Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1984

Spalte:

556-557

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Titel/Untertitel:

Ökumene am Ort 1984

Rezensent:

Kühne, Hans-Jochen

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

555

Theologische Literaturzeitung 109. Jahrgang 1984 Nr. 7

556

nur geschehen, wenn Kirche einerseits im Politischen nicht aufgeht,
andererseits aber in der Gesellschaft ihren Ort hat und sich dort
bewährt" (S. 62. gegen Möllmann). Zum Stichwort ..Kirche als
Bruderschaft" halte ich den von Lessing erhobenen Vorwurf der
Unibigerichtigkeit gegenüber Walter Krecks Position für unberechtigt
(die von ihm Anm. 43 S. 35 in Krecks Ekklesiologic [S. 179IT. 192ff]
vermißte Berücksichtigung des Gedankens der Freiheit des Geistes in
diesem Zusammenhang linde ich a. a. O. S. 1841", 2001); zur Vorsicht
gegenüber dieser neuerdings beliebten Wendung sollte eher der
Umstand mahnen, daß die ..Schwestern" dabei ungebührlieh unter
den Tisch fallen.

Ein Aufsatz über ..Sakrament und Institution" (S. 84-102) betont
mit großem Recht, daß die Ordnung der Gemeinde als Konsequenz
gerade des konstituierenden Charakters des Sakraments verstanden
werden kann (S. 100); hier hätte sich der Verfasser auf das rechtstheologische
Denken von Hans Dombois berufen können (vgl. die
Zusammenstellungen zu dem Gesichtspunkt des Sakramentsrechtes
bei ihm in der Darstellung von Willi. Steinmüller. Evangelische
Rechtstheologie, 1968. S. 73511), das er später erwähnt (S. 138.
141 ft).

Der Beitrag über ..Pluralismus in der Kirche" (S. 103-124) steht in
ständigem Gespräch mit Barths Lehrmeinungen. Weiterführend erscheint
mir der Hinweis im Zusammenhang des Verhältnisses
zwischen Pluralität und Einheit der Kirche, daß die Wurzel der christlichen
Konfessionen nicht etwa darin besteht, daß absichtsvoll ein
neues Glaubensbekenntnis einem alten gegenübergestellt werde. ..Das
Nebeneinander von Konfessionen ergibt sich erst als Konsequenz
eines nicht zu Ende geführten oder zu Ende führharen Streites. Daher
wohnt den Konfessionen der Absolutheitsanspruch nicht a priori
inne. Auch er ist eine Folge des Streites." (S. 1 12) Pluralismus hat in
der Kirche als irdisch-geschichtlicher Existenzform Christi Raum;
allerdings stellt sich damit die Aufgabe, daß er dem Sein der Kirche
nicht widerspricht (S. 124).

Die anschließenden Überlegungen ..über die Möglichkeiten eines
Grundlehramtes in der evangelischen Kirche" (S. 125-133) weisen
diese Aufgabe den Synoden zu. die zwar nicht dem Predigtamt gegenüber
weisungsbefugt sein können, die aber mit ihren Entscheidungen
die Begründungen christlicher Verkündung maßgeblich formen
(S. 129). Mit Recht empfindet der Verlässer von diesem Ansatz aus
die Notwendigkeil, für solche synodalen Aufgaben eines gemeinsamen
, auch institutionell verantworteten verbindlichen Redens
bestimmte synodale Konstituierungs- und Abstimmungsmodalitäten
vorzusehen (S. 131). Gerade an diesem Punkte wäre eine, sich in dem
Rahmen der Abhandlung wohl verbietende Vertiefung ein Desiderat,
so wie man auch zur theologischen Problematik der modernen Lehr-
beanstandungsgremien in den deutschen evangelischen Kirchen hier
Folgerungen ziehen könnte.

Nach den rechtstheologischen Voraussetzungen kirchenrechtlicher
Gegenwartsproblematik fragt der Beitrag über ..das Verständnis der
Ökumene im deutsehen evangelischen Kirchenrecht nach dem
2. Wellkrieg" (S. 134-152). Seiner Feststellung, daß für die vorhandenen
kirchenrechtlichen Ausprägungen im deutschsprachigen Raum
von ihren speziellen Voraussetzungen her der ökumenisch-paradig-
matische C harakter zweifelhaft erscheint (S. 143), wird man schwer
widersprechen können. Nicht als Konstruktc wahrgenommene
rechtstheologische Begriffsbildungen, zumal der eine Verwechselung
von Predigt und Theorie begünstigende Begriff des ius divinum riskieren
Belastungen für das ökumenische Gespräch (S. 146). Nach der
Grundthese des Verfassers soll das Recht der Kirche, wenn es ihrer
Konstitution eingedenk ist, auf das gelebte Leben der Gemeinde, ihre
Sitte, in hohem Maße bezogen sein (S. 151).

