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Ausgabe:

1984

Spalte:

622-623

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Eichinger, Franz

Titel/Untertitel:

Die Philosophie Jakob Senglers als philosophische Theologie 1984

Rezensent:

Jaspert, Bernd

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Theologische Literaturzeitung 109. Jahrgang 1984 Nr. 8

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dienstlichen Autgabe gerecht zu werden. Der Kirchenmusiker hat sieh Philosophie, ReHgiOnSphNOSOphie

daher vielleicht noch mehr als jeder sonstige Musiker mit den Problemen
der Auftührungspraxis zu befassen, will er nicht das gottesdienst- ß ^ ^ ^ phj|osophic Jakob a,s philosophische
liehe Singen und Spielen der Beliebigkeit überlassen. Damit aber ist er Theolo(,ic< Ein Beitrag zum Gespräch der Theologie mit dem spät-
zugleich vor eine Unsumme von Fragen gestellt. Christoph Albrecht idealistischen Denken. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1976.
hat das große Verdienst, in dem vorliegenden Buch dem Kirchen- 204 S. gr. 8" = Studien zur Theologie und Geistesgeschichte des
musiker zu Hilfe zu kommen und die Probleme der AutTührungs- ]9 Jahrhunderls, 18. Kart. DM 47.-.
Praxis für einen Zeitraum von rund 400 Jahren zu behandeln. Und da

er dabei den Gemeindegesang und daher das einstimmige Kirchenlied Diese Wiener Dissertation bei Joseph Pritz bietet weniger eine Ansticht
ausschließt, geht sein Buch in manchen Partien auch den einandersetzung mit dem zu den „spekulativen Thetsten" oder „Spat-
Gemeindepfarrer und den wissenschaftlich arbeitenden Hymnologen idealisten" wie I. H. Fichte und Ch. H. Weiße gezählten Jakob Sengler
an: denn bekanntlich hat sich sowohl die melodische als auch die (1799-1878), sondern sie will unter Absehung der „zahlreichen, weitrhythmische
(iestalt des Kirchenliedes gewandelt, und auch das Zeit- verzweigten geistes- und philosophiegeschichthchen Querverbindun-
maß des Gemeindegesanges hat im Laufe der Jahrhunderte zeitweise gen der Scnglerschen Philosophie" (S. 30) den Grundtypus, also die
erheblich gesehwankt; auch die sog. Fermaten an den Zeilenübergän- innere Struktur des Senglerschcn Denkens, seinen „immanenten
gen sind verschieden behandelt worden, so daß bis zur Gegenwart Denkansatz" (S. 30). ausfindig machen. Diese Aufgabenstellung ist
immer wieder Unsicherheit über die rechte Art des gottesdienstlichen umso interessanter, als seit fast einhundert Jahren keine größere
Singens besteht. Wenn dabei auch die Spannung zwischen Geschichte Studie mehr über diesen Philosophen erschien und die Arbeit
und Gegenwartsempfinden nicht gewaltsam überwunden werden V. Bernmgs über „Das Denken Herman Schells (Essen 1964), die
kann, so ist doch den verantwortlichen Kantoren, Hymnologen und u. a. eben diesen Grundtypus näher bestimmen wollte, zu Recht von
Cememdepfarrcrn die unerläßliche Aufgabe aufgetragen, nicht ein- Eichinger als unbefriedigend angesehen wird.

