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Ausgabe:

1984

Spalte:

678-680

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Leaver, Robin A.

Titel/Untertitel:

Bachs theologische Bibliothek 1984

Rezensent:

Petzoldt, Martin

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Theologische Literaturzeitung 109. Jahrgang 1984 Nr. 9

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hat einen wesentlichen Anteil an der Ncubelebung der Arbeit an und
mit Zwingli. wobei ihm die Aktualisierung der Lebensleistung des
Zürcher Reformators bei aller wissenschaftlichen Akribie in der
historischen Forschung besonders wichtig war und ist. In neueren Arbeiten
(siehe den 15. Beitrag des vorliegenden Bandes, der sich auf
England und Schottland bezieht) erkennt man Lochers Anliegen, sich
immer intensiver der Wirkungsgeschichte Zwingiis durch die Jahrhunderte
zuzuwenden. Das beredteste Zeugnis dafür ist sein 1979 erschienenes
opus magnum. das die Wirkung der „Zwinglische(n) Reformation
im Rahmen der europäischen Kirchengeschichte" darstellt
(siehe dazu ThLZ 106, 1981 Sp. 42-45). Hier - und dann gleichermaßen
auch im letzten Beitrag dieses Bandes - ist aufgezeigt, welche
Anstöße durch Zwingli und seine Nachfolger (vornehmlich Bullinger)
in vielen Teilen Europas ausgelöst worden sind. So ist eine dringend
nötige Ergänzung zu den Arbeiten über die Wirkung Luthers und Calvins
auf die Folgezeiten gegeben worden. Zu Behauptungen auch
territorial-kirchengeschichtliche Begründungen geliefert zu haben, ist
Lochers Verdienst.

Die wesentliche Substanz der jetzt in englischer Sprache vorgelegten
15 Studien ist, abgesehen von zwei Aufsätzen, schon einmal
anderwärts erschienen, zehn davon in einem 1969 erschienenen
Sammelband: Gottfried W. Locher: Huldrych Zwingli in neuer Sicht.
Zehn Beiträge zur Theologie der Zürcher Reformation, Zürich/Stuttgart
. Für den, der die Zwingliforschung nicht im Detail verfolgt, mag
es willkommen sein, Themen und Ersterscheinungsjahre der jetzt englisch
und deutsch in zwei Sammelbänden vorliegenden Beiträge genannt
zu bekommen (die Numerierung erfolgt im Rahmen der Zählung
des 1981 erschienenen Bandes, 1969 ordnet Locher die Vorträge
und Aufsätze anders): I. „Im Geist und in der Wahrheit. Die reformatorische
Wendung im Gottesdienst zu Zürich" (1952). - 2. „Huldrych
Zwingiis Botschaft" (1958). - 3. „Die Wandlung des Zwingli-
Bildes in der neueren Forschung" (1962). -4. .„Christus unser Hauptmann
'. Ein Stück der Verkündigung Huldrych Zwingiis in seinem
kulturgeschichtlichen Zusammenhang" (1950). - 5. „Inhalt und Absicht
von Zwingiis Maricnlchre" (1951; diese Arbeit erschien im Zusammenhang
einer evangelisch-katholischen Kontroverse, siehe dazu
hier S. 60, Anm. 72). - 6. „Das Geschichtsbild Huldrych Zwingiis"
(1953).-7. „Die Prädestinationslehre Huldrych Zwingiis" (1956). - 8.
„Grundzüge der Theologie Huldrych Zwingiis im Vergleich mit derjenigen
Martin Luthers und Johannes Calvins" (1967). - ... 12.
„.Praedicatio verbi Dei est verbum dei'. Heinrich Bullinger zwischen
Luther und Zwingli. Ein Beitrag zu seiner Theologie" (1954). - 13.
„Das Zweite Helvetische Bekenntnis" (1966).

Bereits die 1969 erschienene Sammlung läßt den Doppelakzent der
Erforschung des historisch-theologischen Details wie auch des Bezuges
auf heute wichtige Lehr- und Verkündigungsfragen erkennen. Dieser
Eindruck verstärkt sich, wenn die Liste durch die neuaufgenommenen
Beiträge ergänzt wird: 9. "Zwingli and Erasmus" (1969). -
10. "Steadfastness, - Zwingli's Final Sermon at the Bern Disputation
as a Contribution to his Ethic" (Originalbeitrag). - II. "Zwingli's
Political Activity: It's Motivesand Objcctivcs" (1980). -. .. 14. "Dis-
cord among Guests. - Lcssons to be learned from the Reformers de-
bate about the Lord's Supper for a contemporary understanding and
celebration" (1972). - 15. "Zwingli's Influcncc in England and Scot-
land" (Originalbeitrag),

