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Ausgabe:

1984

Spalte:

514-515

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Kirchschläger, Walter

Titel/Untertitel:

Jesu exorzistisches Wirken aus der Sicht des Lukas 1984

Rezensent:

Busse, Ulrich

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Theologische Literaturzeitung 109. Jahrgang 1484 Nr. 7

514

sion. Mit dieser Untersuchung soll ein Beitrag zum Verständnis der
Person Jesu in der evangelischen Überlieferung geleistet werden.

Nach einer Übersetzung und einem Vergleich der drei Texte vom Seewandel
Jcsu(Mt 14.22-33; Mk 6,45-52 und Joh 6.15-21 b) wird im 2. Kapitel die literarische
Gattung definiert. Danach handelt es sich jeweils um eine Epiphanie-
geschichte. die spezifisch als „sea-rcscue-epiphany" zu bezeichnen ist (17).
Wahrend die neutcstamcntlichcn christologisch.cn Perikopcn den ausschließlichen
Epiphaniccharakter unterstützen, läßt die ..inlcrtestamenlarisehc Literatur
" die Vorstellung von der Seerettung (mit den Motiven; Schill', stürmische
See. göttliche Rettung) als apokalypliseh-moliviert erkennen und auf die endzeitliche
Bedrohung und Errettung Israels bzw. der Qumran-Gemeinde auswerten
(Test Naph 6,1-10; I QH III 1-18; VII 4-5; VI 22-25). Man mag die Belege
im einzelnen Tür eine nichtüberzeugende Grundlage halten; denn es ist durchaus
offen, ob die genannten Motive kollektiv- und nicht vielmehr individuai-
orientiert eingesetzt sind und die seelische Bedrückung von einzelnen Mensehen
demonstrieren; die Schills-Erzählung im TestNaph. die E. Petcrson
übrigens in die Jamnia-Epoche datiert, hat nicht die Errettung, sondern die Zerstreuung
Israels zum Ziel - Tür den Verfasser reicht diese Basis aus. um nun eine
große Fülle von altlcstamenllichem Verglcichsmateriäl heranziehen zu
können.

Im 3. Kapitel wird nicht zuletzt aufgrund des verschiedenen Kasus-Gebrauchs
zu r.ni in Mt 14 (V. 26c. gen; V. 25c. acc. [vgl. aber v. I.!]) unterschieden
zwischen dem ..Auf-dem-See-Gehen " Jesu, das alttestamentliehe
Sehöpfungsüberliclcrungen reflektiert, nämlich das göttliche Herrschen gegenüber
den widergöttlichen Chaosmächten zum Ausdruck bringt (vgl. Hiob9,8),
und dem ..Über-den-Sec-Gehen" Jesu, das Motive aus der Exodusüberliefe-
rung. nämlich die Errettung am Schilfmeer (vgl. Ps 77.20) aufnimmt (4011).
Jesus erweist sich in der Seewandel-Perikope als der Retter, der mit absoluter
göttlicher Macht ausgerüstet ist. um sein Volk zu reiten (56). So sagen es auch
die Parallcltexle aus. wenngleich die Markus-Perikope die Reaktion der Jünger
als „unverständig" und ..verstockt" (Mk6,52) herausstellt und im Johannesevangelium
die plötzliche Landung des Bootes und der Wunsch der Jünger,
Jesus in das Boot aufzunehmen, weitere Besonderheilen darstellen (Joh 6,21).

