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Ausgabe:

1984

Spalte:

426-429

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Barucq, André

Titel/Untertitel:

Hymnes et prières de l'Egypte ancienne 1984

Rezensent:

Blumenthal, Elke

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Theologische Literaturzeitung 109. Jahrgang 1984 Nr. 6

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listisch gedachte Selbsterhaltung und -entfaltung" (S. 20) ohne ethisch
reflektierte Basis. Die Differenz zwischen Humanität und Humanita-
rismus will der Autor kritisch ausleuchten.

Delikostantis stellt das Problemfeld in zwei Hauptteilen dar, die jeweils
wieder zwei Kapitel enthalten. Erster Teil: Der Humanitarismus
nach Max Schelcr und Arnold Gehlen (S. 25-123). Hier werden die
Konzeptionen zweier spätbürgerlicher Kulturkritiker erörtert, kritisiert
und gegeneinander gehalten. Schelers Deutung des Humanitarismus
(1. Kapitel), seine Auseinandersetzung mit Nietzsche und die Gewinnung
einer demgegenüber eigenständigen Begründung der
Anthropologie wird durch Schelers Werk hindurch kritisch vorgestellt
. „Vor dem Hintergrund des Hauptanliegens Schelers. der Erhellung
der Liebe als Wesen des Personseins, muß auch Schelers Deutung
und Kritik des modernen Humanitarismus verstanden werden ... sie
betrifft die Gelährdung des Menschen als homo amans in der Moderne
." (S. 59) Humanitarismus erniedrigt die Liebe, indem er „wert-
niedrigste Freuden" und „die flachsten sinnlichen Gefühle" verabsolutiert
und herstellt.

Das Humanitarismus-Problem bei Arnold Gehlen (2. Kapitel) wird
aus dem Zusammenhang von dessen Anthropologie. Institutionen-
Ichrc und Ethik erarbeitet. Ergebnis: Gehlen hat zwar den Begriff
Humanitarismus nachdrücklich zur Diskussion gestellt. Er hat ihn als
eine wirkungsmächtige Einheit von antik-stoiseh-christlich eingekörbtem
Humanitätsideal und aufklärerisch-oberflächlichen Glückserwartungen
(„Sozialeudämonismus") analysiert. Aber Gehlens Konzeption
steht auf dem Boden eines biologistiseh-geschichtslosen Pragmatismus
(sogar in seiner Institutionen-Theorie) und ist „dem Geiste,
den er kritisiert, selbst verhaftet" (S. 109). Gehlcns Identifikation von
Humanitätsidee und Humanitarismus ist darum der Hauptthese von
Delikostantis „genau entgegengesetzt" (S. 123). Die Idee der Humanität
muß kritische Instanz des Humanitarismus bleiben.

/.weiter Teil: Der Humanitarismus als Verkehrung des Ethos der
Autonomie und der Liebe (S. 124-208). Im 1. Kapitel untersucht der
Verfasserdas Verhältnis von politischem Ethos und Humanitarismus.
„Das in der Aufklärung aufgekommene Bewußtsein des Menschen
von der ihm eigenen Freiheit und Würde" sieht er in Immanuel Kants
rechtsphilosophischen Arbeiten prägnant formuliert: Die „Bestimmung
des Menschen als Endzweck" und die „sittliche Autonomie" in
ihrer Bindung an den „kategorischen Imperativ" lassen bei Kant „das
Sittliche als ein Unbedingtes" erscheinen (S. 132). Nach einem erhellenden
Exkurs (S. 1.34ff) über Liebe und sittliche Pflicht bei Kant wird
dessen Begründung des bürgerlichen Rechtsstaates erörtert. Die transzendentalen
Voraussetzungen des Rechts sind „die Freiheit jedes
Gliedes des Gemeinwesens als Mensch, seine Gleichheit mit jedem
anderen als Untertan, seine Selbständigkeit als Bürger" (S. 144). Priorität
hat die Rechtssicherung; Suche nach Glückseligkeit ist Privatsache
.

Diese Grundlagen werden nun wirkungsgeschichtlich untersucht.
Dabei geht es zunächst um die bürgerlichen Staatstheorien des Verfas-
sungs-, Rechts-, Sozial-, Wohlfahrts- und Versorgungsstaates. Alexis
de Tocqueville und Hannah Arendt werden als Diskussionspartner
bemüht. Dann wird die Intemationalisierung der Menschenrechte
dargestellt. Die Amerikanische Unabhängigkeitserklärung von 1776
und die französische „Dcclaration" von 1789. die Völkerbundssatzung
von 1919, die Charta der Vereinten Nationen von 1945 und die
Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948, aber auch die
Genfer Rotkreuz-Konvention von 1864 und alle ihr folgenden Vereinbarungen
zeigen zunehmend den unlösbaren Zusammenhang von
Menschenrechten, Völkerrecht und Friedcnssieherung. Jean Pietcts
Erhebung des Humanitarismus zum Prinzip der internationalisierten
Humanität überhaupt wird von Delikostantis kritisch angefragt.
Eine kritische Differenz hält er für unabweisbar.

