Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1984

Spalte:

614-616

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Titel/Untertitel:

Das Konzil über dem Papst? 1984

Rezensent:

Kandler, Karl-Hermann

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

613

Theologische Literaturzeitung 109. Jahrgang 1984 Nr. 8

614

Obrigkeit vertreten mußte. Dabei konnte man auf organisatorische prosopographischen Umfeldes verwiesen werden, aus dem heraus die

Formen zurückgreifen, die aus früheren Phasen der Stadtentwicklung konfessionelle Option Simons VI. zu verstehen ist (S. 15911). Von

überkommen waren (Bürgerversammlungen, Eidesleistung, Wahl von besonderer Bedeutung erscheinen mir in diesem Zusammenhang die

Bürgerausschüssen) und die nach dem stadtbürgerlichen Selbstver- Darlegungen über die politische Rolle, die der Graf auf Reichsebene

ständnis zugleich die Legitimität der Aktionen begründeten und und darüber hinaus spielen konnte, gerade wegen seiner konfessionel-

gewährleisteten ,en Orientierung. Von daher scheint es mir nicht recht verstandlich.

* Bemerkenswert erscheint, daß dieses spezifische Selbstverständnis daß der Vf. die Antriebskräfte für „Zweite Reformationen" und deren

mehr als zum (ienerationen später nichts von seiner prägenden Kraft politische Wirkungen in kleinen Territorien so ganz uberwiegend im

verloren halte, als die Bürgergemeinde sich gezwungen sah. die unab- innenpolitischen Bereich festmachen will und in dieser Hinsieht einen

hängig vom Territorium etablierte lutherische Stadtkirche gegen die grundlegenden Unterschied zu den größeren Staaten sieht, die sah

vom Landesherren energisch angestrebte Umgestaltung des territoria- dem Calvinismus zuwandten. (S. 369; vgl. dazu auch die Darlegungen

len Kirchenwesens zu verteidigen. Die Vorgänge 1609tTsind quellen- S. 201 IT wo konstatiert wird, daß ein Konfessionswcehsel innenpoh-

mäßig besser belegt als die Reformationsepoche, sowohl auf der tisch nicht nur die Möglichkeit grundlegender Umgestaltungen ,m

städtischen als auch auf der landesherrlichen Seite, die auf die Interesse der landesherrlichen Machterweiterung eröffnete, sondern

städtische Verweigerung sofort mit den unterschiedlichsten Gegen- auch zusätzliche Belastungen „aufdem an sieh schon kontliktrcichen

maßnahmen antwortete We8/w Errichtung eines Terntorialstaatcs" bedeutete.)

Seit der ersten Hälfte der 16. Jh. hatte die Rechtsentwicklung im Abschließend ist noch darauf hinzuweisen, daß die Vorgänge in der
Reich und in den Territorien die Auffassung der Lemgoer Bürger- Stadt und im Territorium immer eingefügt werden in den größeren
schalt von ihrer Stellung gegenüber dem Landesherren durchaus zwei- Rahmen des macht- und konfessionspolltischen Kral.espiels in der
felhaft werden lassen. Den führenden Köpfen der Bürgerschaft war engeren Region und auf der Ebene des Reiches, wobei einmal mehr
dies auch durchaus bewußt. Eine der ersten Maßnahmen bestand dar- die Komplexität ..politischer" und „konfessioneller" Optionen bei
in, m der Stadt ansässige Juristen aufgrund ihres Bürgereides für die allen hcteiligten Obrigkeiten - städtischen und fürstlichen - deutlich
juristische Vertretung der Stadt in die Pflicht zu nehmen. Die Ausfiih- wird. Auch in diesem Bereich bietet das Buch eine Vielzahl von Antigen
des Vf. zur Argumentation dieser städtischen Verhandlung». regungen. die ähnlich umfassende und differenzierende Untersuehun-
föhrer bei den Reichskammergerichts- und Reichshofratsverfahren gen für andere Territorien und Regionen im „konfessionellen Zeitgehören
zu den besonders interessanten Passagen des Buches. Die alter" dringend erwünscht erscheinen lassen.

Tübingen Christa Reinhardt

Lemgoer Juristen waren - durchaus erfolgreich - bemüht, die städtischen
Rechtsvorstellungen dem gülligen Reichsrecht anzupassen und

die Landfriedensgesetzgebung ebenso w ie den Augsburger Religion»- . Def vr bczjcht sjch hier auf E. Geiger. Die soziale Elite der Hansestadt

frieden für die Belange ihrer Auftraggeber zu nutzen, obwohl diese in Lemgo... 1975. S. auch S. 376 Anm. 17a zu der Arbeit von Th. A. Hrady.

ihrer vorherrschenden Tendenz eher gegen den städtischen Selbstbe- RulingClass. Regime and Reformation at Strasbourg. 1978.
hauptungswillen gerichtet waren.