Der Frage nach den Funktionen der Seewandel-Lpiphunien in den Evangelien
ist das letzte Kapitel des Buches gewidmet. Ein Vergleich der Matthäus-
Fassung mit der Sturmstillungs-Perikope (Mt 8.23-27) soll die Einheitlichkeit
der „See-Rcttungs-Epiphanien" darlegen und auch, daß sie im Petrus-Bekenntnis
zu Cäsarca Philippi eine Klimax erreichen und im weiteren Kontext die
Bedeutung der Gottessohnschaft Jesu illustrieren (8411). Nicht der Glaube der
Jünger, sondern die Offenbarung des Gottessohnes stell! im Mittelpunkt; wohl
aber korrespondiert eine sich vertiefende Jüngererkenntnis der im einzelnen
sich entfaltenden Sclhstoll'cnharung Jesu. Die ..See-Reltungs-Epiphanien" des
Neuen Testaments zeigen in der Überlieferung der Evangelisten ungeachtet
spezifischer Eigenheiten eine übereinstimmende dreifache, ehristologische,
soteriologischc und ekklesiologische Dimension: die Offenbarung der Macht
Jesu, sein Volk zu retten; die Errettung der Jünger, da Jesus den See Tür sie
begehbar macht; die Bestätigung des Glaubens, daß die Kirche unter Gottes
Schutz steht (170-174).

Wenn der Verlässer in seiner Darstellung auch sorgfältig vorgeht
und eine Fülle von alttesumentlich-jüdischem Material zitiert und
diskutiert, lassen sieh doch die folgenden Einwände gegenüber seiner
Untersuchung nicht zurückhalten.

I) Formgeschichllkh: Der Versuch, eine eigenständige l'ormge-
schichtliche Gattung „See-Rctlungs-Epiphanien" zu erheben, ist
zweifellos bedenkenswert, aber seine Begründung schwerlich überzeugend
. Die obengenannten religionsgeschichtlichen Paralleltexte können
den angestrebten Beweis nicht erbringen, da es sich allein im
TestNaph um eine ..Seerettungsgeschichte" handelt, diese jedoch
einen nichtepiphanen Charakter hat. wie der Verfasser selbst
zugesteht (17). Demgegenüber stimmt der Aulbau der neutestament-
lichen Secwandel- und Sturmstillungsperikopen mit anderen Wun-
eiergesehichten überein (Schilderung der Not. Darstellung der Wunderheilung
. Chorschluß). Eine Übereinstimmung besteht auch im
epiphanen christologischen Motiv, das sich hier mit dem Naturwunder
verbindet. Gerade weil die Offenbarung der Macht Jesu, nicht aber
die Errettung der Jünger im Mittelpunkt der See-Erzählungen sieht,
handelt es sieh nicht wirklich um ..Scc-Retlungs-Gesehichlcn".
Schließlich: Nur gezwungen läßt sich zwischen dem nculeslamenl-
liehen Wunderglauben und dem Glauben der Jünger in den Seegeschichten
unterscheiden. Hier muß der Verfasser dann auch zu einer

psyehologisierenden Argumentation seine Zuflucht nehmen (86) oder
gekünstelt differenzieren zw ischen dem Jüngerbekenntnis in Mt 14.33
und dem Bekenntnis des Petrus in 16.16 (1050.

2) Religionsgeschichtlich: Wie oben gesagt wurde, ist die Brücke
zwischen den herangezogenen außerneutestamentlichen Texten und
dem Neuen Testament brüchig. Zweifellos wären die Ergebnisse der
Untersuchung modifiziert worden, hätte der Verlässer sieh mit den
griechischen und hellenistischen See-(Rettungs-)Erzählungen beläßt.
Daß er sie mit Stillschweigen übergeht, bewirkt eine Englührung seiner
Argumentation, die dem Charakter der neutcstamcntlichcn Pcri-
kopen nicht gerecht werden kann. Diese gehören aus historischen und
theologiegeschichtlichen Gründen einer verhältnismäßig jungen
Überlieferung an; deshalb ist ihre Entstehung w ie auch ihre Entfaltung
ohne den Einfluß des hellenistisch-christlichen Bereiches nicht
zu denken.

