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Ausgabe:

1984

Spalte:

516-517

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Klauck, Hans-Josef

Titel/Untertitel:

Hausgemeinde und Hauskirche im frühen Christentum 1984

Rezensent:

Theißen, Gerd

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Theologische Litcraturzeitung 109. Jahrgang 1984 Nr. 7

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behandeln, die direkt oder indirekt Aussagen über eine exorzistische Tätigkeit
Jesu oder der frühen Missionare enthalten. Doch läßt die detaillierte Interpretation
im letzten Kapitel (229-260) nach, weil der Autor gerade die Passagen, die
mit Mk keine Parallelen haben. ..im Sinne kursorischer Auslegung"' (24) nur
knapp behandelt. Die für die redaktionelle Arbeitsweise interessantesten Ergch-
nisse läßt der VC im Absehlußkapitel (261-279) zusammen. Dort greift er auch
wieder seine an einer aktuellen Problematik interessierte Fragestellung auf. Er
findet die in der Forschung wiederholt vertretene Auflassung bestätigt, daß Lk
seine Texte ..flüssig und übersichtlich zu formulieren" (262) und zu straffen versteht
. Der Evangelist sieht sieh als eigenständiger Schriftsteller (19) nicht an den
Wortlaut der jeweiligen Vorlage gebunden, sondern übernimmt ihn in einer
Weise, die der Verfasser als ..assoziative Redaktionsweise'" (265 vgl.
43.66.87.126.1681.186.188.202.218) bezeichnet wissen möchte. Ihren Grund
lindet der Autor in „der von Lukas sieh selbst auferlegten Treue zum apostolischen
Kerygma (vgl. dazu Lk 1.2-3)". ..in seinem schriftstellerischen Ethos"
sowie im ..theologisch eigenständigen Bemühen" (265). Die lk. Erzähltcehnik
lenkt die Aufmerksamkeit des Lesers auf die Person Jesu und sein vollmächtiges
I landein in Wort und Tat. Er ist der wohltuende Heiland als auch der mit pneumatischer
Vollmacht ausgestaltete Lehrer (272) der späteren christlichen
Gemeinden. Die letztere Beobachtung veranlaßt den Vf. zu der weitreichenden
These: Lk habe mit seinem Doppelwerk eine katechetische Handreichung für
seine Gemeinde verfassen wollen (269f. vgl. 18.40.44.67.69.89.
I 30.1 57.227.278). Außerdem hat die Exegese der lk. Austreibungsgesehichten
für den Autor eine christologisehe Akzentsetzung deutlich erkennbar werden
lassen. S. E. vertritt Lk eine schon weit in Richtung auf das Johannesevangelium
fortgeschrittene C'hristologie. Einige Austreibungsgesehichten zeigen ihm.
..wie Lukas die Person Jesu v erstanden, w ie er Jesu Verhältnis zum Vater interpretierte
" (270 vgl. 129.227.274). Besonders der dem Lk eigene Abschluß der
Gerasaperikope 8.39 gibt dem Vf. den Hinweis, daß mit der gewählten Formulierung
..nicht nur der bloße Rückhalt im Vater gemeint" sein könne, sondern
sie deute schon das Ineinander des Wirkens Gottes und Jesu an. ..das auf dem
einzigartigen Verhältnis des Sohnes zum Vater" (129) beruhe. Denn in diesem
Vers spricht Lk einmal unbekümmert vom Handeln Gottes und zum anderen
vom Tun Jesu. Auch weise nach dem Vf. der Gebrauch des Hoheitstitels ..Sohn
Gottes" (erstmals in Lk 1.35) in einigen Exorzismusgeschichten Jesus als
Gesandten dessen aus. in dem ersehnen Ursprung habe: Gott (275).

