Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1984

Spalte:

545-547

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Titel/Untertitel:

God who stands and stays, first and second part 1984

Rezensent:

Schöne, Jobst

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

545

Theologische Literaturzeitung 109. Jahrgang 1984 Nr. 7

546

mehr in die Praktische Theologie und in den Bereich des Alltagslebens
, in dem sich ja letztlich wohl entscheidet, welchen Stellenwert
die Schrift selber, nicht primär die theoretische Begründung ihrer
Autorität, sondern die Schrift als aufschlagbares Buch, im Leben des
Christen und der Kirchen hat. Mithin würde sich das Hauptlhema
von einem kontrovers-lheologisehen (und das heißt durch Denken zu
lösenden) zu einem alltagspraklischen Problem verlagern. Es könnte
dann formuliert werden: welche Methoden im Umgang mit der.
Schritt gibt es und welche scheint die geeignetste zu sein, damit der
letztendlich göttliche Urgrund der Schrift, der ja auch Urgrund und
Od eines jeden menschlichen Lebens ist, besser wahrgenommen,
erkannt und befolgt werden kann? Wenn dem so ist. dann müßte auf
One kontrovers-theologische nun eine vergleichende und bewertende
I'raxis-Studie folgen. Und man würde eine Antwort erwarten dürfen
Uli die Trage, wie denn die Schrift ein noch wirksameres ..Werkzeug
m der Hand Gottes" sein kann, um jene Einheit zu erreichen, die
Rottes Wille ist.

Münster Pctcr Lengsfcld

Henry. ( arl F. IL: God. Revelation and Authority. Vol. V and VI:
God. Who Stands and Stays. Part I and 2. Waco, Texas: Word
Books 1983.443 S. u. 566 S.gr. 8*. Pp.

Bisher wußten hierzulande nur Experten auf dem Gebiet derevan-
gellkalen Szene der USA den Namen Carl F. H. Henry einzuordnen.
M't diesem geringen Bekanntheitsgrad mag es anders werden. Denn
die voluminösen Bände dieses Autors sollen - so verheißt es das Vorwort
- in deutscher Übersetzung erscheinen. Henry, Jahrgang 1913,
ist Baptistenprediger, hat sieben Jahre am Northern Baptist Theologi-
val Seminars gelehrt und neun Jahre am l uller Theological Seminary
lr> Kalifornien. In den USA ist er vor allem bekanntgeworden als Mitbegründer
und Herausgeber der Zeitschrift "Christianity Today", die
seit 1956 als Sprachrohr jenes evangelikalen Protestantismus gilt, der
nicht mehr einfach als Fundamentalismus alten Stils angesehen werften
will, sondern ihn weiterentwickeln möchte: nach wie vor konservativ
in allem, was als zentrale Cilaubensaussage gilt, zugleich intellektuell
anspruchsvoller, den gesellschaftlichen Problemen gegenüber
au'geschlossen. zur Kooperation bereit. Als "new evangelicaF'in die-
sem Sinne ist Christianity Today zu werten, aber etwa auch die Billy
Graham Evangelistic Association: hier haben Geist und Z.iclsetzung
des ursprünglichen Fundamentalismus eine neue Ausdrucksform
Müden.

Henrys Alterswerk, sechs umfangreiche Bände unter dem Obertitel
God. Revelation and Authority". deren beide letzten wir hier anzeigen
, gehört zu dieser Richtung. Es ist ein breit angelegter Versuch, das
theologische Anliegen dieses neuevangelikalen Fundamentalismus in
Puncto Golteslehrc zur Sprache zu bringen, zu begründen und zu verteidigen
. 15 Jahre, sagt Henry, habe er daran gearbeitet. Die Frucht
dieser Bemühung wird nun mit einem guten Schuß Selbst- und Scn-
dungsbewußtscin vorgelegt.

Gegenüber den vier ersten Bänden der Serie (Untertitel: God Who
bpeaks and Shows), die der theologischen Erkenntnistheorie gewid-
m<-T sind, nehmen die beiden letzten die eigentlichen Inhalte derGot-
cslehre auf (betonen „Ontologie oder Metaphysik", untersuchen ..die

atur des sich selbst erschließenden Gottes, welchen Menschen ken-
"vn. verehren, dem sie dienen sollen"). In der Terminologie Gassicher
Dogmatik: hier geht es um die Loci De Deo und De homine.
' Ur daß es bei Henry ganz und gar nicht nach klassischem Muster
so traditionsgebunden ersieh auch äußert. "God Who Stays and
■ anos ist für ihn einerseits der in sich ruhende, in vollkommener
•ouveränität. Aseitäl und Transzendenz bestehende Göll ("Who

•nds ). andererseits zugleich der aktive, sich offenbarende Schöpfer,
oscr u,,ft Richter, der sich zu uns herabläßt, sich zu uns stellt und

Cl uns bleibt ("Who Stays"). Diese doppelte Seite des Gotlcsbildes

■■ Henry in ihrer Intcrrclation nachzeichnen. Zu traditionellen dogmatischen
Termini. Kategorien und Distinktionen greift er dabei nur

mit deutlicher Zurückhaltung, dann, wenn es ihm unerläßlich
erscheint. Im übrigen will er die Dinge neu sagen, will sich jener Umgangssprache
("everyday terms") bedienen, die auch dem Nichtgeschulten
zugänglich ist. Man erwarte dennoch keine leichte Lektüre!
Das bringt der Gegenstand mit sieh, der kaum anspruchsoller gedacht
werden kann, zudem ist sprachliche Präzision nicht unbedingt
Henrys Stärke.