3) Traditions- und redaktionsgeschichtlich: Die mit den Texten
zusammenhängenden historischen und Überlieferungsgeschic hl liehen
Fragen hat der Verfasser auch nicht entfernt berührt. Seine Gliederung
folgt einer Aneinanderreihung der Seeperikopen. wobei die Vorordnung
der Matthäustexte die Frage nahelegt, ob er auf dem Standpunkt
der Matthäuspriorität steht. Bleibt diese Frage ollen, so sind
auch alle anderen Probleme der zugrundeliegenden Traditionen und
des gegenseitigen literarischen Verhältnisses nicht gestellt worden. Es
ist dann auch nicht weiter überraschend, daß das Verhältnis von Tradition
und Redaktion nicht diskutiert und die Redaktionsarbeit der
Evangelisten im Gegenüber zur Tradition nicht erhoben wurde. Die
redaktionsgeschichtliche Methode seheint dem Verlässer ganz fremd
geblieben zu sein.

Göttingen Georg Strecker

Kirchschläger, Walter: Jesu exorzistisches Wirken aus der Sieht des
Lukas. Ein Beitrag zur lukanisehen Redaktion. Klosterneuburg:
österreichisches Kath. Bibelwerk 1981. 331 S. 8* = österreichische
Biblisehe Studien. 3. Karl. ÖS 330.-.

Der Verlässer. seit kurzem Professor für neutestamentliehe Exegese
an der Kath. thcol. Fakultät Luzcrn. legt mit dieser Monographie
seine Habilitationsschrift vor. Sie entstand auf Anregung v on J. Kremer
in Wien. Kirchschläger hat sieh schon vor Erseheinen dieser
Schrift in mehreren Aufsätzen (siehe: Literaturverzeichnis S. 289)
zum Thema geäußert. So darf der Leser gespannt auf die abschließende
Gesamtübersieht sein. Die Arbeit hat sieh ein doppeltes Ziel
gesetzt: I. der Vf. möchte an den Exorzismusgeschichten, einem Ausschnitt
aus der Wunderüberlieferung, die redaktionelle Arbeitsweise
des Lukas darstellen; 2. lenkt ihn ein aktuelles Interesse. Er möchte
nämlich aus der speziellen Ik. Darbietung der exorzistischen Tradition
innerhalb der Jesus- und Apostelgeschichte „Anhaltspunkte für
eine richtige Akzentsetzung in der heuligen Behandlung dieser Phänomene
" (10 vgl. 5)gewinnen.

Die Interessenkonstellation findet jedoch keinen Ausdruck im Aufbau der
Arbeit. Sie folgt bewährten exegetischen Vorbildern. In der Einleitung (9-25)
legt er die generelle Zielsetzung dar (91). bietet eine äußerst knappe Übersicht
über die Forschung von 1971-1977 ohne chronologische Abfolge (10-15) und
erörtert methodische Probleme einer Redaktionskritik in „weiterführender
Form" (13). die er in Richtung aul eine linguistisch orientierte Literaturwissenschaft
(15-25) weiterentwickelt sehen möchte. Der Schwerpunkt seiner exegetischen
Analyse lieg! auf dem Erlässen der syntaktischen Konslruklionsmittel.
nth denen man die redaktionelle Arbeitsweise noch besser definieren könne, der
Darstellung der Funktion der sogenannten Aktanten im Satzgefüge einer Perikope
und der Untersuchung der Zeitstruktur der Verben, um die redaktionelle
Struklurierung einer Texteinheit besser erfassen zu können. Danach folgt ein
gemäß der Zwciquellcnhypolhcse (20) in vier Kapitel unterteilter Hauptteil
(27-261). Die mit Hille einer detaillierten, die Forschung kritisch reflektierenden
Analyse der im Ik. Markusstoll' befindlichen Austreibungsgesehiehtcn
gewonnenen Kriterien sichern die Interpretation der Stolle, die aus der Logicn-
quelle. dem Ik. Sondergut und der Apostelgeschichte genommen sind. Dabei
unterläßt es der Vf. auch nicht, alle Texte mit Ausnahme von Apg 10.38 (!) zu