fach nach eigenem Gefühl zu entscheiden, sondern nach der ursprüng- Eichinger wählt für seine Aufgabe eine induktive Methode, insofern
üchen Art der Wiedergabe dieses oder jenes Liedes zu fragen. Für er zunächst - nach kurzem Abriß der bisherigen Senglerlorsehung -
dieses Vorgehen leistet Christoph Albrechts Buch außerordentlich die Stellung Senglers innerhalb der neuzeitlichen Philosophie naher
gute Hilfe. Mit Sorgfalt und Gründlichkeit geht es den Problemen des zu bestimmen versucht, und zwar als „eine Art Vororientierung für
gesamten Bereichs der Kirchenmusik, denen des einstimmigen Kir- die Interpretation" seines philosophischen Werkes (S. 31). Dabei ist
chenlicdes. der Chormusik, der Kantaten- und Oratoricnauftuhrun- richtig erkannt, daß „Sengler selbst immer bemüht war. seine Philo-
gen und vor allem auch der Orgelmusik, nach. Besonders aufschluß- sophie aus dem inneren Duktus der neuzeitlichen Philosophie vergeh
und förderlich ist die Wiedergabe zeitgenössischer theoretischer ständlich zu machen" (S. 31), wie man unschwer aus seinem Werk
Quellen, wov on der Verlässer reichlich Gebrauch macht. „Über das Wesen und die Bedeutung der spekulativen Philosophie

... , „ . ., , , „ , • , , „nd Theologie in der gegenwärtigen Zeit" (2 Bde.. Mainz 1834. Hei-

Niemand kann und darf freilich erwarten, daß Albrechts Buch nicht unu i neoiogc in uc, geg g v

. , , • i, -Li- u delheri? 837) ersehen kann. Seng er steht als „alter I ubinger unter

ZU mancherlei Diskussionen Anlaß geben wird; das ist unausbleiblich deiDcrg i ö.wj ersenen Kam CT* uil-her „nH

;., . . ™. e , • i • dem F nfluß der Tubinger Sc hu e der Drev. Herbst. Hirscher und

>n Anbetracht der Fülle der Probleme. Sic fangen gleich im ersten dem tinnuu uer ., uumge 'B8«n..R sv-hollm-s „nd

ai i , . , ,. .... Möh er und a s aher Münchner unter dem Einfluß Schellmgs und

Abschnitt „Das Problem der planen oder rhythmischen Urgcstalt ivtonicr, unu ais „auc phii^nhia-hen ein

j ... ..... r- R eider«; Doch er ist im Theo ogischen w e Philosophischen ein

des Kirchenliedes an. Albrecht meint, daß „die rhythmischen Fas- Baaders. Doch er si im . nco og .... ' ■ n ,

,„_ ,....... ii ■ j c- u , durchaus sc bstandiger Denker. Eichinger bestimmt seinen Deiik-

sungcn auch in der Einstimmigkeit... sinnvoll sind. Sic geben ourenaus sciusia , . ,

g„ , , n ansät/ zutreflend so- „Der Grundzug seines Denkens ist... der

Sprach- und Ausdrucksakzente" (S. 13). und er weist daraufhin, daß dnsalz zutrenenu so e

sr.,n, u . . . „ ... .__. . „„ Grundzug der neuzeitlichen Philosophie überhaupt. Es geht seiner

solche Fassungen auch in den einstimmigen Gesangbuchern stehen, u,u"u"'f. , . w-n„ . h ,,_

u/äk , , • , ai. ■ e a a„ Philosophie um die Sc hsivtrmitiltmg des Wissens, d.h. um die

Ehrend man in der musikwissenschaftlichen Forschung zu der An- rnnosop . e u . . . .. ...

,„.,, , • r ..; Hcrausb dung der wahren Gestalt des Wissens durch sieh selbst. Mit

"cht neigt, daß s ch derartige Me odtefassungen als cantus pnus facti ncnllBU""u b ,. , n^,„u Hpt W:™n<.

„„ , 6 .... , seinem I ehrer Baader meint er. daß die wahre Gestalt des Wissens

v°n mehrstimmigen Sätzen erklären. Albrecht hat nicht Unrecht; nur seinem c-cnrcr •

,i.,,. 6 ... crei dann eeeeben ist wenn es sich im Absoluten grunetet. Mo dieses

l man sich keine Illusionen über den Gcmeindegesang in der eist dann gegenen isi, we m.