In je 21 Kapiteln der beiden Bände wird der umfangreiche Stoff behandelt
, dabei kommen Themen wie diese zur Sprache: Realität und
Objektivität Gottes, der lebendige Gott der Bibel, die göttlichen Attribute
. Personalität in der Gottheit, die Trinitätslehre. göttliche Zeit-
losigkeit und Allwissenheit, die Souveränität des allmächtigen Gottes,
die Erkennbarkeil Gottes. Geist des Mensehen und Geist Gottes.
Transzendenz und Immanenz Gottes. Erwählung als Ausdruck der
Freiheit Gottes, Sehöplüngswerk und Evolution. Ursprung und Natur
des Menschen, Gott und das Problem des Bösen. Vaterschaft. Heiligkeit
und Liebe Gottes, der Dienst des Heiligen Geistes, der Gott der
Gerechtigkeit und Rechtfertigung, göttliche Vorsehung. Eschatolo-
gie.

An Gegenwartsbezügen und Auseinandersetzung mit zeitgenössischer
(meist amerikanischer) Theologie und Weltanschauung mangelt
es nicht. So werden etwa die feministische Herausforderung des
„patemalistischen" Gottesbildes ebenso aufgegriffen wie die gegenwärtige
Debatte (in den USA) über die Erwählung. die These von den
Spuren Ghristi in den nichtbiblischen Weltreligionen, die Frage nach
der Bedeutung der Gerechtigkeit Gottes Tür Gesellschaft und Politik
und das Thema ..Auschwitz und die göttliche Vorsehung".

Welche Beobachtungen lassen sich nun machen und zu welchem
Ergebnis Führt Henrys Arbeit? (I) Neuere exegetische Forschungen im
Alten und Neuen Testament werden nicht in nennenswertem oder
ausreichendem Umfange berücksichtigt, gleiches gilt von der Dogmengeschichte
. Der Fundamenlalismus schlägt voll durch. Eine
merkwürdig geschichtslose Theologie tritt zutage, die ihre eigenen philosophischen
Voraussetzungen und Bedingtheiten nicht erkennt oder
erkennen will. (2) Kalvinistisch orientierte Orthodoxie liegt dem ganzen
Werk zugrunde, sie wird in positivistischer Weise tradiert, es mangelt
an kritischer Hinlerfragung der eigenen evangelikalen Position.
(3) Soweit divergierende theologische Positionen und dogmatische
Entwürfe anderer Art in Henrys Blickfeld kommen, sind sie zumeist
aus kalvinistischer Tradition erwachsen und werden höchst selektiv,
mit ausgesuchten Zitaten, die kaum das Ganze erkennen lassen, zur
Absicherung der eigenen Aussagen oder als Beleg Fürs Abweichen von
evidenten „Wahrheiten" herangezogen. Karl Barth wird am häulig-
sten angelührt. dagegen kommen lutherische, römisch-katholische
oder gar orthodoxe Theologie nur selten zur Sprache. Für genuin
christlich scheint Henry nur das zu halten, was seiner Position nahekommt
. (4) Das Gottesbild, das Henry zeichnet, erscheint gänzlich
rational durchdringbar. Der Dcusabscondilus lutherischer Theologie,
dessen Rätselhaftigkeit in die Anfechtung Führt, dessen Geheimnis
nicht von menschlicher Ratio aufgelöst werden kann, hat in FJenrys
Entwurf keinen Raum. Aus der Sorge, daß Subjektivismus die Gottes-
lehre aushöhlen könne, wird rationaler Einsichtigkeit Gottes das Wort
geredel: „Nur eine ontologische Struktur, die unbedingt rational ist.
die die Rationalität Gottes vertritt und die ontologische Bedeutung
der Vernunft rechtfertigt, kann als gesunde christliehe Philosophie
bezeichnet werden." (Bd. V. 355) Ein rational einsichtiger Gott und
seine rational einsichtige Offenbarung (a rational God and his rational
revelation) müssen nach Henry wieder zur Geltung gebracht werden.
Gottes Unbegreiflichkeit (incomprehensibility) soll dabei zwar
gewahrt werden, schließt aber keineswegs Gottes Unerkennbarkeil
(unknowabilily) ein: im Gegenteil. Gott ist durchaus erkennbar, und
das nicht etwa erst in Christus, nein: „Diese Möglichkeit menschlicher
Kenntnis von Gott selbst und von seinen olTenbartcn Absichten
folgt aus Gottes (eigener) Rationalität und aus der Erschaffung des
Menschen nach Gottes Ebenbild." (Bd. V. 380) Eine dem reformatorischen
Verständnis widersprechende „natürliche Theologie" und in