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Ausgabe:

1984

Spalte:

632-634

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Sundén, Hjalmar

Titel/Untertitel:

Religionspsychologie 1984

Rezensent:

Kiesow, Ernst-Rüdiger

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Theologische Literaturzeitung 109. Jahrgang 1984 Nr. 8

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gesellschaft". ..Bildung als Problem und Funktion der Kirche"),
Erhard Meueler (..Organisationsmodclle kirchlicher Erwachsenenbildung
") und Marianne Gronemeyer(„Motivation und Aktion").

Mit dem dritten Kapitel beginnt die eigentliche Fallstudienserie.
Zunächst beschreibt die Autorin den Westberliner Stadtteil Kreuzberg
mit seinen ca. 160 000 Einwohnern. Der evangelische Kirchenkreis
indes besteht aus Fünfzehn Gemeinden. Dieses Gebiet bietet
viele Probleme, die z. T. schon in die Vergangenheit (19. Jh.) zurückreichen
, teils aber auch neueren Datums sind (viele Ausländer, besonders
Türken). Das ganze Viertel bedarf der Sanierung, da sonst die
..Verslumung" (S. 54) weiter um sich greift. Vfn. zeigt dann, wie vor
allem die Gemeinden Emmaus, Tabor, Ölberg und Martha aktiv
wurden und in Zusammenarbeit mit kommunalen Behörden versuchten
, etwa die Hausbesitzer wieder an ihren Häusern zu interessieren
und Investitionen vorzunehmen. Eine Fülle solcher stadtbezogenen
Aktivitäten bewirkte, ..daß in Kreuzberg etwas in Bewegung gerät und
der Bezirk auch die Aufmerksamkeit und das Interesse außerkirchlicher
Kreise auf sich zieht" (S. 73).

Der zweite Kasus betriff) die Vertreibung der Bewohner aus der
Innenstadt durch den Bürohochhausbau in Frankfurt-Westend. Auch
hier gibt Vfn. eine kurze Entwicklungsgeschichte des Frankfurter
Cityrandgebietes und seiner Vorzüge und Probleme. Da die Kirchgemeinden
die Auswirkungen der Stadtteilveränderung seit Ende der
sechziger Jahre deutlich zu spüren bekamen, wurde vor allem die
Matthäusgemeinde aktiv, oft sogar zusammen mit der katholischen
Nachbargemeinde, aber auch in Kooperation mit der Aktionsgemeinschaft
Westend. Auch hier wollen die Christen der Herausforderung
mit einer „Diakonie der Strukturen" (S. 86) begegnen.

Beim dritten Fall handelt es sich um eine Neubaugroßsiedlung ohne
ausreichende soziale Einrichtungen in Westberlin-Heerstraße Nord.
In diesem Stadtteil leben heutzutage ca. 20 000 Einwohner, nachdem
1968 die ersten einzogen. Bereits seit 1967 bestand aber eine kirchliche
Planungsgruppe. Ziel dieses Gremiums war es. die Situation des
Neuentslehens einer Siedlung zur Entwicklung neuer Inhalte und
Formen kirchlicher Arbeit zu nutzen. Vieles ist in der Zwischenzeit
geschehen. Den kirchlichen Mitarbeitern ist es gelungen, bei sich
selbst und anderen Bewohnern Lernprozesse über Formen und Aufgaben
der Gemeindearbeit einzuleiten und die Verantwortung für das
Ganze zu wecken.

Abschließend zieht die Autorin Konsequenzen aus den drei Fallstudien
, indem sie eine „Prüfliste" (S. 105) zur Kontrolle eigener Stadt-
tcilarbcit vorlegt, die zur Erleichterung einer solchen Arbeit dient.
Immer geht es Vfn. um die Aufgabe der christlichen Gemeinde,
nämlich „Hoffnung zu stiften und zu befreiendem Handeln zu ermutigen
" (S. 109).

Insofern ist dieses Buch auch ein Aufruf zur Nachahmung dort, wo
sich ähnliche Probleme im Stadtteil ergeben. Überall sollte dann die
Kirchgemeinde zeigen, daß sie ganzheitlich um das Heil, aber auch
das Wort der dort lebenden Menschen besorgt ist. Sie tut dies am
effektivsten, wenn es ihr gelingt, die Bewohner selbst zu ermutigen,
sich für ihren Lebensraum und dessen Gestaltung verantwortlich zu
Fühlen.

Dem Rez. ist bei der Lektüre dieses Buches erneut deutlich geworden
, wie Städtebau und Stadtplanung eng mit der jeweiligen Gesellschaftsordnung
zusammenhängen. Die Verhältnisse, wie sie z. B. Für
Kreuzberg geschildert werden, wären in einem Stadtbezirk der Hauptstadt
der DDR unvorstellbar. Sie würden auch anders gelöst als dort.
Insofern käme der Kirche bei uns gar nicht die Funktion zu wie in
Berlin-West. So könnte man jeden der drei Fälle unter dem Aspekt
bedenken, ob eine ähnliche Situation bei uns denkbar wäre und wie
seitens des Staates bzw. der Gesellschaf) darauf eingegangen würde.
Dieser Vergleich schließt freilich nicht aus. daß sich auch hierzulande
Kirchgemeinden Für ihr Territorium verantwortlich Fühlen sollten.
Wo dies geschieht, wird der Weg zum Erfolg anders verlaufen müssen
als in den beiden Westberliner Stadtteilen und im Frankfurter
Westend.