Der zuletzt genannte Aufsatz deutet nicht nur auf den Sachzusammenhang
mit Lochers vorgenanntem großen Werk zu Zwingiis Bedeutung
für die europäische Kirchengeschichtc hin, sondern signalisiert
gleichzeitig die Arbeitsgemeinschaft mit dem schottischen Theologen
Duncan Shaw, der ein mit einem gelehrten Apparat ausgestattetes
Vorwort (IX-XVI) zu dem anzuzeigenden Band geschrieben hat
und als Übersetzer von Einzelbeiträgen hervortritt. Vcrständlichcr-
weise haftet Shaws Interesse vornehmlich an dem I 5. Aufsatz (IX).
und so ist sein Vorwort im wesentlichen einer hochwillkommenen
weiteren Aufhellung der Wirkung Zwingiis auf die englische und
schottische Reformation gewidmet. Hier gab es bislang eine Forschungslücke
, die Shaw (unter Hinweis auf ein beachtliches Literatur-
arscnal) und Locher zu schließen versuchen. Man wird sicher nicht
fehlgehen in der Annahme, daß der Erstgenannte durch die englische
Version des vorliegenden Bandes im Verein mit dem Verfasser darauf
hinwirken will, daß davon Impulse auf englischsprachige Forscher zu
weiterer Intensivierung von Zwinglistudicn ausgehen (XVI).

Locher will aber ganz gewiß nicht nur Forschungslücken schließen
helfen. Die Wiederholung ganzer Partien aus dem Vorwort von 1969
in der jetzt anzuzeigenden Aufsatzsammlung deutet daraufhin, daß
hier eine theologische Sache neu bewußt gemacht werden soll, die
zwar im 16. Jahrhundert verfochten worden, abcrauch im 20. keinesfalls
erledigt ist. Was deutschsprachige Forscher in bezug auf Luther
sagen, wird hier deutsch und englisch von Zwingli behauptet:
„Zwingli ist ein Unbekannter" (1969,5), "Zwingli is an unknown
figure" (1981, VII). Dem setzt Locher für hier und heute entgegen:
"Zwingli is relevant" (a. a. O.).

So ist die Vortrags- und Aufsatzsammlung ein wichtiger Beitrag im
Rahmen des 500. Geburtstags-Gedenkens, wenn sich die reformatorischen
Kirchen der Gegenwart nicht damit begnügen wollen, lediglich
die Gräber der Reformatoren zu tünchen. So scheut sich Locher
denn auch nicht, in seinem Vorwort eine programmatische Erklärung
abzugeben, die den Akzent des Ganzen kenntlich machen soll:
Zwingli hat eine Botschaft (siehe Beitrag 2) für die Gegenwart! Ein
Beispiel dafür ist die „entschlossene(n) Abwendung von allen Bestrebungen
, in Glaubensdingen mit unsern Methoden das zu leisten, was
sich die Gnade vorbehalten hat. ,Gott ofTnet sich durch sinen Geist
selbs, und würt von ihm nüt gelcrnct on sinen Geist.'" Ein zweites
Schwerpunktbeispiel für Zwingiis exemplarische Lebensleistung wäre
der Hinweis auf „die energische sozialethische Ausrichtung seines
Glaubens" (1969. 5f; 1981, VII).

Ein Referat der 15 oder zumindest der neu aufgenommenen 5 Studien
ist hier leider aus Platzgründen nicht zu leisten. Der Leser möge-
hoffcntlich durch oben Ausgeführtes ein wenig motiviert-selber seine
Entdeckungen machen, etwa zu Zwingiis Verständnis des gegenwärtig
so kontrovers diskutierten Gewissensbegriffs im Rahmen seiner
Schlußpredigt während der Berner Disputation 1528 (266) oder zu
Entwicklungen im Raum der Church of England, in der Zwingiis Ansätze
politisch verhängnisvoller Weise mehr und mehr abgewiesen
wurden (377).

Es ist herzlich zu danken für ein theologisches Buch, das Arbeit an
den Quellen aufs vorteilhafteste verbindet mit der Schärfung des
Blickes für die reformatorische Fragestellung insgesamt, die mit der
Präzisierung heutiger evangelischer Theologie aufs engste zusammengesehen
werden muß.

Berlin Joachim Rogge

Leaver, Robin A.: Bachs Theologische Bibliothek. Eine kritische
Bibliographie. Mit einem Beitrag von Christoph Trautmann. Neuhausen
-Stuttgart: Hänsslcr-Verlag 1983. XIV. 193 S. gr. 8' = Beiträge
zur theologischen Bachforschung. I.

Die „Schriftenreihe der Internationalen Arbeitsgemeinschaft für
theologische Bachforschung", herausgegeben von Walter Blankenburg
und Renate Steiger, eröffnet mit diesem Band ihre Beiträge. Das
ist um so bemerkenswerter, als damit - neben der 1976 gegründeten
Arbeitsgcmeinschaß - ein stärker öllcntlichkcitswirksamcr Schritt
unternommen wird. Theologische Bachforschung rückt damit als eigenständiger
und -verantwortlicher Zweig der Bachlörschung in den
Blick, nachdem die ältere Bachforschung (vor allem des 19. und der
ersten Hälfte des 20. Jh.) eher dadurch gekennzeichnet ist. daß meistens
Musikwissenschaftlcrals Theologen dilettierten und umgekehrt.
Natürlich kann das nicht bedeuten, daß man sich nun noch weniger
wechselseitig zur Kenntnis nimmt. Die erfolgte Spezifizierung wird
weiterhin interdisziplinäre Aktivitäten benötigen. Das gilt auch für
eine Reihe weiterer Wissensgebiete, deren Mitarbeit die Bachfor-