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1984

Kategorie:

Neues Testament

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Neuerscheinungen

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Theologische Literaturzeitung 109. Jahrgang 1984 Nr. 9

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System von Zeichen sondern von Bedeutungsstrukturen sei, und daß
die Wahrnehmung der nicht-sprachliche Ort sei, an dem das Erfassen
der Bedeutung geschieht. Sofern sich die daraus ergebende Textsemio-
tik selbst im zusammenfassenden Epilog (213-226) als „deduktive
Theorie" von Texten vorstellt (221), beansprucht sie damit methodologisch
zunächst den Rang einer heuristischen Arbeitshypothese, die
am Material zu überprüfen ist.

An der ersten Beispielanalyse, der Erzählung vom barmherzigen
Samaritaner (15-52, von J. Delorme bei der SNTS-Tagung 1976 in
Durham vorgestellt), wird zugleich das methodische Instrumentarium
ausführlich definiert und erläutert (241-247 faßt ein Index die verwendeten
methodischen Definitionen zusammen): Grundlegend ist
die Analyse des Textskeletts im „Erzählprogramm": Aus einem Anfangszustand
, der aus einer Verbindungs- oder Trennungsrelation
zwischen einem Subjekt und einem Objekt besteht, wird durch eine
verkettende Folge von Zustandsveränderungen, die handelnde Subjekte
(mittels der ihnen zugrunde liegenden drei potentiellen Elemente
des Wissens, Wollens oder Könnens) herbeiführen, ein Endzustand
erreicht. Im zweiten Schritt wird gefragt, wie das so analysierte
Textskelett aus dem potentiellen Ausstattungsinventar von semantischen
Feldern eines Sprachsystems einer bestimmten Kultur mit
konkreten Einzelzügen ausgestattet wurde. Im Beispiel wird das Opfer
als Mensch determiniert, derseine Lebensmöglichkeit verlor. Priester,
Levit und Samaritaner sind vom vorgegebenen Sprachsystem her zunächst
positiv bzw. negativ geographisch-religiös definiert. Die Er-
zählfolge des Textes kehrt das vorgegebene Wertsystem um, sofern
sich der Samaritaner dem Opfer gegenüber inklusiv, das Gegenpaar
aber exklusiv verhält. Ihre religiöse Über-Determiniertheit läßt sie am
Lebensrecht des Opfers schuldig werden und bringt sie so auf eine
Linie mit den Räubern. Damit wird der fragende Thora-Experte, der
mit seiner Frage „Wer ist mein Nächster?" dem gleichen religiös überdeterminierten
Bereich wie die Tempeldiener angehört, eingeladen,
sich wie der Samaritaner zu verhalten, vom Wissen zum Wollen zu gelangen
, indem er seine Über-Determiniertheit in der Unterscheidung
von Nahen und Fernen aufgibt.

Ob der Eindruck auf Seiten mancher Textlinguistikcr, daß die Grei-
massche Textsemiotik wenig austrägt, eingeschränkt oder modifiziert
werden kann, ist nach den vorgelegten Analysen weiterhin offen. Ein
Ansatz für das weiterführende Gespräch liegt in dem eigenständigen
4. Kap. dieses Buches, im dem M. J. Geninasca Lk 5,1-11 analysiert
(143-171) und dabei stärker von der Oberflächenstruktur des Textes
selbst ausgeht. Die Weiterarbeit wird davon beschwert bleiben, daß
von Greimas her linguistische Termini nicht im linguistischen Sinne
verwendet werden. Semiotisch im Sinne Greimas ist das jeweilige
paradigmatische Regelsystem, während „semantisch" die jeweiligen
syntagmatischen Performanzen auf den verschiedenen Ebenen bezeichnet
(einschließlich des pragmatischen Elements der Kommunikation
). Wenn die Differenz in den Methoden so erheblich ist, erhebt
sich die Frage, wie weit die Übereinstimmung in den Prinzipien mehr
vermeintlich als real ist. Man wird das weiterführende Gespräch
darum wohl weniger auf die Ebene der Textanalysen als der Grundsatzfragen
stellen. Ohne im Blick zu haben, daß Greimas Prämissen
von der Bestreitung jeder referenztheoretischen Semantik, wie sie
klassisch bei St. Ulimann ausgeprägt wurde, ausgehen, wird man das
Gespräch kaum sinnvoll führen können. Doch ohne philosophische
Neuanstöße hat die Exegese selten Fortschritte gemacht. Den Fuß in
diese Tür gesetzt und andere zu dieser nicht leichten Aufgabe ermuntert
zu haben, bleibt ein Verdienst J. Delormes.

Uppsala Wolfgang Schenk

Aune, David E.: Prophecy in Early Christianity and the Ancient Medi-
terranean World. Grand Rapids: Eerdmans 1983. XII. 522 S. gr. 8 geb.
£24.20.

