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Ausgabe:

1984

Spalte:

33-36

Kategorie:

Neues Testament

Titel/Untertitel:

Kapitel 1 - 12 1984

Rezensent:

Walter, Nikolaus

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Theologische Literaturzeitung 109. Jahrgang 1984 Nr. 1

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allerdings mit neuartigen Mitteln, die bereits von Markus gestellte
Frage nach den Anfangen der Verkündigung aufgegriffen, also eine im
Rahmen der Gattung Evangelium durchaus übliche Frage? Der Gedanke
, der die Apg ausgelöst hat, scheint mir in der Tat nicht neu, sondern
in der Tradition begründet gewesen zu sein. Nur die Durchführung
war neuartig. Das bedeutet aber, daß Lukas durchaus mit dem
Evangelium beginnen konnte, zumal er vom Markus-Evangelium her
dachte und kam. Die Entscheidung, welche der beiden Möglichkeiten
der Ausleger bevorzugt, hängt offenbar nicht von stilistischen Beobachtungen
zu Apg 1,1 ff ab und wird daher auch nicht im philologischen
Feld zu klären sein. Sie hängt eher davon ab, ob man Lukas
gleichsam von außen oder von seiner Tradition her betrachtet.

Während die Auslegung der 1. Auflage eine äußerst knappe Kommentierung
von Vers zu Vers darstellt, wäre die 2. Auflage auf ein
breit argumentierendes Werk im Stil des Meyer-Kommentars hinausgelaufen
. Beide Auflagen nehmen formgeschichtliche Anliegen auf.
Im Gegensatz zu E. Haenchen achtet B. auf vorlukanische Stoffe. Leider
wird die Frage, welcher Art diese Traditionen gewesen sein könnten
, nicht genauer verfolgt. So bleibt das Werk auch in dieser Hinsicht
ein Torso. Im übrigen nimmt B. auch moderne Anfragen (S. 297 zur
Auflösung von Paulusbriefen in Korrespondenz; S. 293 zum „Wir" in
der Apg, das im Gegensatz zu früheren Aussagen B.s nicht mehr als
Anzeichen einer bestimmten „Quelle" gewertet wird, usw.) auf, ohne
in jedem Falle eine den Leser präjudizierende Entscheidung vorzutragen
(S. 299 rechnet B. als Abfassungszeit der Apg die Spanne zwischen
70 und 150). Vornehmlich die heute wieder so beliebten Einleitungsfragen
läßt B. gern offen. Dafür entscheidet er sich, Meister einer
leider zu Ende gehenden Forschergeneration, zu klaren Aussagen,
wenn es um die Einzelauslegung geht. Aus der außerordentlichen
„Freiheit antiker Redereferate" gehe die Möglichkeit einer großen
lukanischen Freiheit bei der Abfassung seiner Redestücke „von vornherein
" hervor (S. 2900- Der Verfasser traue sich zu, und zwar besonders
vor nichtchristlichen Lesern, „alle Karten offen auf den Tisch
legen zu können" (S. 291). So erkennt B. in der Darstellung der Jerusalemer
Urgemeinde nicht das ideale Ungetüm, von dem kirchliche
Predigt heute voll ist, sondern stellt mutig (etwa im Blick auf
Apg 5,1 ff) fest: „Ohne Schatten ist das Bild .. . nicht", auch wenn
Lukas die Frühzeit „mit besonders leuchtenden Farben" dargestellt
hat. Und auch darin korrigiert B. das gängige Bild, daß er die Apg
nicht so sehr an Christen oder römische Behörden geschrieben denkt,
sondern an „breitere Schichten der hellenistischen nichtchristlichen
Bevölkerung". Alles in allem bedauert man, daß B. die Aufgabe der
Neubearbeitung seines Kommentars nicht mehr bewältigt hat, so daß
es bei diesem Appetitshappen geblieben ist.

Borsdorfb. Leipzig Gottfried Schillc

Weiser. Alfons: Die Apostelgeschichte. Kapitel 1-12. Gütersloh:
Gütersloher Vcrlagshaus Gerd Mohn; Würzburg: Echter Verlag
1981. 293 S. 8° = Ökumenischer Taschenbuch-Kommentar zum
Neuen Testament, 5/1. GTB 507. Kart. DM 24,80

Bruce, F[rederick] F[yvie]: The Acts of the Apostles. The Greek Text
with Introduction and Commcntary. Leicester: Intcr-Varsity Press
1976 (Sixth reprint of the Second Edition 1952) XX, 491 S. gr. 8".

Sehr schnell nach dem „großen" Kommentar zur Apostelgeschichte
von Gerhard Schneider (1980/82; zu Bd. I vgl. Ch. Bur-
chard, ThLZ 108, 1983 Sp. I 17-119; Weiser konnte lediglich Schneiders
Einleitung schon mitbenutzen) legt A. Weiser einen -der Serie
entsprechend - knapper gefaßten Kommentar vor, der aber, bei aller
Ähnlichkeit in der exegetischen Grundhaltung, keineswegs eine überflüssige
Dublette zu ihm darstellt.