Für die aktuelle Interessenlage des Autors trägt die Analyse wenig aus.
Bekanntlieh hat Lk die Hcilandslätigkeit Jesu akzentuiert und die Schilderung
der genauen Vorgänge beim Exorzismus selbst gegenüber Mk vernachlässigt
(267 vgl. 43.128.212.233.242.272.277L). So kommt der Vf. zu dem Schluß:
..Damals wie heute vertraut der an C hristus glaubende Mensch, daß Jesus sich
gegenüber all jenen Phänomenen, die bedrohlich, undeutbar sind und die in die
Sphäre des Geisterhaften, des Dämonischen gerückt werden, als machtvoll
erweist." (277) Mit diesem theologischen Vulgarismus ist erkennbar die Aporic
jeder vorschnellen Aktualisierung neulcstamentlicher Aussagen ohne genügende
hermeneutisehe Reflexion markiert. Schon in dem Exkurs über
„Dämoncnvorstellungen in der Umwelt des Neuen Testaments" (45-54) hätte
der Autor die zuliefst unterschiedene Welterfahrung frühjüdiseh-hellenisliseher
und moderner Mensehen thematisieren können. Weiterhin fragwürdig bleibt
dem Rez. die Darstellung des lk. Doppelwerkes als einem „katechetischen"
opus. Die Ansieht ist dem Vf. von Lk 1.1-4 nahegelegt worden. Dabei ist ihm
aber entgangen, daß dort das griechische Verb ..kalächein" nicht mehr und
nicht weniger als ..informieren" bedeutet. Die spätere Wortbedeutung einer
„christlichen Unterweisung" lindet sieh erst 2Klem 17.1. Das lk. Proömium
wird erst dann recht verstehbar. wenn man es im Rahmen hellenistischer
Proömia interpretiert und erkennt, w ie weit es der literarischen Konvention der
Zeit unterliegt. Ebenso zweifelhaft bleibt die Einsehätzung der lk. C'hristologie
durch den Verlässer. Vielleicht mag wirklieh eine Nähe zur johanneisehen
C'hristologie auszumachen sein. Dennoch bleibt sieh Lk des „gräßlich breiten
Grabens" bewußt, der zwischen dem üsterglauben der Jünger und dem historischen
Jesus liegt. Denn Lk gebraucht nicht willkürlieh bei der Nennung des
Hoheitstilels „Sohn Gottes" 1.35 das Futur. Es weist nämlich auf Apg 2.24-36
voraus.

Trotz dieser und anderer, hier nicht näher markierter Mängel und
Ungereimtheilen bestätigen zumal die Analysen im Bereich des lk.
Markusstoll'es den bislang erreichten F'orsehungsstand. Einen eigenständigen
Beitrag zur redaktionskritisehen Forschung leistet die
Arbeit vor allem im Bereich der Syntaxanalyse. Hier hat der Vf. das
methodische Instrumentarium um einen wichtigen Baustein erweitert
, indem er anderer Vorarbeiten systematisiert.

Duisburg Ulrich Busse

Klauek, Hans-Josef: Hausgemeinde und Haaskirche im frühen Christentum
. Stuttgart: Kath. Bibelwerk 1981. 120 S. 8" = Stuttgarter
Bibelstudien. 10.3. DM 22,80.

Unabhängig voneinander erschienen in jüngster Zeit drei sozialgeschichtliche
Arbeiten zum Thema „Haus" und ..Hausgemeinde" im
Urchristentum. R. Banks: Paul's Idea of Community. The Early
Housc Churches in their Historieal Setting. Excter 1980, entwirft cm
Bild des gesamten Gemeindelebens im paulinisehen Bereich.
J. H. Elliolt: A Home for the Homeless. A Sociological Exegesis of
1 Peter. Its Situation and Stratege. Philadelphia 1981. untersucht
anhand des Gegensatzes von „oikos" und „paroikia" den gesamtgesellschaftlichen
Kontext der Gemeinde des IPetr. H.J. Klaucks
Buch ist umfangmäßig das kleinste, hat aber historisch den weitesten
Gegenstandsbereich: Es untersucht die Geschichte urchristlicher
Hausgemeinden von den Anlangen bis ins 4. Jahrhunderl hinein und
gibt einen Überblick über Analogien in der religionsgesehichtlichen
Umwelt des Urchristentums.

Seine wichtigsten Ergebnisse: K. weist lür Korinth ein Nebeneinander von
Vollversammlung (Rom 16.23; I Kor 14.23) und mehreren Hausgemeinden
nach und macht lür Rom eine Vielfalt von Hausgemeinden wahrscheinlich.
R. Banks, der unabhängig zu denselben Ergebnissen kam. macht S. 37 ff darüber
hinaus das Fehlen der Anrede „ekklesia" im Römcrhriefprüshript dadurch verständlieh
, daß es in Rom noch keine Voll Versammlung der Christen gab.

