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Ausgabe:

1984

Spalte:

431-433

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Merendino, Rosario Pius

Titel/Untertitel:

Der Erste und der Letzte 1984

Rezensent:

Kaiser, Otto

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4.31

Theologische l.ileraturzeilung 109. Jahrgang 1984 Nr. 6

432

Vlerendino, Rosario Pius: Der Erste und der l.el/te. Line Untersuchung
von Jes 40-48. Leiden: Brill 1981. XVII, 597 S. gr. 8" =
Supplements to Vetus Testamentum, XXXI. Lw. hfl 172.-.

Die von Rudolf Kilian angeregte und 1976 am Papstlichen Bibelinstitut
in Rom vollendete Arbeil greift das aktuelle Problem der literarischen
Schichtung, Redaktion und Komposition von Jes 40—18
und damit zugleich das der ganzen deuterojesajanischen Sammlung
auf. Seit Karl Elligers 19.33 erschienener, aber unglücklicherweise mit
der Tritojesajahypolhese verbundener einschlägiger Arbeit war es
um dasselbe unverdient still geworden. Nachdem H. D. PreulJ schon
1976 in vorsichtiger Form auf die Berechtigung der Fragestellung Elligers
hingewiesen hatte", erschienen 1979 gleich zwei Arbeiten, die das
Problem aufnahmen und weiterführten, ein Aufsatz von
H. Chr. Schmitt und eine Dissertation von K. Kiesow'. Beide stellten
die literarische Einheit der deuterojesajanischen Sammlung in einer
über Elligers Beobachtungen hinausgehenden Weise in Frage. Dabei
konnte Kiesow grundsätzlich einleuchtend zeigen, dal! sich bei einem
Vergleich der Art des Gebrauches des Exodusmotives eine auf die
c. 40-48 zu begrenzende deuterojesajanische Grundschicht, eine die
c. 49-52,12 einbringende erste und eine 52,13-55,13 zulügende
zweite Bearbeitungsschicht schließen läßt.

Die Arbeit von Merendino ist demgegenüber primär an der Wachstumsgeschichte
und an der Komposition der c. 40-48 interessiert,
greift aber in ihrem Schlußteil ebenfalls auf sich abzeichnende größere
redaktionelle Zusammenhänge aus. In ihrem Gesamtergebnis ist sie
differenzierter als die Arbeiten ihrer Vorläufer, damit freilich auch angreifbarer
und dank der unzureichenden Abstimmung ihrer einzelnen
Teile aufeinander auch schwerer zu überschauen. - Sie rechnet damit,
daß die c. 40-48 aus fünf primär selbständigen, von Deuterojesaja im
Anschluß an sein mündliches prophetisches Wirken aufgezeichnete
Sammlungen und einigen Einzelworten zusammengewachsen
seien.

Dabei hätten die Sammlungen 1 und 2 Texte der c. 41 und 42, die
Sammlung 3 solche der c. 42 und 43. die Sammlung 4 solche der c. 43
und 44 und schließlich die Sammlung 5 solche der c. 45, 46 und 48
umfaßt4. Als Einzeltextc möchte er jedenfalls 40, 21-26; 40, 27-31;
45, 1-6 und 45, 1 1-13 ansehen. - Im Laufe eines bei der Verkündigung
des Propheten einsetzenden und bei den Heimgekehrten und
Etablierten endenden Prozesses (vgl. S. 544) wären nun die je nach
ihrem Anlaß verlesenen Texte der Sammlungen sukzessiv ergänzt und
ausgestaltet worden. Schließlich wären auch die Einzelsammlungen
zusammengewachsen. Dabei wäre einerseits die 2. Sammlung in die I.
eingefügt und andererseits die 3. mit der 4. verbunden worden. Beide
so entstandenen Schriften wären dann mit der 5. Sammlung zusammengeschlossen
. Bei diesem, für die Strukturierung der die c. 41 —48
umfassenden deuterojesajanischen Großsammlung entscheidenden
Prozeß wären die Kyrostexte 41.1 —4 und 48, 12-16a mit ihrer Selbstvorstellung
Jahwes als des Ersten und des Letzten bewußt an den Anläng
und an das Ende gestellt worden. Gleichzeitig erhielt die alte
Sammlung 3/4 mit ihren entsprechenden Texten 43,14-15 und 44.
6-8 ihre jetzige Mittelposition. Berücksichtigt man gleichzeitig die in
den c. 40-45 angestrebte Abfolge von Disputationswort, Hcilsorakel
und Gerichtsrede, ergibt sich ein insgesamt planvoller Aufbau.

