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Ausgabe:

1984

Spalte:

454-456

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Urban, Josef

Titel/Untertitel:

Die Bamberger Kirche in Auseinandersetzung mit dem Ersten Vatikanischen Konzil 1984

Rezensent:

Haendler, Gert

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Theologische Literaturzeitung 109. Jahrgang 1984 Nr. 6

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hervorgegangen aus einem zunächst zögernden Erwachen der evangelischen
Theologie angesichts der Schrecken, welche die vom Ausland
der deutschen Seite allein angelasteten Verbrechen der beiden Weltkriege
verursacht hatten. Während allerdings die Kriegsteilnehmer
des 1. Weltkriegs 1924 in Berlin die Parole „Nie wieder Krieg!" noch
ohne kirchlichen Sukkurs auf die Straße tragen mußten, erfolgte die
kirchlich-theologische Auseinandersetzung mit dem Thema nach
dem II. Weltkrieg seit der Ökumenischen Vollversammlung von Amsterdam
1948 („Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein!") in den
50er Jahren (Debatte um die Wiedereinführung der Wehrpflicht in der
Bundesrepublik Deutschland), in den Sechziger- und Siebzigerjahren
(erste deutsche Arbeiten zur Frage: Kirchen und Krieg im II. Kaiserreich
, Beiträge zur Friedens- und Konfliktforschung. Friedensdenkschrift
der EKD) in mehreren Schüben, zwischen denen es geraume
Pausen gab. in denen sich weder (un)kirchliche Friedensbewegungen,
noch kirchliche Hirtenworte oder öffentliches Interesse für diesen Fragenkomplex
feststellen lassen.

Während also auch die kritische Infragestellung der eigenen theologischen
Vergangenheit zunächst auf deutschem Boden erwuchs und
sich allein mit der theologischen .Kriegsschuld' der deutschen Kirchen
und Theologen, besonders 1914-18, befaßte, (vgl. die inzwischen
bekannten Arbeiten von G. Mehncrt, W. Prcsscl, Missalla,
K. Hammer. Brakelmann, W. Huber/Schwertfcger u. a.) und sich aus
dem ehedem alliierten Ausland kaum eine Stimme zur kritischen Bewältigung
eigner vergangener Kriegstheologie meldete, liegt in Besiers
Buch erstmals der Versuch vor, „die Haltung der europäischen und
amerikanischen Kirchen zur Frage der deutschen Kriegsschuld" am
1. Weltkrieg von dessen Beginn bis zum Jahr von Hitlers Machtergreifung
gesamthafi in den Grilfzu bekommen.

Wenn dabei etwas plerophorisch von „den europäischen und amerikanischen
Kirchen" die Rede ist. so ist dies natürlich einzuschränken
auf die protestantischen Kirchen in Nordamerika und Europa, die
in der werdenden Ökumene von Life and Work, Faith and Order, der
World Alliance, im „Weltbund für Freundschaftsarbeit", im Deutschen
Evangelischen Kirchenausschuß (DEKA) sich vor allem in den
20er Jahren der Kriegsschuldfrage widmeten.

Allein schon in dieser Themenstellung ist ein bedeutender Durchbruch
über die bisherigen rein nationalen Fragestellungen der Kriegsund
Friedensproblematik dankbar zu begrüßen, der durch die inhaltlichen
Entdeckungen neuer Dokumente weitgehend gerechtfertigt
wird.

Besier stellt seine Untersuchung unter das Schiller-Wort: „Das Verhältnis
eines historischen Datums zu der heutigen Weltvcrfassung ist
es. worauf gesehen werden muß" und schließt seinem historischen
1. Teil (328 S.) einen praktischen 2. Teil (26 S.) an, in dem er „die
Kriegsschuldfragc als Paradigma lür currikularc Ansätze europäischer
Friedenserziehung" verstanden wissen will. Angesichts dieser Ausgangsposition
könnte sich leicht die Befürchtung einstellen, die ganze
historische Untersuchung sei ihm, wie so vielen andern Pseudo- und
Semihistorikern heute, nur Vorwand für die praktische Lösung
aktueller Fragen. Während bei letzteren das historische Material allzu
oft verkürzt und manipuliert wird, ist in Besiers Untersuchung davon
nichts zu spüren, sondern eher etwas von dem uralten Bemühen des
Historikers: „Wir treiben Geschichte, um aus ihr für die Gegenwart zu
lernen."

Die vorgelegten Ereignisse und Quellen dokumentieren eine sehr
schillernde mehrdeutige, oft überraschende neue Sicht der amerikanischen
und europäischen Kirchen während der 20er Jahre in der damaligen
„Dcutschlandfragc". und das heißt konkret „Versailles" und
die von den Alliierten behauptete alleinige Kriegsschuld der Deutschen
am I. Weltkrieg. Die ersten Kapitel („Versöhnung oder
Rache'.'") offenbaren erstmals auch eine Mitschuld der nicht-
deutschen Kirchen am Scheitern echten Vcrsöhnungsbemühens zwischen
den ehemaligen Kriegsparteien, was sich damals natürlich auch
auf die Stimmung des deutschen Kirchenvolkcs und seiner „Oberen"
niederschlug.

