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Ausgabe:

1984

Spalte:

547-550

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Weyhofen, Hans Theo

Titel/Untertitel:

Trost 1984

Rezensent:

Winkler, Eberhard

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Theologische Literaturzeitung 10h. Jahrgang 1984 Nr. 7

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ihrem Hintergründe eine mit dem reformatorischen Sündcnbcgrifl"
unvereinbare Anthropologie melden sich unüberhörbar an. Die freie
Entscheidung des Menschen für Gott aufgrund logisch-rationaler Einsicht
ist nicht nur möglich, sondern gefordert. Aber ist das alles nicht
weit weg vom biblischen Gottes- und Menschenbild? (5) Das Bild vom
transzendenten, souveränen Gott, das Henry entwickelt, verbleibt in
eigentümlicher Starre, es will sich nicht auflösen zu einem lebendigen,
dem Erbarmen Gottes Profil gebenden Bild. Dem entspricht die Rolle
der Christologie: sie rückt ganz deutlich aus dem Zentrum, ist in keiner
Weise ein Schlüssel zum Gottesbild, sondern mehr ein rationales
Problem, das durch Rückgriff auf Schriftworte und dogmatische Definitionen
abzuhandeln ist. Nur im Rahmen einer relativ knapp ausfallenden
Erörterung der Trinitätslehre und im Kapitel über „Gottes
unvergleichliche Liebe" kommt sie vor. „Göttliche Liebe setzt nicht
die Vernunft außer Kraft, sondern bleibt im tiefsten rational; des
Menschen Liebe zu Gott ist überdies nicht primär emotional, sondern
von seinem Willen bestimmt" (Divine love is . . . not destruetive of
reason but is intrinsically rational; man's love for God, moreover, is
not primarily emotional but volitional) (Bd. IV, 341). Das ist ein
Schlüsselsatz, denn spätestens an solcher Stelle wird klar, wie rationalistisch
von Henry über Gott gedacht und gesprochen wird. Man halte
sich Luthers Wort vor Augen, daß Gott „ein glüender backofen toller
liebe" sei, um den Abstand zu ermessen.

Das Hauptärgernis, das diese Bände bereiten, liegt nicht nur beim
Schriftgebrauch, den sie vornehmen, oder in der Auseinandersetzung
mit der Naturwissenschaft (das Kapitel über die Evolutionstheorie
enthält darüber Anschauungsmaterial in Fülle); es liegt in Henrys
unerschüttertem Rationalismus. Er liefert den deprimierenden Beleg
dafür, daß fundamentalistisches Schriftverständnis durchaus nicht vor
einem fraglichen Gottesbild und einem Verfehlen der Milte der
Schrift bewahren wird.

Berlin (West) Jobst Schöne

Praktische Theologie:
Seelsorge/Psychologie

Weyhofen, Hans Theo: Trost. Modelle des religiösen und philosophischen
Trostes und ihre Beurteilung durch die Religionskritik.
Frankfurt/M.-Bern: Lang 1983. IX, 273 S. 8° = Europäische Hochschulschriften
. Reihe XXIII: Theologie, Bd. 203. sfr 64,-.

Pisarski, Waldemar: Anders trauern - anders leben. München:
Kaiser 1983. 112 S. 8" = wachsen und gestalten. Kart. DM 12,-.

Luther, Martin: Tröstungen. Zwei Schriften vermittelt von R. Bohren
. München: Kaiser 1983. 144 S. kl. 8' = Lese-Zeichen. Kart.
DM 12,-.

„Trost", ein für Luther wesentlicher Begriff, ist wieder zum Gegenstand
theologischer Überlegungen geworden. Dazu dürften Äußerungen
von soziologischer und psychologischer Seite beigetragen
haben, die im Trösten oder - bei negativer Einschätzung - im Vertrösten
die wichtigste Funktion von Religion finden möchten. Weyho-
fen geht davon aus, daß diese Funktionsbestimmung oft ohne eine
inhaltliche Klärung der Frage, was Trost ist, vorgenommen wurde. Er
fuhrt deshalb Modelle der Leidensinterpretation vom Alten Testament
bis zur Gegenwart vor und setzt sich mit der an ihnen geübten
Kritik auseinander. Aus dem Alten Testament berücksichtigt er Deu-
terojesaja und Hiob, im Neuen Testament erläutert er besonders die
Bedeutungen von parakalein und lThess4. 13-18. Deutungsmuster
wie Leiden als Erziehung und Nachfolge, Leiden als Weg mit Christus
in die eschatologische Herrlichkeit werden herausgearbeitet.