Zu ihrem jetzigen, c. 40 einbeziehenden Umfang wäre die Sammlung
dann erst in mehreren weiteren redaktionellen Schritten herangewachsen
. Von ihnen orientierte sich eine an Kult und Gesetz5, während
eine andere Israels Hartnäckigkeit und Unbußfertigkcit tadelte''.
Als wichtigste betrachtet Merendino die weisheitliche Redaktion. Ihr
hätten wir die Voranstellung von 40.I2-177 und 40, 21-26. 27-31,
aber auch die götzenpolemischen Texte und Notizen 40,18-20;
4 l,6f; 4 l,24b.29b; 44,14-18a. 19.20b«; 45,20b; 46,6-7.8b; 48,5.6a«.
7b.22, nicht aber die Aufnahme von 44,9-13.18b.20a.20b zu verdanken
(vgl. S. 555fTmit S. 386). Dem Leser drängt sich freilich die Frage
auf, ob man die Aufnahme der götzenpolemischen Notizen und die
von 40, 12-17 und 40, 21-31 tatsächlich demselben Redaktionsprozeß
zuweisen darf. - Die so auf 40,1248,22 angewachsene Sammlung
(vgl. die Übersicht S. 559) wäre dann anläßlich der Vereinigung
mit dem Grundstock von c. 49,1-52,12 um 40,9-1 I erweitert worden.
Nachdem auch c. 54 und 55 bereits zugewachsen waren (vgl. S. 560
mit 562), seien anläßlich der Verbindung von 40,9-52,12+54-55 mit
der tritojesajanischen Sammlung der c. 56-66 auch 40,1-5 und 40,6-8
vorangestellt worden. Auch hier darf man sehr gespannt sein, ob die
sich auf 66,13b. 18 bzw. 6.3,7-64,11 stützende Hypothese Mercndinos
eine positive Resonanz findet. - Erst in einem weiteren Schritt wären
dann auch die Ebed-Jahwe-Lieder eingefügt worden (vgl. S. 562) und.
wie die Behandlung von 42,1 IT zeigt, auch noch bearbeitet worden
(vgl. S. 21211).

Merendino kommt zu diesen Ergebnissen in einer umfangreichen
und sehr genauen Textanalyse. Nach einer knappen, bereits die T hese
von der strukturierenden Bedeutung der Kyros-Texte enthaltenden
Einleitung (S. 1-12) analysiert er die c. 4048 in fünf, nicht-weniger
als 527 S. umfassenden Kapiteln, die jeweils den Abschnitten 40,
MI;40, 12-31; 41,142. 17; 42,1844,23 und 44,2448,22 gewidmet
sind. Dabei geht er bei der Analyse der Einzeltexte so vor, daß er
jeweils der Übersetzung einen Abschnitt zur Begründung der Abgrenzung
und der Übersetzung", eine Literar- sowie eine Form- und Gattungskritik
folgen läßt. Teilweise schließen sich dann noch Erwägungen
zur ExegeM und / oder zur Redaktion an. Dabei beanspruchen
die Breite der Darstellung, die durch das abschnittsweise Vorgehen
bedingten literarkritischen Zirkelschlüsse und die leider bis in das
sechste, der Zusammenfassung der gewonnenen Ergebnisse dienende
Kapitel hinein unzureichende Führung die Geduld des Lesers.

Vergleicht man die Tabelle S. 540, welche das literarkritische Ergebnis
zusammenläßt, mit dem übersichtlichen und anerkannt kritischen
Kommentar von Karl Marti1", ergibt sich als auffälligster Unterschied
, daß 40,1-11, weniger entschieden 40,12-17 und weiterhin
sämtliche namentlichen Erwähnungen des Kyros sowie c. 47 und die
Ebed-Jahwe-Lieder Deuterojesaja abgesprochen werden. Bei all diesen
Texten stimmt der Rezensent dem Verfasser grundsätzlich zu. -
Relativ gering erweisen sich die Unterschiede in den c. 4143. Hier
behält Merendino etwa 41,8a b. 10a. I 1-16 zurück, während Marti
den echten Bestand auf 41,8.9b. 10 eingrenzt. Demgemäß hätte der
Verfasser bei der Behandlung der c. 4 14.3 weniger aufwendig verfahren
können und dafür seine spezifischen, die Vorgeschichte der jetzigen
Sammlung betreffenden Beobachtungen pointierter in den Mittelpunkt
stellen sollen. Anders wird es. wenn man die Analysen der
c. 4448 überprüft: Hier scheidet Merendino über Marti hinausgehend
44,24-28a; 45,22-25 und 46,12 f als sekundär aus, während er
umgekehrt 48,16b—17 für ursprünglich betrachtet. Ob man nicht auch
46.1 b. 34 bzw. gleich den ganzen Abschnitt 46,14; 48,1a. 16b. 17
der Redaktion zuzuweisen hat. sei mindest als T rage aufgeworfen.

Es wäre reizvoll, die vorgelegten Analysen mit denen Kiesows zu
vergleichen und auf diese Weise zu einer Einschätzung der von beiden
Autoren unterstellten Redaktionsvorgänge zu kommen. Doch müssen
wir uns dies im vorgegebenen Rahmen ebenso versagen wie eine ausführliche
Darstellung der Beiträge dieses Buches zu den Gattungsproblemen
'". Dem Rezensenten scheint es als sicher, daß in der Frage der
Redaktionsgeschichte der deuterojesajanischen Sammlung einschließlich
der der Ebed-Jahwe-Lieder noch nicht das letzte Wort gesprochen
ist. Angesichts der von Schmitt, Kiesow und Merendino
vorgelegten Untersuchungen wird man jedoch schon jetzt der traditionellen
Vorstellung von der Einheit Deuterojesajas den Abschied zu
geben haben. Es ist vorauszusehen, daß sich die künftigen Benutzer
des Buches von Merendino oft über seine Argumentation ärgern werden
. Trotzdem würde es, wer sich künftig mit den Problemen der deuterojesajanischen
Sammlung beschäftigt und es dabei unberücksichtigt
ließe, nur zu seinem eigenen Nachteil übersehen.

Marburg(Lahn) Otto Kaiser

Deuterojesaja in seinem Verhältnis zu Tritojesaja. BWANT 63. 1933.
' Deuterojesaja. Eine Einfuhrung in seine Botschaff. 1976. S. 171".