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Ausgabe:

1984

Spalte:

531-533

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Titel/Untertitel:

Schriften und Briefe 1533 bis 1534 1984

Rezensent:

Fligge, Jörg

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Theologische Literaturzeitung 109. Jahrgang 1984 Nr. 7

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d. Gr. und bringen all jene bunten Vorgänge hinein, die hier nur angedeutet
werden konnten. Der vorgelegte Band erörtert die literarische
Einordnung und Nachwirkung (LXI11-LXXI) sowie ,,Sprachliches"
(LXXI-LXXXVIIIL Der Text erinnert an die Gedichte Walthers von
der Vogelweide. Die Lektüre macht Freude, auch wenn man nichts
über die Zeit Karlsd. Gr. daraus lernen kann.

Rostock Gert Hacndler

Oslander, Andreas d. Ä.: Gesamtausgabe. Bd. 5: Schriften und Briefe
1533 bis 1534. Hrsg. v. Gerhard Müller u. Gottfried Seebaß.
Gütersloh: Gütersloher Vcrlagshaus Gerd Mohn 1983. 556 S.
gr. 87 Lw. DM 165,-.

Über die ersten vier Bände der Osiander-Ausgabe wurde in der
ThLZ102, 1977 Sp. 115-117; 104, 1979 Sp. 199-202; 106, 1981
Sp. 106-107; 109, 1984 Sp. 207-209 berichtet. Band 5 bietet nunmehr
den Text der Kirchenordnung von 1 533, nachdem Band 3 und
besonders Band 4 Vorarbeiten zu diesem zentralen Quellenstück enthalten
hatten. Den zweiten Schwerpunkt des Bandes bilden Osianders
berühmte Katechismuspredigten. Beide Texte dürfen nach der Einleitung
von Rudolf Keller und Gerhard Müller als,,Prinzipalstücke'* im
theologischen Werk Osianders gelten (S. 9). Einen weiteren Akzent
stellt der Absolutionsstreit dar. Hinzu treten einige Stücke mit unterschiedlicher
Thematik (Konzil, Pest, Schwärmer. Juden, Biographisches
). - Vier Quellenstücke (Nr. 176. 177, 185, 190) wurden im
16. Jh. gedruckt: die Kirchenordnung, die Katechismuspredigten, die
Pestpredigt (alle 1533) und ein Empfehlungsgedicht (1534). Die Verbreitung
und Wirkungsgeschichte der ersteren drei Drucke ist sehr
interessant und wird von den Bearbeitern ausführlich belegt. - Da
während des Bearbeitungszeitraumes keine neuen Quellenkunde zum
früheren Zeitraum getätigt wurden, erübrigten sich Nachträge zu den
bisherigen Bänden (S. 9). Andererseits müssen mehrere belegte Briefe
von und an Osiander als verschollen gelten (S. 1 1). Die im Werkvcr-
zeichnis von Gottfried Seebaß1 für den Zeitraum dieses Bandes, die
Jahre 1533 und 1534. nachgewiesenen Dokumente wurden in derselben
Reihenfolge übernommen. Fünf Nummern konnten nicht oder
nicht an dieser Stelle in die Ausgabe eingehen (S. 12 u. Anm. 1).

Das erste wichtige Werk dieses Bandes, die Kirchenordnung von
1533, Nr. 176, S. 37-181, wurde von Jürgen Lorz und G. Seebaß bearbeitet
. Aus der Fülle der Begleitumstände, welche die Entstehung
beeinflußten, ist zunächst die Zusammenarbeit von Osiander und
Johann Brenz hervorzuheben. Osiander konnte hierbei seine dominierende
Rolle behaupten, so daß der Einfluß von Brenz insgesamt als
gering beurteilt werden muß (S. 45. 48f, 60f). Dieses gilt auch für die
Mitwirkung seiner Nürnberger Kollegen. Daher kann die Kirchenordnung
heute „ohne Bedenken als Werk Osianders" (S. 60) bezeichnet
werden. Herauszustellen ist weiter die starke Wirkung der nürnbergisch
-brandenburgischen Kirchenordnung, die sich in einer reichen
Drucküberlieferung (S. 61-63) und in ihrem Vorbildcharakter
für Kirchenordnungen anderer Territorien niederschlägt. Sie hat eine
„eigene Familie evangelischer Kirchenordnungen" (S. 61) begründet.
Eine erschöpfende Wirkungsgeschichte der Kirchenordnung wird
nach wie vor als Forschungsdesiderat bezeichnet (S. 61 u. Anm. 177).
Die Einführung der Kirchenordnung in die Praxis für Stadt und Land
zum 1.1. 1533 - in manchen ländlichen Gebieten etwas später -
bedeutete die Errichtung eines Ordnungsgefüges für das noch in vieler
Hinsicht unbestimmte kirchliche Leben. Zur Überwachung der Einhaltung
der erlassenen Bestimmungen setzte der Nürnberger Rat eine
Kommission ein (S. 58). Die Kirchenordnung regelte Bräuche und
mißbilligte die aus reformatorischer Sicht zu verwerfenden katholischen
Mißbräuche (S. 1 100, sie ordnete Gottesdienst, Sakramentsund
sonstige liturgische Praxis. Zugleich ist die Kirchenordnung aber
auch Lehrschrift, die inhaltlich den richtigen Weg-weisen will. Sie ist
damit auch eine wichtige Quelle für Osianders Theologie. Diesen
Umstand erkannte er schon selber an. indem er sich im Königsberger

Streit um die Rechtfertigungslehre auf diese frühen Texte berief. Dieses
wird besonders im Abschnitt „Vom euangelio" deutlich, bei dem
Anklänge an spätere Formulierungen auffallen. Der Widerstand bei
der Einführung der Kirchenordnung entzündete sich aber an konkreten
Verfahrensfragen, z. B. der Handhabung der Taufe, der Abendmahlsliturgie
oder dem Geltungsbereich der Kirchenordnung
(S. 57-60).