Aus der griechischen und römischen Konsolationsliteratur skizziert

W. die Sicht der Sophistik, des Kynismus, der Stoa, Epikurs und der
Rhetorik. Grundtopoi dieser Consolatio sind die heilende Wirkung
der Zeit, die Nutzlosigkeit und Schädlichkeit der Trauer, das gemeinsame
und unabänderliche Los der Menschen, die moralische Difla-
mierung der Trauer als Zeichen von Unersättlichkeit. Ungerechtigkeit
und Undankharkeit sowie die Deutung des Todes als Erlösung. Bei
allen Unterschieden. /. B. zwischen Epikur und den Stoikern, ist den
Trosttopoi gemeinsam, daß das Leben und seine Güter abgewertet
werden und die Trauer über deren Verlust folglich als unvernünftig
gilt. Trauer ist allenfalls in Maßen berechtigt, also immer kritisch zu
behandeln.

Die Trostliteratur der Kirchenväter untersucht W. bei Ambrosius.
Augustin, Cyprian, Hieronymus, Paulus von Nola und den drei großen
Kappadoziern. Er zeigt sowohl den Einfluß der klassischen rhetorischen
Consolatio als auch das spezifisch Christliche, das im Glauben
zusammengefaßt ist als „Wissen darum, daß der Gläubige durch Tod
und Auferstehung Jesu Christi erlöst ist und sein endgültiges Heil die
eschatologische Existenz, im Reich Gottes ist" (1 10). „Die adäquate
Gestalt der christlichen Trauer ist... Sehnsucht in der Hoffnung auf
die Wiedervereinigung von Lebenden und Verstorbenen mit Christus
Diese Hoffnung bewirkt den Trost in der Trauer." (113)

Ein Kapitel interpretiert Boethius' „Trost der Philosophie", der
von der Klage über individuelles Leid wegführt zur Einsicht in die
Harmonie, die sich hinter der scheinbaren Unordnung verbirgt. Frost
ist die Einsicht, „daß alles so. wie es ist, gut ist und im Rahmen der
göttlichen Vorsehung seine Ordnung hat" (137). Aus der mittelalterlichen
Trostliteratur wählt der Vf. die „consolatio theologiae" des
Johannes von Dambach (geb. 1288), Gerhard von Liegcs Schrift
„Über den zwölflachen Nutzen der Trübsal" und Meister Eckballs
„Buch der göttlichen Tröstung". Johannes und Gerhard gründen den
Trost auf die Abwertung alles Irdischen und entfalten ihn „in einer
Lehre vom Nutzen des Leidens für das wahre Glück" der Seele (150).
Leiden im Äußeren ist Bedingung dafür, das innere Leben zu finden.
So gesehen, gibt es Übel nicht in derviußeren Welt, sondern nur in der
Seele. Bei Meister Eckhart entsteht Trost durch die Gottesgeburt in
der Seele, durch den „Zustand, in dem das Armwerden abgeschlossen
ist und der Mensch mit Gott einen einzigen Willen bildet" (165). Eine
„absolute Exklusivität zwischen äußeren Gütern und dem wesentlichen
Gut" (161) finde ich jedoch bei Eckhart nicht, denn der gelassene
Mensch kann sich auch an äußeren Gütern freuen. Von Gott her
gewinnen sie ihren Wert. Eckhart steht deshalb zu den vorher genannten
mittelalterlichen Modellen in einem schärferen Gegensatz, als das
bei W. deutlich wird.

Bonaventura, Seusc und Thomas von Kempen sind Beispiele für
die „Kunst des heilsamen Lebens", deren Intention darin besteht,
„das Ende des Lebens selbst zum Bestimmungsgrund des Lebens zu
machen" (171). Bei Seuse geschieht diese Kunst in der Identifikation
mit dem leidenden Christus und „in der totalen Gelassenheit gegenüber
allem Äußeren" (173). Wahres inneres Leben ist „eine fortwährende
Antizipation des wirklichen Todes" (175). Für Thomas von
Kempen gibt es auch in der menschlichen Zuwendung Trost, doch
muß dieser unvollkommen bleiben. Trost vollendet sich in der Vereinigung
mit Gott. Von der Kunst des heilsamen Lebens unterscheidet
sich die Ars moriendi darin, daß sie das Interesse ganz auf das rechte
Sterben selbst verlagert. Anselm von Canterbury, Gerson und die
„Ars moriendi der fünf Anfechtungen" werden erwähnt.

Bei Luther interpretiert W. im Anschluß an H. Appel und W. v.
Loewenich knapp den „Sermon von der Betrachtung des heiligen Leidens
Christi" (1519), die „Tcsscradecas consolatoria" (1519/20) und
den „Sermon von der Bereitung zum Sterben" (I 519). Im letztgenannten
Sermon zeigt sich die Nähe zur Ars moriendi am deutlichsten.
Kennzeichnend ist jedoch die Konzentralion auf den „einzigen Trost,
der im Bild Jesu Christi alleine liegt" (194). Damit reibt sich die m. E.
zu starke Betonung der conformitas:... . . daß der wahre Trost in allen
Anfechtungen in der durch die Gnade der Kreuzesnachfolge erreichten
Gleichförmigkeit mit Christus und dem tiarin liegenden verborge-