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Ausgabe:

1984

Spalte:

674-675

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Pisi, Paolo

Titel/Untertitel:

Genesis e phthorá 1984

Rezensent:

Studer, Basil

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Theologische Literaturzeitung 109. Jahrgang 1984 Nr. 9

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und aller Kooperation mit den Kolonialbehörden „wesentlich dazu
beigetragen (habe), daß die togolesische Wirtschafts- und mit ihr die
überkommene Sozialstruktur nicht im Interesse der Plantagenwirtschaft
vollends aufgehoben wurde" (170). Wieder anders gestaltete
sich die Entwicklung im damaligen Deutsch-Ostafrika, für das eigens
eine stark nationalistisch bestimmte Missionsgesellschaft gegründet
wurde, bevor die älteren Missionen erste Stationen in verschiedenen
Teilen des Schutzgebietes errichteten. Eine im ehemaligen deutschen
Kolonialgebiet einzigartige Situation bestand auf den 1885 annektierten
Marshall-lnseln. Knapp dreißig Jahre zuvor hatten dort kon-
gregationalistische amerikanische Missionare der „Boston-Mission"
mit der Arbeit begonnen. Diese hatten bereits sechs Jahre vor der Etablierung
der deutschen Kolonialverwaltung die Leitung der Gemeinden
in die Hände einheimischer „Kirchenkomitecs" gelegt. Es gelang
in der Folgezeit der Insclbevölkcrung, sich mit Hilfe dieser demokratisch
gewählten Komitees sowohl gegen die despotischen Gelüste der
Häuptlinge, als auch „gegen die Kolonialmacht und die von ihr gestützten
Wirtschaftsinteressen" (St. G. Firth, 267)durchzusetzen.

Man kann also ohne jede Einschränkung verallgemeinern, was
R. Tetzlaffim Blick auf Deutsch-Ostafrika schreibt: „Ein pauschales
Urteil über .die" Missionen ist daher ebenso unmöglich, wie die einfache
Addition und Aufrechnung von .guten' und .schlechten' Taten
der Missionen sinnvoll wäre" (189); „denn", so stellte K.J. Bade in
seiner Einführung fest, „ein über den Grundkonsens von der Priorität
des Evangelisationswerks hinaus annähernd homogenes .Lager der
Mission' gab es ebensowenig wie ein .koloniales Lager' im Bereich der
profanen Übcrsceintcressen" (15).

Besonders hervorgehoben zu werden verdienen die Ergebnisse der
Einzelstudicn, die den Blick für die Grundproblematik jener Epoche
der Missionsgeschichtc schärfen. Diese sehen R. HolTmann und
N.-P. Moritzen für die katholische und evangelische Mission übereinstimmend
in dem „eurozentrischen Kirchenbewußtscin" (36), bzw.
darin, „daß ihre (sc. der protestantischen Mission) Grundkonzepte
von Mission und Kultur einen radikalen Protest nicht zuließen" (65).
So kommt R. Tetzlaff zu dem Ergebnis, daß die Missionen einerseits
„mehr ungewollt als bewußt zu Katalysatoren der sozialen und politischen
Emanzipation wurden", andererseits aber „ein schwerwiegendes
soziales Problem" heraufbeschworen: „die heute nach wie vor aktuelle
Entfremdung zwischen der christlich-westlich orientierten ßil-
dungsclite Ostafrikas und den armen ländlichen Massen, die die eigentlichen
Opfer jenes historischen Prozesses der .Wcsternisierung'
wurden, der mit der Missionsarbeit in Afrika begann" (202).

Das Hauptproblem der Epoche wird in einer von K. J. Bade mitgeteilten
Instruktion der Rheinischen Mission für die Mitarbeiter in
Südwestafrika deutlich: „Eure Aufgabe ist es. Christum zu predigen
und die Seele Eures Volkes zu retten [. . .] Noch nirgend ist in der Hci-
dcnwclt eine europäische Kolonie entstanden ohne die schwersten
Ungerechtigkeiten [. . .] Die Deutschen werden es schwerlich viel besser
machen, und Ihr werdet die Aufgabe haben. Euer Volk vor Mißhandlungen
und Vergewaltigungen der Weißen zu schützen, solange
Ihr könnt [. . . ] Haltet Euch von allen politischen Fragen fern." (109)
Hier ist bei aller Scharfsicht verkannt, was auch wir heute erst mühsam
etwa im Gefolge des Antirassismus-Programms des ORK lernen,
daß gerade jene geforderte apolitische Haltung eminent politisch ist,
indem sie stabilisiert, was die Wurzel der Dchumanisicrung ist.
L. Engel ist recht zu geben: Was die Mission „nicht erkannte, war der
diskriminierende Charakter des Systems selbst. Sie kämpfte um die
Menschenwürde des Individuums innerhalb eines sozialen Bedin-
gungsgetüges. dessen kolonialer Charakter bereits die Rechte der Afrikaner
beschnitten hatte."(161)

Auch wenn nicht alle Beiträge zu einer gleichmäßig kritischen
Reflexion des historischen Materials vorstoßen, so ist doch Herausgeber
und Autoren für dieses knappe, gut informierende Sammelwerk
zu danken. Durch seine interdisziplinäre Breite befreit es die
Missionswissenschaft aus ihrer Isolierung und vermag, wie es der Herausgeber
wünscht. Anstöße „zur vertieften Beschäftigung mit einem

für Europa und die Dritte Welt, für die früheren Kolonialnationen wie
für die ehemaligen Kolonialgebiete gleichermaßen wichtigen Problemfeld
" (XII) zu geben.

