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Ausgabe:

1984

Spalte:

443-445

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Elliott, John Hall

Titel/Untertitel:

A home for the homeless 1984

Rezensent:

Wolff, Christian

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Theologische Literalurzeitung 109. Jahrgang 1984 Nr. 6

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ziehung des Aqedah-Hintergrundes nach seiner Meinung unverständliche
Textaussagen erhellen können. So müsse nach S. die Aussage
vom Hervorbringen von „Samen" durch Sarah in Hebr 11,11 offenbar
spiritualisiert verstanden worden sein, im Zusammenhang der
Aqedah-Tradition, wie sie etwa 4Makk 16,13; 17,6 belegt ist. In
ihrer Glaubenstat brachte Sarah einen geistigen Abkömmling hervor,
indem sie selbst Abraham gleich wurde, geistlich in männlicher Funktion
gezeigt (1001). Diese wenig klare, äußerst gekünstelte Interpretation
sucht S. durch breite Exkurse zur Bedeutung von „Same Abrahams
" bei Paulus und Johannes zu stützen, Ausführungen, die in sich
recht informativ und geistvoll sind (zu Rom 4, S. 105-109; zu
Gal3-4, S. 109-113; zu Joh 8,31-59, S. 1130- Einmal auf dieser
Spur, sucht S. ganz folgerichtig auch in den anderen Abschnitten des
Hebr die von ihm vermutete, verborgene Aqedah-Basis ans Licht zu
heben, so in Hebr 2,5-18 (V: The Aqedah and Hebrews 2,5-18,
S. 130-177). Der Ausdruck „Same Abrahams" wird in Hebr 2,16 nur
scheinbar unvermittelt gebraucht, ist doch, nach S„ die ganze Tod-
Erhöhung-Soteriologie des Textes als Erfüllung des Abraham-Isaak-
Typosgeschehens entworfen. So sind auch die „Versuchungen" Jesu
denen Abrahams analog, ist Jesus „Sohn" und „Erbe" von Abraham
her, nur daß Jesus, anders als Isaak, wirklich starb und insoweit erst
Jesus Sühne erwirkte (1760- Es ist hier nicht möglich, die sehr ins einzelne
gehenden Begründungen zu prüfen; dem Rezensenten erscheinen
sie durchweg als nicht haltbar.

Geradezu abenteuerlich mutet die Interpretationsidee des Autors
zu Hebr 5,7-10 an: Nach V7 bitte Jesus Gott mit Schreien und
Tränen darum, aus dem Tode nicht errettet zu werden, um so zu
ergänzen, was an dem Leiden Isaaks noch fehlte (182-184).

S. legt eine durchweg interessant, ja spannend geschriebene Studie
vor, aus intensivem Literaturkontakt gearbeitej, mit bewundernswertem
Einfallsreichtum, daher lehrreich selbst auf den mancherlei Holzwegen
des Autors. Weiterführend ist vor allem die differenziertere Erhellung
des Standes der jüdischen Aqedah-Traditionsgeschichte für
die urchristliche Zeit. Ihr Gewicht sollte für die jüdische Seite nicht
überschätzt werden; dasselbe gilt für das Urchristentum. Es ist gerade
dieser Eindruck, der sich dem Leser m. E. aufdrängt. Obwohl Abraham
im Urchristentum durchaus eines der großen Themen ist, ist
doch das Thema „Jesus und Isaak" sowohl in Hebräer als auch bei
Paulus fast völlig abwesend, muß es von S. fast auf der ganzen Linie
erst eisegesiert werden.

München Harald Hegermann

Elliott, John H.: A Home for the Homeless. A Sociological Exegesisof
1 Peter, Its Situation and Strategy. Philadelphia: Fortress Press
1981. XIV, 306 S., 1 Ktegr. 8 Lw.$ 24.95.