Besier setzt ein mit Beginn des I. Weltkriegs und vertieft die bisherige
Diskussion um die theologische Prominenz in Berlin (Harnack,
Deißmann, Dryander. Siegmund-Schultze u. a.) sowie die verschiedenen
patriotischen Aufrufe von 1914; er richtet sein besonderes Augenmerk
auf Bischof N. Söderbloms Friedensengagement von 1914-31,
schildert die I. Nachkriegskonferenz des „Weltbunds Für Freundschaftsarbeit
der Kirchen" in Oud Wassenaar 1919, Vorbereitung und
Durchführung von Faith and Order 1920, den CVJM 1919/20, „Apo-
rien und Hoffnungen" 1921/22, die Kirchen im Ruhrkonfiikt 1923,
die Stuttgarter Resolution 1924, Stockholm und Bern 1925/26, die
deutsche Opposition gegen die Ökumene auf dem Königsberger Kirchentag
1927/28. Die ständige Beziehung auch des kirchlichen Bemühens
auf den Vertrag von Versailles (besonders dessen Kriegsschuldparagraph
231) entspricht der Wirklichkeit dieser Jahre. Sein
letztliches Versagen ebnete, zusammen mit vielen anderen unkirchlichen
Faktoren, bekanntlich Hitler den Weg in den 2. Weltkrieg und
ist darum ein besonders brisantes Kapitel der jüngeren Kirchengeschichte
.

Was den nationalkirchlich jeweils einseitig beantworteten Schuldkomplex
angeht, offenbart Besiers Dokumentation offizieller und prominenter
Einzelstimmen ökumenischer Vertreter, daß sie nahezu
sämtlich ihrer jeweiligen nationalen Propaganda seit 1914 allzu unkritisch
aufgesessen sind und gerade damit die dringend notwendige
kirchliche Aussöhnung der europäischen Kirchen nach dem Krieg
verabsäumt haben. Dieses Fazit ist gerade für Besiers zweites Anliegen
einer umfassenden Friedenserzichung elementar. Es seien darum auch
zwei Desiderate für künftige ähnliche Forschungen angemeldet:

/. Im kirchlichen Raum wäre wohl prinzipiell auch in solchen Veröffentlichungen
darauf hinzuweisen, daß es sich bei den erwähnten
„Kirchen" gewöhnlich um solche der nichtrömischen Ökumene handelt
. Denn von der Haltung der römischen Kirche zum Thema verlautet
in Besiers Buch so gut wie nichts.

2. Mir fehlt ein Eingehen auf den Diskussionsstand der Kriegsschuldfrage
von 1914 in der internationalen profangeschichtlichen
Forschung. Hätte nicht auch zumindest ein Hinweis auf die Tragödie
des von der Reichsregierung zwar bestellten, aber nie veröffentlichten
Gutachtens zur Thematik von Hermann Kantorowicz (1927/30) gut
getan?

Basel Karl Hammer

Urban, Josef: Die Bamberger Kirche in Auseinandersetzung mit dem
Ersten Vatikanischen Konzil. Bd. I u. II (Qucllcnband). Bamberg:
Selbstverlag des Historischen Vereins Bamberg 1982. XIX, 865 S.

8*.

Urbans Buch, eine kath. theol. Dissertation, arbeitet eine reiche
Fülle Bamberger Quellen auf; auch Bestände des „Archivio Scgrcto
Vaticano" werden einbezogen. Kap. I „Unfehlbarkcits- und Primatslehre
in der Bamberger Theologie von Febronius (I 763) bis zur Dog-
matisierung der Immaculata Conceptio (1854)" bringt ein buntes
Bild; auch Katechismen. Religionsbücher und Predigten werden
untersucht (57-102). Kap. II „Der Vorabend des Konzils im Erzbistum
Bamberg" bietet u. a. eine Meinungsumfrage unter dem Bamberger
Klerus nach „InefTabilis Dcus" 1854: Eine Mehrheit von
I 16:85 sprach sich gegen die Opportunität dieses Dogmas aus. Mit
dem „Syllabus" von 1864 hatte sich jener Bamberger Erzbischof zu
beschäftigen, der die Hauptgestalt des Werkes ist: Michael von Dein-
lein (142-46) Die erste Ankündigung eines Konzils rief Bamberger
Theologen auf den Plan, die „eine erneute Prüfung der Lehre Anton
Günthers anstrebten" (153). Erzbischof Deinlcin verteidigte die Bamberger
(iüntherianer und erntete damit Kritik in Rom (173-78). Im
Jahre 1869 ist u. a. von einer „Forchhcimcr Revolution" zu berichten
. Anlaß war eine Karikatur: Eine Lokomotive unter der Fahne
„Wissenschaft. Fortschritt, Zukunft"' wird blockiert durch einen
Eselskarren, in dem der Papst steht mit der Fahne „Ökumenisches