symbolisch die Einheit der Menschheit
zu antizipieren. Für diese Übergangslage wird eine zivilreligiösc
Korrektur christlichen Identitätsbewußlseins vorgeschlagen, um den
in der Neuzeit entstandenen Verlust an Legitimationskraft rückgängig
machen zu können.