Die abschließende Abhandlung untersucht „die Bedeutung der
Leuenberger Konkordie für die unierten Kirchen"' (S. 153-166).
Diese hat zwar eine weitere praktische Annäherung zwischen den
konfessionsbestimmten evangelischen Kirchen und der Union
erreicht, auch wenn die schon in engerer Gemeinschaft stehenden

Unionskirchen nicht die eigentlichen Adressaten der Konkordie
waren (S. 1571). So bedeutet die Annahme der Konkordie für die
Unionskirchen in erster Linie eine fundamentale gemeinschaftsbegründende
Aussage (S. I 59).

Wien Albert Stein

Ökumenik: Allgemeines

Birmele, Andre [Hrsg.]: Ökumene am Ort. In Zusammenarb. mit
S. Hutagalung, C. Lindberg. P. Lonning, H. Meyer u. V. Vajta hrsg.
Einheitsbemühungen in der Gemeinde. Göttingen: Vandenhoeek &
Ruprecht 1983.60 S. 8'= Bensheimcr Hefte. 60.

Das Wachsen der ökumenischen Bewegung gehört zu den auffälligsten
kirchlichen Vorgängen unseres Jahrhunderts. Was durch einzelne
Pioniere begann, haben sich längst die Kirchen zu eigen gemacht
. Die positive Bilanz, die an dieser Stelle zu ziehen wäre, bekommt
allerdings ein Gegengewicht in der Frage, inwieweit denn die
Gemeinden ökumenewillig und -fähig sind. Die vorliegende Studie
des Straßburger Instituts der Luth. Stiftung für Ökumenische Forschung
konfrontiert den Leser mit dieser für die Zukunft der Ökumene
zentralen Problemstellung.

Ausgangpunkt der Studie war die Anregung der letzten Vollversammlung
der Luth. Weltbundes (Daressalam 1977). die Bemühungen
zur Rezeption der bilateralen interkonfessionellen Dialoge zu verstärken
. Man wollte den Beitrag herausarbeiten. ..den die ökumenischen
Bemühungen und Erfahrungen am Ort für die auf den verschiedenen
Ebenen kirchlichen Lebens geführten interkonfessionellen
I .ehrgespräche zu geben haben" (S. 7). Der (vorläufige) Schlußbericht
fußt auf Situationsberichten, Begegnungen und Konsultationen. Im
Unterschied zu einer ersten Auswertung 1980. die vor allem europäische
sowie nordamerikanische Äußerungen verschiedener konfessioneller
Herkunft umfaßte, sind nun auch asiatische und afrikanische
Erfahrungen berüeksiehligl worden. Beispiele aus dem umfangreichen
empirischen Material werden zur Bekräftigung und als Ergänzung der
Studie auszugsweise wiedergegeben.

In fünf Abschnitten werden Grundfragen einer Ökumene am Ort
reflektiert: I. Die ökumenische Motivation auf lokaler Ebene. II Die
Rolle der Pastoren und Priester in der Ökumene am Ort. III. Einheits-
vorstcllungen am Ort. IV. Die Bedeutung der Lehrfragen am Ort, V.
Der Einfluß der nicht-lehrmäßigen Faktoren. Das führt weit über eine
Bestandsaufnahme hinaus, revidiert aber auch die ursprüngliche Zielsetzung
. Noch läßt sieh eben nicht einfach von dem Beitrag einer in
den Gemeinden gelebten Ökumene für die interkonfessionellen Lehr-
gespräehe reden. Diese Erkenntnis ist eines der nachdenkenswerten
Ergebnisse der Studie. Was beizutragen ist. ist die nüchterne Erhellung
der sehr divergierenden Situationen und Einstellungen an der
Basis - in der Hoffnung, dadurch den Dialog selbst dialogischer zu
machen. Das jedenfalls könnte geschehen, wenn die zukünftigen Dialoge
nicht nur im Kontext eines modernen Bibel- und Geschichtsver-
ständnisses und von ökumenischen Herausforderungen, sondern auch
im Kontext des tatsächlichen Gemeindebewußtseins geführt würden.
„Es ist für eine fruchtbare Arbeit in ökumenischen Dialogen v on großer
Bedeutung, einen möglichst umfassenden Einblick zu haben in
das. was dort geschieht, wo die Ergehnisse dieser Dialoge in der Praxis
rezipiert werden sollen" (S. I I). Die fünf Themenfelder der Studie
bieten dazu zahlreiche Anhaltspunkte. Der andere (iedanke, mit dieser
Studie auch zu neuen Ansätzen und neuem Mut auf Ortsebene zu
verhelfen, dürfte aufgrund des stark analytischen Vorgehens nicht so
ohne weiteres zum Tragen kommen. Trotz mancher Impulse ist die
Studie nicht auf eine eingehende Motivation für einen ökumenischen
Glaubensvollzug angelegt.

„Klare ökumenische Fortschritte sind eigentlich nur auf der Ebene
der .Kerngemeinden' ... zu verzeichnen" (55). ist eine der grundlegenden
Aussagen des ersten Teils, der sich in vielen Punkten mit