R , . . „ , . Absolute als die reine hciutlat von Hissen und .Sem. als in SlCn

Keformationszeit machen, der weit langsamer in Gang gekommen ist, adsoiuu. a,s ue „a,k:„h«.i ihn mit seinem anderen

■,i .. J. , , , se ende Einheit zu begrei en sei, verbindet ihn mit seinem andeien

a» Wir in der Regel annehmen. Deshalb ist z. B. die Frage, ob damals st,(-nae binnen, zu i eg ......

p. 6 ... . i ehrer den sie1 spaten Sc he tilg- Mit //dcv/schließlich hall ei daran

••tin feste Burg" rhythmisch oder plan gesungen worden ist. beinahe Lenrer. uciusic., pa .s

_ t;„. ,i.,u es keinen anderen Zugang zum Absoluten ginl als die inncie

nur eine theoretische Frage. Sehr wichtig ist Albrcchts Feststellung. ,cst- ddl3 cs * einu1 " , „.c

daß beim Singen der Genfer Psalmlieder nach jeder Zeile eine Pause Bewegungdes I mens selbst. S_«j

»-■folgt ist. was sich nachweisen läßt. Auch im Benutzungsbereich des Wenn dies der Grundzug des Seng c^h n De k n ,st - und w»

F., i/- . , , .ind davon überzeugt, daß Eichinger damit recht nal -. so ist sein

Ev- Ktrchengesangbuchcs, in dem die Pausen fortgelassen worden i^^Aufhdhmg des Verhältnisses „Gott - Welt - Mensch"

■nd werden sie von den Organisten häufig, wenigstens nach jeder ™e™ D» ^ ^

uen Zeile, unwillkürlich eingefügt. Mi. Albrechts Darste ung au. ^^Z^te Werk des Philosophen durchziehen. Damit

,utc I8f ist damit cm Zeichen gesetzt für die im Gang befindliche /.uoruuuug ua g , , hedentsam inso

Gcsan b h wjrd Scngler als Philosoph auch für den I heologtn bedeutsam, inso-

g uchsrevision. pern hicr das Gespräch zwischen Philosophie und Theologie, das in
m manchen Zusammenhängen des Buches wünscht man sich hier ^ durchaus an manchen Stellen abzubrechen drohte, wieder

dnd da größere Ausführlichkeit, vor allem auch mehr Beispiele. Hicr- aufgenommen wurde. Durch Senglers kirchenpolitisehes Engagement

vi hat gewiß der vorgesehene Gesamtumfang, um die Kostenfrage ^ ^ Gründung und Redaktion mehrerer angesehener katholischer

"fraglich zu lösen. Einhalt geboten. Die Frage stellt sich jedoch, ob Zeitschriften (..Kirchenzeitung für das katholische Deutschland";

'.'cht bei einer zukünftigen Neubearbeitung das Buch in einzelne Rc|igjösc Zeitschrift für das katholische Deutschland"; „Zeitschrift

Hefte aufgegliedert werden sollte, wobei es naheliegen würde, den pür phi|osophie und spekulative Theologie", ab 1847: „Zeitschrift für

cmcindegesang. die Chor- und Oratorienpraxis sowie die Orgel- phi|osophjc und philosophische Kritik"), war einerseits der Kirche

nuisik gesondert zu behandeln; denn dann erst würde z.B. die ejn neuer Kontakt zur Philosophie der Zeit ermöglicht, andererseits

^ chandlung des ersten Gebietes einem - was dringend geboten wäre - ^ phi|osophic wiedcr das Gespräch mit Theologie und Kirche Bföff-

f'nßeren Leserkreis, als ihn Albrechts Buch erreichen wird, z.ugäng- ^ wordcn Nur von cjnem umfassenden kritischen, zeitoffenen

c werden. Denken erhoffte sich Sengler eine Besserung der katholischen Theolo-

Schlüch.crn Walter Blankenburg gic und Frömmigkeit, die in ihren herrschenden Erscheinungen für