Dem 1 Petr schenkte J. H. Elliott sein intensives Interesse bereits zu
einer Zeit, als diese neutestamentliche Schrift noch weithin unbeachtet
war.' Jetzt hat E. eine umfassende, auf soziologisch-exegetischer
Grundlage erarbeitete Studie zur Gesamtkonzeption des 1 Petr vorgelegt
. Aus dem Titel ist ersichtlich, daß darin der Fremdlingsgedanke
(vgl. 1,1.17; 2,11) von entscheidender Bedeutung ist. Diese Erkenntnis
ist nicht neu (und wird von E. auch nicht als solche ausgegeben),
neu aber ist das von E. verfochtene, primär soziologische Verständnis
der Fremdlingsschaft.

Nach einleitenden methodischen Vorbemerkungen zur soziologischen Exegese
beschäftigt sich das 1. Kapitel mit der Fremdlingsterminologie im I Petr.
Hier geht es vor allem um den Nachweis, das paroikos undparepidemos sowohl
in der neutestamentlichen Umwelt als auch in der biblischen Literatur einen
jeweils rechtlichen, sozialen Status beschreiben, den des mit stark eingeschränkten
Rechten ausgestatteten ansässigen Nichtbürgers bzw. den des nur vorübergehend
ansässigen, wandernden Nichtbürgers. Ebenso sei „Diaspora" im
Neuen Testament durchweg eine geographische und soziale Beschreibung für
das Gottesvolk außerhalb Palästinas. Das Ergebnis lautet: "1 Peter is a letter
addressed to resident aliens and visiting strangers who, since their conversion to
Christianity, still find themselves estranged from any place of belonging. They