Carmignac, Jean: La naissance des Evangiles Synoptiques. Paris: O. E. I. L.
1984. 103 S. 87

Kirchengeschichte: Neuzeit

Bade, Klaus J. [Hrsg.]: Imperialismus und Kolonialmission. Kaiserliches
Deutschland und koloniales Imperium. Wiesbaden: Steiner
1982. XIII, 333 S. gr. 8" = Beiträge zur Kolonial- und Überseegeschichte
, 22. Kart. DM 54,-.

Der Sammelband schildert am Beispiel der deutschen Kolonialgeschichte
„die Begegnung von christlicher Mission und weltlicher
Macht in der Periode des Hochimperialismus" (XI). Der Herausgeber
Klaus J. Bade, seit 1982 Inhaber des Lehrstuhls für Neueste Geschichte
an der Universität Osnabrück, hat dafür ein internationales,
dazu interdisziplinäres und interkonfessionelles Autorenteam aus der
Bundesrepublik Deutschland, Österreich, Australien und den Vereinigten
Staaten von Amerika gewonnen. „Multidimensionalität des
Forschungsfeldes und Viclgestaltigkeit des Forschungsteams" haben
zu einer „großen Breite der Fragestellungen. Interpretationsansätze
und Forschungsmeinungen" (XI) geführt. Dieser Pluralismus wird
deutlich, wenn man R. HolTmanns Einschätzung der Missionsbewegung
des 19. Jahrhunderts „als Begleiterscheinungen einer zeittypischen
antirationalistischen und romantischen Bewegung an der
Basis der beiden christlichen Kirchen" (30) neben die durch E. Dammann
stellt: „Das eigentliche Ziel der Mission, die Verkündigung des
christlichen Glaubens, vermochte nur der zu erstehen, der selbst von
der Wahrheit des Christentums überzeugt war" (302), und wiederum
sein wohlwollendes Urteil: „Auch wer weltanschaulich anders
dachte, konnte die Wirkungen nicht übersehen, die auf dem erzieherischen
und pflegerischen Gebiet von der Mission ausgingen" (302)
dem letzten Satz des Beitrages von R. Nestvogel gegenüberstellt: „Insgesamt
hat die missionarische Bildungsarbeit (. . .(zur Entstehung von
Landflucht, regionalen Disparitäten sowie zu einem Überangebot an
europäischer, den binncngesellschaftlichen Verhältnissen nicht angepaßter
Bildung beigetragen, dessen Erbe zu einem permanenten Problem
Kameruns geworden ist." (223)

K. J. Bade leitet den Sammelband mit einer Einführung in Grundprobleme
der deutschen Kolonial- und Missionsgeschichte ein. Dem
folgt ein erster allgemeiner Teil über „Koloniale Missionsauffassungen
in Deutschland". R. HolTmann hat über „Die katholische Missionsbewegung
in Deutschland" geschrieben, N.-P. Moritzen über
„Koloniale Konzepte der protestantischen Mission" und H. Gründer
über „Deutsche Missionsgesellschaften auf dem Wege zur Kolonialmission
". Dieser Teil wird abgeschlossen durch einen Beitrag des Herausgebers
über den „Fall Friedrich Faber", der zugleich Leiter der
Rheinischen Missionsgesellschaft und einer der Protagonisten der
deutschen Kolonialbewegung war. Dabei handelt es sich um eine Zusammenfassung
früherer eingehender Studien des Autors unter den
hier zur Diskussion stehenden Gesichtspunkten. Der zweite Teil besteht
aus Fallstudien über „Die Praxis der Kolonialmission in den
deutschen Schutzgebieten". Es behandeln L. Engel Südwestafrika.
A. J. Knoll Togo. R. Tetzlaff Deutsch-Ostafrika, R. Nestvogel
Kamerun. P. J. Hempenstall Neuguinea. J. A. Moses Deutsch-
Samoa, St. G. Firth die Marshall-lnseln und K. J. Rivinius
Kiautschou. Der Band schließt mit dem „Ausblick" von E. Dammann
: „Die deutsche Mission in den ehemaligen deutschen Kolonien
zwischen den beiden Weltkriegen".

Vor allem die Einzeluntersuchungen geben einen Eindruck davon,
wie unterschiedlich Situation und Missionspraxis in den einzelnen
Gebieten durch die verschiedenen Missionsgesellschaften waren: angefangen
vom heutigen Namibia, wo deutsche Missionare der Rheinischen
Mission bereits 42 Jahre vor der deutschen Annexion der Kolonie
im Jahre 1884 gearbeitet hatten, über Togo, wo die Norddeutsche
Mission es zunächst ablehnte. Missionsstationen in dem neuen
Schutzgebiet zu gründen, bis sie dann durch dessen Ausdehnung ohne
eigenen Entschluß doch unter deutsche Herrschaft kam; A. J. Knoll
stellt ihr das Zeugnis aus. daß z. T. auf ihr Wirken der dauerhafte
Friede in dieser Kolonie zurückgeht (165) und sie trotz allem Konsens