Die Hausgenieinden hatten eine vierfache Funktion, die K. implizit voraussetzt
, ohne sie irgendwo systematisch zusammenzustellen:

1) Kultische Funktion: Die Gottesdienste der ersten Christen wurden in
„Häusern" gehalten. Die Pluralitäl von Hausgenieinden erkläre möglicherweise
die Pluralitäl von Gottesdienstlörmen. Die Taufe ganzer Häuser weise aul
Verbindungen zwischen Taufgottesdienst und Hausgemeinde (S. 370 - ein
Gedanke, der freilieh schon S. 39 w ieder zurückgenommen wird.

2) Missionarische Funktion: Häuser sind Adressaten der Mission und ihre
Basis. Die Pluralitäl von Hausgemeinden erkläre die Parteistreitigkeiten in
Korinth. Die Apollospartei dürfte sieh z. B. um das Haus gesammelt haben, das
Apollos beherbergt hat (S. 4(1).

3) Kalechelischc Funktion: Im Hause lindet - im Gegensatz zur öffentlichen
Verkündigung - eine inlerne katechetische Belehrung statt (vgl. Apg 20.20 und
die geheimen Belehrungen im „Haus" bei Markus). Leider wird dasGeheimnis-
motiv im Mk-Evangclium nicht untersucht: Das „Haus" ist u. a. ein Bereich,
der sieh öffentlicher Kontrolle entzieht (vgl. z. B. Mt 17.2411' Epikt. diss. III.
22.14).

4) Metaphorische Funktion für das theologische Selbstverständnis der Gemeinde
: Das „Haus" ist Bild lür die Gemeinde als „Haus Gottes" (1 Petr. Past).
Dies theologische Bild stehe in einem llomologicverhällnis zur Sozialstruktur
urchrisllicher Gemeinden, die sieh als ..Hausgenieinden" organisierten
(S. 68).

Relativ wenig geht K. auf die allgemeine soziale Funktion des „Hauses" als
allgemeiner Lebensform ein. Hier ist das Buch von J. H. Elliott eine wertvolle
Ergänzung. Um so bemerkenswerter, daß K. eine zentrale These Elliotts vorweggenommen
hat: „Die Solidarität gegenüber einer oft feindlichen Umwelt
stützt das Selbstbewußtsein und die Gewi findig der eigenen christlichen Identität
. Hausgenieinden konnten emotionale Geborgenheit vermitteln, das Gefühl
des Zu-Hause-Seins. das auch der Gläubige braucht." (S. 101) Hier müßte konkretisiert
werden, worin die Bedrohung des Ungeborgenseins begründet ist.

Charakteristisch für die Arbeit Klaucks ist eine große Vorsieht, über soziale
Beschreibungen zu sozialgeschichtlichen Erklärungen hinauszugehen. Vier
Beispiele seien dafür angeführt:

1) Die Erklärung der korinthischen Konllikte durch verschiedene Hausgenieinden
ist plausibel (S. 391). Dann aber ist es kaum ein Zufall, daß Paulus
nach überwundenem Konllikt bei Gaius. also dem Gastgeber der ganzen
Gemeinde, übernachtet (Rom 16.23). sei es um Distanz zu den ehemals rivalisierenden
Hausgemeinden zu halten, sei es. weil sieh die Paulusparlei (zu der
Gaius nach I Kor 1.14 zu rechnen ist) durchgesetzt hat.

2) Klauek sieht völlig zu Recht einen Zusammenhang zwischen der .Aufwertung
der Frau und der Existenz von Hausgemeinden (vgl. S. 26. 46. 101). Man
erwartet die Schlußfolgerung: Mit dem Zurücktreten der privaten Hausgemeinden
könne auch das Zurücktreten der Frau im Gemeindeleben zusammenhängen
. Je „ölfentlieher" die Vollversammlungen wurden, um so mehr mußten
sieh die in der Öffentlichkeit gellenden Rollenverteilungen durchsetzen.

3) Das Gegenüber von „Vollversammlung" und „Hausgemeinde" bedarf einer
Klärung. Auch die Vollversammlung fand in einem Privalhaus statt (vgl.