Berlin Heinz Blauert

Dogmen- und Theologiegeschichte

Pisi, Paola: Genesisc Phthorä. Le motivazioni protologiche della ver-
ginitä in Gregorio di Nissa e nella tradizione dell'enkrateia. -
Roma. Ed.dell'Ajcneo, 1981,216

Wie im Untertitel angedeutet wird, betrachtet die Verfasserin die
Lehre von der Genesis und Phthorä als die protologischc (und damit
ontologische) Grundlage der Auffassung Gregors von Nyssa wie auch
der enkratischen Tradition von der Jungfräulichkeit. Um die Berechtigung
dieser These - um eine solche handelt es sich offensichtlich
(vgl. S. 5. 9, wo virg. 14,1,5: GNO8/1.305, den Ausgangspunkt der
Einleitung bildet) - aufzuweisen, untersucht sie in den ersten zwei
Kapiteln De anima et resurrectione und De mortuis, zwei Schriften,
die mit der Jungfräulichkeit unmittelbar zwar nichts zu tun haben, aus
denen jedoch sich die wichtigsten Aspekte der Lehre von der Genesis
und Phthorä leicht herausschälen lassen: die Zugehörigkeit der Leidenschaften
und der animalischen Leiblichkeit, und damit von Werden
(Geburt) und Vergehen (Tod) zur unteren Seinsebene, die erst mit
dem Sündenfall gegeben war, auch wenn sie als providenticll anzusehen
ist, sowie die davon unterschiedene, obere Seinsebene, auf der
das wahre Wesen des Menschen zu suchen ist und auf der dieser jene
Vollendung wiedererlangen wird (Telos), die er schon am Anfang
(Arche) besessen hatte. Im dritten Kapitel werden diese Überlegungen
in den Zusammenhang der doppelten Schöpfung hineingestellt, wie
sie vor allem in De hominis opißcio 16f zur Sprache kommt, und damit
als Grundlage für die Auffassung von der Jungfräulichkeit als
Überwindung von Genesis und Phthorä, als Rückkehr zur Arche, die
im Telos wiederhergestellt wird, aufgewiesen, wie in De virginitate
ausgeführt wird. - In den zwei folgenden Kapiteln, die den zweiten
Teil der Arbeit bilden, geht es der Verfasserin darum, bei den Zeitgenossen
Gregors, bei Gregor von Nazianz, Johannes Chrysostomus.
Basilius von Ancyra, andern griechischen Autoren des vierten Jahrhunderts
, bei Ambrosius und Augustinus, sowie bei Origcnes und in
Predigten des zweiten Jahrhunderts ähnliche protologischc Motive tür
die Jungfräulichkeit festzustellen. In den zwei Kapiteln des dritten
Teiles befaßt die Verfasserin sich mit dem Enkratismus, mit jener chc-
feindlichcn Tradition, in der die Jungfräulichkeit als Voraussetzung
des sündelosen Zustandcs betrachtet wird, der man vor allem in
Schriften des zweiten Jahrhunderts begegnet, und geht der platonischen
Überlieferung von Genesis und Phthorä besonders bei Plato
selbst, bei Plotin und Porphyr, sowie in Philo von Alexandrien nach.
Damit deckt sie die eigentlichen Quellen der diesbezüglichen Lehre
Gregors von Nyssa vollends auf. - Man darf der Verfasserin für das
reichhaltige Material nur dankbar sein, das sie auf relativ wenig Seiten
ausbreitet. Man wird allerdings bei dieser sicher eindrücklichen Übersicht
über die Geschichte eines platonischen Themas ein gewisses Unbehagen
nicht ganz los. Das mag sich einmal dadurch erklären, daß
die Verfasserin der Vielschichtigkeit der Begriffe Genesis (Werden,
Entstehung, Ursprung, Zeugung, Geburt) und Phthorä (Vergehen,
Auflösung, Verderben, Tod) zu wenig Rechnung trägt und daß sie
zudem der Versuchung, dieses Begriffspaar um jeden Preis aufzudecken
, nicht immer widerstanden hat (vgl. S. 51). Schwerwiegender
ist jedoch, daß sie die Lehre von der Jungfräulichkeit bei Gregor von
Nyssa und der christlichen Tradition zu wenig in die geschichtlichen
und theologischen Zusammenhänge hineinstellt. Für Gregor selbst
wären dazu auch H. O. Knackstcdt. Die Theologie der Jungfräulichkeit
beim Hl. Gregor von Nyssa, Rom, 1940, und R. Hübner, Die
Einheit des Leibes Christi bei Gregor von Nyssa, Leiden 1974 (bes.