Die Autorschaft für das zweite Hauptslück des Bandes, die Katechismuspredigten
. Nr. 177 S. 182-334. darf als erwiesen gelten.
Osiander legt für Kinder die zehn Gebote, das Glaubensbekenntnis
, das Vaterunser. Taufe, Schlüsselamt und Abendmahl aus. Der
Nürnberger Rat befürwortete das Vorhaben nachdrücklich (S. 1821).
Schon zu Osianders Lebzeiten erschienen zahlreiche Ausgaben, die
vom Bearbeiter Rudolf Keller ausgebreitet werden (S. 191-194). Bemerkenswert
ist der Königsberger Nachdruck von Johann Daubmann
von 1 554, der in den Kontext des Osiandrischen Streites zu stellen ist.
Herzog Albrcchl von Preußen verfaßte die Vorrede zu dieser Ausgabe
(S. 195). Die Wirkungsgeschichte in Form von Drucken und Übersetzungen
geht überdiesen zeitlichen Rahmen allerdings weit hinaus.'

Den dritten Schwerpunkt des Bandes bildet der Streit um die allgemeine
Absolution (Nr. 178 S. 335IT. Nr. 180 S. 348IT, Nr. 183
S. 3751T. Nr. 184 S. 381 IT Nr. 186 S. 412-493). Die Praktizierung der
Beichte, verbunden mit einer Aufzählung einzelner Sünden, war rückläufig
. Um einen unwürdigen Genuß des Abendmahls zu vermeiden,
ging man dazu über, die Abendmahlsgemeinde insgesamt zu absolvieren
. Ein offenes Schuldbekenntnis ging der allgemeinen Absolution
voraus. Die Ohrenbeichte schien damit überflüssig und abgeschafft. -
Osiander. der in diesem Vorgehen das Mißverständnis eines Beichtersatzes
begründet sah. trat daher nachdrücklich für den alleinigen
Gebrauch der Privatbeichte ein. Er versuchte den Rat. der die Auflassung
von Osianders Kollegen teilte, zu einer Meinungsänderung zu
bewegen. In einem Gutachten erläutert Osiander seine Gegenposition
. - Für ihn bestand die Gefahr, daß „hurn. puben. eehreeher"
leicht absolviert würden, ohne die Bereitschaft, ihren Lebenswandel
zu ändern. Auch die konditionale Form der Vergebungszusage ließ er
nicht gelten. Er bewertete sie als unreformatoriseh. In dem Stieß spiegelte
sich die „ungeklärte Beichtpraxis der" - noch jungen -
„lutherischen Kirche" wider (S. 338). - Seine Auflassungen legte
Osiander vor allem in dem sehr umfangreichen Absolutionsgutachten
vom 22. Sept. 1533 dar (Nr. 186 S. 41211), in dem er u. a. daraufhinwies
, daß die Kirchenordnung von 1533 keine allgemeine Absolution
vorsehe (S. 45811). Die Privatabsolution wird als die durch die Schrift
gesicherte herausgearbeitet (S. 44711). Das Amt der Schlüssel - für
Osiander das dritte Sakrament - ist für ihn nur in der Form der Privatabsolution
wirksam. Osiander sieht sich im Einklang mit Brenz
(S. 458) und den Wittenbergern (S. 48 I). Luther riet Osiander in dem
Streit allerdings brieflich zur Besonnenheit (Nr. 188 S. 4941V u.
Nr. I83S. 376).

Zu den Stücken verschiedenen Inhalts gehört Osianders Pestpredigl
„Wie und wohin ein Christ fliehen soll" (Nr. 185 S. 384-41 I). die zu
den meistgedruckten osiandrischen Werken zählt. Auch in diesem
Fall erfolgte ein Nachdruck in Königsberg, wo 1549 eine verheerende
Pcslepedemie wütete (S. 387). Weiter sind zeitgenössische englische
Übersetzungen nachgewiesen (S. 389).' - Osianders Konzilsgutachten
des gleichen Jahres (Nr. 182 S. 357-374). das außerhalb des Nürnberger
Staatsarchivs noch in handschriftlichen Überlieferungen in Weimar
. München und Wolfenbütlel existiert - über das Schicksal der
ehemaligen Königsberger Handschrift ließ sich keine Nachricht herbeiführen
(S. 361) -. erörtert u. a. die Sicherheitsfrage (freies Geleit.
Gefahr des Ketzerprozesses. Vollstreckung von Konzilsurtcilen durch
die Inquisition). - Gegenüber den Juden (Nr. 192 S. 508IT. Nr. 195
S. 517) läßt sieh Osiander von Gesichtspunkten der Gelehrsamkeit
und von Wohlwollen leiten. Er empfiehlt beispielsweise einen bekehrungswilligen
Juden als Lehrer für das .Aramäische. Für einen Täufer,
der lange Zeit inhaftiert und ziemlieh traktiert wurde, verwendet sich
Osiander beim Rat im Sinne einer Ausweisung aus der Stadt. Dkm'