Weiser versteht es in erstaunlichem Maße, auf gedrängtem Raum
alles für das Verständnis der Apg Wesentliche informativ und in gut
lesbarem Stil gemäß dem heutigen Forschungsstand darzubieten. Die

Einführung (S. 26-44) ist freilich sehr knapp gehalten und verzichtet
z. B. ganz auf einen Überblick zur Forschungsgeschichte. Dafür ist
man also nach wie vor auf die §§ 2 und 9 der „Einleitung" von
E. Haenchens Kommentar bzw. auf die Forschungsberichte von
E. Gräßer (Theol. Rundschau 1960 und 1976/77) oder von F. Bovon
(1978; vgl. Ch. Burchard, ThLZ 106, 1981 Sp. 37-39) angewiesen.
Nach einem Überblick über „Inhalt und Aufbau" (S. 26-28) bestimmt
Weiser „Literarische Gattung und Zielsetzung" der Apg
(S. 29-36); hier schließt er sich der heute verbreiteten und mit Hinweisen
auf die entsprechende hellenistisch-römische Literatur verdeutlichten
Einordnung als „historische Monographie" an (S. 31). Ihr
Thema ist „die Geschichte des Christuszeugnisses von Jerusalem bis
nach Rom, von den Juden zu den Heiden, von Jesus bis zu Paulus"
(S. 35), wobei Lukas dem Kontinuitätsproblem sowie dem Entstehen
der Kirche besondere Aufmerksamkeit schenkt. Die ältere Auffassung
, die Lukas vor allem als Apologeten sei es des Christentums
(gegenüber dem römischen Staat), sei es des Paulus (gegenüber dem
ihn und die Heidenkirche befehdenden Judentum) sah, ist damit abgetan
(S. 33). Was die „Quellen" des Lukas angeht (S. 36-38), so ist Weiser
sehr skeptisch gegenüber auch gemäßigten Fassungen der Drei-
Quellen-Theorie Harnacks für Kap. 1-15; er hält aber die Itinerar-
Hypothese für Kap. 13-21 jedenfalls für wahrscheinlich, wobei das
Urteil über die Wir-Stücke noch offenbleibt (ein Exkurs dazu wird für
Band 2 angekündigt). Zum Verfasserproblem (S. 38-41): Weiser beläßt
dem Autor seinen Namen Lukas, identifiziert ihn aber nicht mit
dem Paulusmitarbeiter von Phlm 24 (der in Kol 4,14 dann als „Arzt"
erscheint) und sieht ihn auch sonst nicht als einen Paulusbegleiter an.
Beides ist recht plausibel. Als Abfassungszeit gibt er nur „ungefähr
zwischen 80-90 n. Chr." an (S. 40); auf einen Abfassungs-Ort (oder
auch nur eine Provinz) mag sich W. nicht festlegen. Zur „Textüberlieferung
" (S. 41-44) wird nur das Problem der sog. „westlichen"
Textfassung, die in (übersetzten) Proben vorgeführt wird, besprochen;
jedoch giht W„ wie es sich ja allgemein durchgesetzt hat, der „ägyptischen
" Textform den Vorzug.

Der Kommentar selbst (S. 45-293) ist m. E. vorbildlich in der
gleichmäßigen Beachtung sowohl der literarischen Aspekte des lukanischen
Werks als auch der auf historische Erkenntnis gerichteten
Fragen nach der verarbeiteten Tradition und ggf. nach dem Verhältnis
zu anderweitigen Nachrichten. Wohltuend ist die klare Scheidung der
verschiedenen Aspekte der Auslegung. Zu jedem Textabschnitt wird
die Erklärung in mehreren, durch Überschriften deutlich voneinander
abgesetzten Abschnitten vorgdtragen. Dabei verfahrt W. nicht schematisch
, sondern variiert je nach den Gegebenheiten des Textes. Doch
findet sich im allgemeinen ein Dreischritt, in dem zunächst Form und
Aufbau besprochen, dann Tradition und Redaktion voneinander abgegrenzt
und schließlich die Auslegung des Textes im einzelnen vorgetragen
werden. Bei der Exegese der Himmelfahrtserzählung schließt
sich ein religions- und literaturgeschichtlichcr Exkurs zur Vorstellung
von Himmelsreisen und Entrückungen an (S. 60-62), mit dem bemerkenswert
deutlichen Ergebnis, daß die szenische Schilderung von
Apg 1,9ff unter Benutzung literarischer Vorbilder von Lukas selbst
geschaffen worden sei (vgl. schon S. 520 und nur die christologische
Erhöhungsaussage voraussetze. (Bei der für den katholischen Exege-
ten offenbar immer noch heiklen Frage nach den „Brüdern Jesu"
Apg 1.14 bleibt W. demgegenüber mit seiner eigenen Meinung zurückhaltender
: S. 590 Gelegentlich, bei theologisch wichtigen oder
historisch stark diskutierten Texten, wird auch der spezielle Forschungsstand
in eigenen Abschnitten besonders dargestellt, z. B. bei
der Nachwahl des Mattias (S. 64-66), zu den Reden (Exkurs
S. 97-100), zum Problem der „Hellenisten" (Exkurs S. 1680 oder zur
Stcphanusrede (S. 180-182) - jeweils mit einer klaren eigenen Stellungnahme
. Meist aber werden mögliche Alternativen der Auslegung
oder der historischen Rekonstruktion unter Nennung der Forscher,
die sie vertreten, im Zuge der eigenen Darlegungen erwähnt, womit
W. einerseits eine Profilierung der eigenen Auffassung durch Abgrenzung
erreicht, andererseits aber auch dem Benutzer andere vertretbare