are still displaced paroikoi seeking an oikos " (S. 49) - Im 2. Kapitel wird die
soziale Situation der Adressaten des I Petr untersucht. Dabei kommt zur Geltung
, daß die in 1,1 genannten römischen Provinzen eine vorwiegend ländliche
Bevölkerung aufwiesen und wenig hellenisiert bzw. romanisiert waren, so daß in
den „Fremden" vor allem Angehörige des Landproletanals zu sehen seien. Der
IPetr sei besonders an Hausgemeinden in jenen wenig urbanisierten Gemeinden
gerichtet. In diesem Zusammenhang wird die verbreitete Ansicht von einer
deuteropaulinischen Prägung des IPetr abgelehnt: "I Peter is best read on its
own terms, as an independent though complemenlary witness to the diversified
growth of early Christianity in Asia Minor." (S. 65) Unter Heranziehung
moderner Spezialliteratur zum Sektenwesen wird sodann der sektiererische
Eindruck, den die Adressaten auf ihre Umwelt machten und der die Feindschaft
der Umgebung begünstigte, herausgearbeitet. Anschließend wird ausgeführt,
daß der Kreuzestod Jesu, die neronische Christenverfolgung in Rom und die
Gemeinsamkeiten zwischen jüdischem und christlichem Glauben den Außenstehenden
Anhaltspunkte für Verdächtigungen und aggressive Feindschaft
boten. Diese Situation (und nicht der unter Domitian forcierte Kaiserkult) sei
für den IPetr maßgeblich; eine Konfrontation mit dem römischen Staat sei
nicht zu bemerken, 2,13-17 spreche sogar dagegen (vgl. anders Apok. 13).
E. datiert den Briet daher in die mittleren Jahre der flavianischen Zeit, zwischen
73 und 92 n. Chr. - Um die sozioreligiöse Strategie des I Petr geht es im 3. Kapitel
. Auch hier spielt der von E. betonte Sektencharakter der frühchristlichen-
Gemeinden eine wichtige Rolle, vor allem das sozioreligiös motivierte Gruppenbewußtsein
. E. versteht die Stärkung der Solidarität unter den Christen als
ein wichtiges Anliegen des I Petr, die Leidenssituation werde diesem Ziel dienstbar
gemacht. Hinsichtlich des Selbstverständnisses der Christen sei das Erwäh-
lungsbewußtsein von großer Bedeutung. Ein übertragenes Verständnis der
Fremdlingsschaft wird nachdrücklich abgewiesen: "In I Peter the tddrclMI
were notbeingtold that they had been made strangers by God'selection but that
they could find strength Ut rtmain strangers in the conviction of their divine
election" (S. 132). Zum sozialen Fremdsein sei durch die Annahme des christlichen
Glaubens das religiöse noch hinzugekommen. Gegenüber dieser doppelten
Verachtung stärke der 1 Petr das Gruppenbewußtsein der Gemeinde auf verschiedene
Weise: durch die Enzyklikaform des Briefes, durch den relativ
häufigen Gebrauch der vyn-Komposita und durch die Bevorzugung von Kollektivausdrücken
und -bildern, vor allem durch die Vorstellung von der Gemeinde
als Haushalt Gottes. Damit ist der Anschluß für das 4. und umfangreichste
Kapitel gegeben, das sich mit dem oikov-Denken des I Petr befaßt. Anknüpfend
an seine frühere Untersuchung "The Elect and the Holy" erneuert E. die vor
allem aus 2,4-10 gewonnene These, oikos habe im I Petr die Bedeutung „Haushalt
, Familie"; eine kultische Deutung von 2,5 im Sinne des Tempels wird abgelehnt
, da der Brief sonst kein kultisches Interesse zeige. Zur Erhellung des Haushaltkonzepts
wird einmal die hellenistisch-römische Umwelt befragt und dabei
vor allem das Verständnis des Imperium Romanum als einer großen Völkerfamilie
mit dem Kaiser als dem „pater patriae" zur Geltung gebracht. Zum
anderen wird gezeigt, wie im Alten Testament mit „Haus" die Verbundenheit
der Israeliten untereinander und mit Gott als dem Vater zum Ausdruck gebracht
wird. Für das Neue Testament weist E. auf die bedeutsame Rolle der
Hausgemeinden als Missionszellen hin und folgert, daß sie die Form der
Gemeindeorganisation stark beeinflußten. Anschließend wird die Bedeutung
der oikos-Vorstellung im I Petr entfaltet, deren Intention in der Abwehr eines
sozialen und kulturellen Assimilationsstrebens, das die von Außenstehenden
ausgeübten Repressalien vermeiden möchte, in der betonten Abgrenzung von
den Ungläubigen und in der Stärkung der Gemeinschaftsidentität, d. h. in der
sozialen Solidarität und dem Wissen um die göttliche Erwählung, liegen soll:
Die paroikoi haben im oikos um iheou ihre Heimat (vgl. den Titel des Buches!).
Das „geistliche Haus" (2,5) wird als "house(hold) of the Spirit" (S. 201) interpretiert
und diese Vorstellung als theologische Basis für die Haustafel 2,13 ff verstanden
. - Das 5. und letzte Kapitel beleuchtet die Absender des 1 Petr. E. führt
die Abfassung auf eine Gruppe in Rom zurück, für die der Märtyrerapostel
Petrus die maßgebliche Autorität war. Die neben Petrus genannten Silvanus
und Markus (5,120 standen mit Petrus in Verbindung (Apg 12,12; 15,2213),
haben wie er ihren Ausgangspunkt in der Jerusalemer Gemeinde, sind dann wie
er nach Rom gekommen und repräsentieren die verbindenden ökumenischen
Kräfte der christlichen Glaubensbewegung, so daß sie die Autorität haben, an
kleinasiatische Gemeinden zu schreiben (Silvanus gilt als Überbringer des Briefes
, vgl. 5,12). E. spürt dann den Selbstinteressen dieses Petruskreises nach und
bestimmt sie dahingehend, daß diese Gruppe ihren Einfluß sowohl in Rom
(nach dem Tode von Petrus und Paulus) als auch auswärts festigen und erweitern
wollte (für letzteres wird auf lClem; Herrn., Vis. 2,4.3 und Ign, Rom 3.1
verwiesen). Ein Ausblick auf die Bedeutung der Konzeption des IPetr, vor
allem seiner von E. ermittelten Haushaltsidee, für die Konsolidierung der
christlichen Bewegung in der Folgezeit beschließt die Ausführungen.