Bei der Analyse dieser Vorgänge - innerhalb der Stadtgemeinde und
auf der (iegenseite - hat sich der Vf. nach eigener Aussage „der funk-

tionalen Methode" bedient und „die f rage nach derQualität des Reli- Dogmen- Und TheOlOgiegeSChlChte

PÖsen und der Konfession sowie die Analyse immanenter religionsgeschichtlicher
Vorgänge bewußt ausgeklammert" (S. 387). Iis kann y ^ Amu||, üas Konzj| 8bcr dem papst? Die Stellungnahmen
hier nur angemerkt werden, daß dies nicht bedeutet, daß spezifische ^ Njkolaus von Kues und des Panormitanus zum Streit zwischen
Gehalte von Luthertum und Calvinismus völlig außerhalb der ^m Konzil von Basel und Eugen IV. I: Text. 2: Anmerkungen.
Betrachtung bleiben. Es sei z.B. verwiesen auf den Abschnitt paderborn-Münehcn-Wicn-Zürich: Sehöningh 1981. XLV. 451 S.
••Luthertum und stadtbürgerliche Mentalität" (S. 283ff). Die Funk- u XXVI. 423 S. gr. 8* = Paderborner Theologisehe Studien,
•'on des Luthertums fürdic Selbstbehauptung Lemgos sieht der Vf. in | |. Kart. zus. DM 98.-.

dcr Integrationskraft und Massenwirksamkeit, die das konfessionelle . . .

Moment in der frühneuzeitlichen Gesellschaft insgesamt besaß. Recht Vf. geh, in seiner Arbett über den Streit hmsiehtheh der Supenon a,

unterschiedliche Interessen konnten verdichtet werden „zu einem des Konzils oder des Papstes z Z des Basier Konzils von den beiden

P-teistandpunkt. der sich leicht vertreten ließ" (S. 37). Reden aus. die Nikolaus de Tudeseh, „Panormitanus NdT, und

□er Vf. übersieht keineswegs das beträchtliche soziale Konflikt- Nikolaus von Kues (NvK) au dem Frankkirtcr Reichstag 44_ gchal-

Potcntial, das nicht nur zwischen Stadt und Territorium, sondern ten haben. Die Gegenüberstellungtte.derRed^

auch innerhalb der städtischen Gesellschaft vorhanden war. in der Reiz, dann, daß beide Kontrahentenmhre Po^^

Auseinandersetzung mit neueste, einschlägiger Literatur wendet er NvK war vom Konz.hansten zun, Papahstcn NdT vom a I s en

«eh jedoch gegen eine zu kurzschlüssige Verbindung von Daten lang- zum Konziliansten geworden. Beide Reden stehen m Dicns, der oli-

■*s«ig wirksamer sozialökonomischer Prozesse „mit der Sozial- tik. Sie wurden nicht gehalten, um die

gesehiehte des alteuropäisehen Stadtbürgertums, die in weit stärkerem sondern um die Mächtigen ,m Reich auf die eigene Sc,, zu a

Maße als die de, modernen Wirtschaftsbürgertums neben den ökono- (XVI). Meisterhaft handhabten beide die Kanomstik

Aschen auch von außerökonomischen Faktoren bestimmt worden ten sieh der Automaten nach Beheben, sie

ist"(S 237f " ■ )' „Hier war nichts zu .beweisen', weil alles .bcweisbai geworden war.

rv V •a-p^im'j ivvin Beide Kontrahenten wiederum verschwiegen, was sie früher

Dte Spaltungen und Differenzierungen, die innerhalb der Stadt- (XVll) isciuc ixoiniauc

gemeinde zu konstatieren sind, verliefen nicht sozial-horizontal, son- gegensätzlich vertreten hatten.

sie betrafen die Fami.ienverbände der ratsfähigen Honoratioren- Nach einer kurzen Historischen Einluhrung

*hicht selbst, aus der sich eine Gruppierung ausgliederte, die weniger del, Vf. im Ersten Teil „Die Hauptpunkte der Kontroverse von

■„.ei >y , ■ n 1471-1437" (1-275) m Zweiten Tel „Die Stellungnahmen zum

du' das traditionelle stadtbürgerliche Svstcm setzte alsaul die Positio- 1431-145/ (t " " 5

np„ , . ■ ■ , ,■ , i i au Prozeß eceen Eugen IV. (226-440) und bietet im Schlußwort einen

"«■" und das Prestige, das der Tcrritonalstaat bieten konnte (s. Ab- l roz.cn gegen eugen ■ ' u

s<-h„-.. •• • n w„„r Historischen Ausk ang (442-45 ). Der Zweite Band enthalt das

S*hn'tt „Konfcssionskonllikt und Gruppengegensatze im Burger- „Histonsenen /vusKiaug i '

tum- s 759m Literaturverzeichnis, Anmerkungen und ein Personenregister.

Zu dem Problemkomplex „Reformation und Territorium" kann Die Spannungen zwischen Papst und Konzil bestanden darin daß

noch auf die differenzierte Herausarbeitung des politischen und das Papsttum, in Konstanz zur Einheit zurückgebracht, und das Kon-