Leider befindet sich in dem Buch nur eine Karte vom Berliner
Bezirk Kreuzberg. Hilfreich wären ähnliche Oricnticrungsmöglich-
keiten auch bei den anderen beiden Stadtteilen gewesen.

Leipzig Gottfried Kretzschmar

Hirschler, Horst, u. Günter Linnenbrink [Hrsg.]: Die Bibel weckt
Gemeinde. Hannover: Lutherhaus Verlag 1984. 152 S. 8".

Leitende Mitarbeiter der Ev.-Lulh. Landeskirche Hannovers und
benachbarter Kirchen grüßen mit diesem Buch Landesbischof Lohse
zum 60. Geburtstag. Als roter Faden zieht sich durch alle Beiträge die
Gewißheit, daß die konstitutive Bedeutung der Bibel Für das Leben der
Kirche wieder verstärkt zur Geltung kommen muß. Damit entspricht
das Buch dem doppelten Lebenswerk des Jubilars als Exeget und
Bischof. Ausgewählte Titel mögen ein Bild vom Inhalt dieses praxisnahen
Buches vermitteln, das den kirchlichen Mitarbeitern und
interessierten Gemeindcglicdern zu empfehlen ist:

H. Badenhop: Die Bibel gemeinsam lesen: H. H. Harms: Die Bibel und
die Ökumene: J. Heubach: Wissenschaftliche Bibelauslegung und Frömmigkeit
der Gemeinde; H. Hirschler: Wie Luther den biblischen Text predigt;
H.M.Janssen: Die katholische Bibelbewegung; G. Linnenbrink: Entwicklungsverantwortung
der Gemeinde aus der Bibel; K. Manzkc: Erneuerung
der Predigt aus der Bibel; H. Ph. Meyer: Luther über das ..äußerliche
Wort", das die Kirche schafft; G. Müller: Luthers Bibelkritik; G. Nordholt
: Der Psalter in der reformierten Frömmigkeit; R. Schäfer: Die Bibel im
Unterrieht.

E.W.

Praktische Theologie:
Seelsorge/Psychologie

Sunden, Hjalmar: Religionspsychologie. Probleme und Methoden.
Aus dem Schwed. von H. Rellcr. Stuttgart: Calwer Verlag 1982.
228 S.8". Pp. DM36.-.

Dank der Vermittlung von H. Reller wurde dieses 1972 in Stockholm
publizierte Buch auch den deutschen Lesern zugänglich, von
denen viele den Autor und sein 1966 bei Töpelmann verlegtes Werk
„Die Religion und die Rollen" längst kannten. Ein vorangestellter
Überblick über den Lebenslauf des emeritierten Uppsalenser Reli-
gionspsychologcn gibt zusätzliche Informationen zu dessen Person
und Forschungsarbeit. Wie im „Geleitwort" von M. Seit/ und
H. Reller festgestellt wird, „ist Sundens Religionspsychologie durch
die Faszination von der exemplarischen Einzelfrage oder der konkreten
Einzelsituation geprägt" (14). Gerade in der glücklichen Verbindung
von solchen Einzelstudien und Beispielen mit einer durchaus
systematischen Stoffänordnung besteht der Reiz dieses Buches, da*
anfangs etwas spröde wirkt und das man nicht rasch, sondern eher
wiederholt lesen muß, um seine Gesamtschau zu entdecken.

Der Inhalt der insgesamt sieben Kapitel ist angesichts der Vielfalt
des Materials und seiner Analysen nur mittels der Teilüberschrillcn
und weniger Bemerkungen dazu einigermaßen anschaulich zu
machen: I. „Der wissenschaftliche Ort der Rcligionspsychologie und
ihr Gegenstand". In der Übersicht über die Geschichte der RP von
ihren Anlangen im 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart (der sowjetische
RP-Kongrcß von 1969 ist noch erwähnt) stellt sich die Frage, ob
die RP als eine Disziplin der allgemeinen Religionswissenschaft oder
als ein Teilgebiet der Psychologie verstanden wird. Nach kritischer
Diskussion verschiedener Auffassungen vom Gegenstand der RP. bei
denen oft einseitig auf das religiöse Bewußtsein oder das religiöse Verhalten
abgehoben wird, gelangt S. zu dem Ergebnis, daß die RP zu klären
habe, wie die religiöse Erlebniswelt zustandekommt. „Die Religionspsychologie
kann folglich als die Lehre über religiöse Erlebnisse
und Verhaltensweisen definiert werden." (32)