„Christliches Liebesethos und Humanitarismus" heißt das 2. Kapitel
. Hier wird das neben der sittlichen Autonomie zweite Fundament
der abendländischen Humanitätsidee untersucht. Der Verfasser setzt
sieh mit Dorothec Söllcs politischer Theologie auseinander. Trotz berechtigter
Anliegen sieht er humanitaristische Umdeutungen, und
zwar „a) in der Beschränkung des christlichen Liebesgebots auf Menschenliebe
, b) in der Wendung der Liebe ins bloß Allgemeine und Abstrakte
, c) in der Reduktion der Liebe auf politisch-soziales Engagement
" (S. 195).

Zusammenfassend zeigt Delikostantis. daß er die „beiden Grundweisen
der Menschenwürde", Autonomie und Liebe, an deren für ihn
wichtigsten Denkern Kant und Scheler konstruktiv darstellen wollte.
Dabei wies er Gehlen, Pictet und Solle ab. Der Verfasser schließt mit
dem Begriff der Solidarität, in dem er heute das ethische Apriori der
Humanität am stärksten artikuliert sieht. (S. 206-208).

Die anregende Arbeit hat mich an zwei Stellen unzufrieden gelassen
. Die Darstellung der unlösbaren Verbindung von Menschenrechten
und Friedenssicherung hätte ausführlicher sein und die Bemühungen
von Philosophen in sozialistischen Ländern einbeziehen müssen.
So erscheinen die Probleme in abendländisch-westlicher Sicht. Mich
hat bestürzt, wie viel dabei nicht zur Sprache kam. Und dann scheint
mir die theologische Schlußpartie unzureichend, weil nur aus einer
Perspektive reflektiert. Trotzdem: ein anregendes, erschließendes
Buch.

W Ittenberg Hansjürgen Schulz

Religionswissenschaft

Barucq, Andre, et Francois Daumas: Hymnes et Priores de l'Egypte
Ancienne. Paris: Ed. du Cerf 1980. 559 S. 8° = Littcratures ancien-
nesdu Proche-Orient.

Auffret, Pierre: Hymnes d'Egy pte et dTsrael. Etudes de strueturcs lit-
leraires. Fribourg: Ed. Universitaircs: Göttingen: Vandenhocck &
Ruprecht 1981. 316 S. gr. 8-= Orbis Biblicusct Orientalis. 34. Lw.
DM 80,-.

In der Diskussion über die Zusammenhänge zwischen den Literaturen
Ägy ptens und Israels spielen Hymnen und Gebete seit langem
eine besondere Rolle und sind erst neuerdings wieder eingehend unter
Ibrmgcschichtlichen Gesichtspunkten verglichen worden.' Die beiden
hier vorzustellenden Bücher werden daher bei Alttestamcntlcrn wie
bei Ägyptologen lebhaftes Interesse finden. Zwar beschränkt sich die
Übcrsct/ungssammlung von Hymnen und Gebeten, die die Ägyptologen
Barucq und Daumas herausgegeben haben, auf ägyptische Quellen
, ist aber - entsprechend den Absichten der Serie Littcratures
anciennes du Proche-Orient, als deren dritter ägyptologischer Band
sie erschienen ist2 - für ein größeres wissenschaftliches Publikum
bestimmt. Vor allem an diesen Leserkreis wendet sich die „Introduc-
tion generale" (S. 19-47) mit ihrem Überblick über Material und Forschungsstand
. Die anschließenden, mehr als 160 übersetzten Texte,
die den Hauptteil des Buches ausmachen (S. 49-506), spiegeln Reichtum
und Vielfalt der Überlieferung wider. Mit Ausnahme des ersten
Kapitels, das Hymnen an verschiedene Götter aus den älteren Sammlungen
der Totenliteratur (Pyramidentexte, Sargtexte) enthält, sind
die Hymnen bzw. Gebete unabhängig von ihrer Herkunft aus Ritualen
des (iötter- und Totenkults, von Votivstelen der Gläubigen, aus
literarischen Handschriften und solchen des Schulgcbrauchs nach
ihren göttlichen Adressaten (Kronengottheiten der Könige, Osiris. Re,
Amun, Thot. Min. Sobck, Hathor, Isis und andere Götter, im Tode
vergöttlichte Könige) angeordnet und innerhalb dieser Sachgruppen
chronologisch vom Mittleren Reich bis in ptolemäisch-römischc
Zeit. Jedem Kapitel geht eine Einführung in Wesen und Kult des
jeweiligen Gottes, jedem Text eine Notiz, zu seiner Überlieferung und
eine Bibliographie voran. Die sorgfältigen Übersetzungen sind mit
zahlreichen philologischen und sachlichen Fußnoten ausgestattet, die
sich in erster Linie an Fachkollegen richten, während sich der Fcrncr-
stchende in dem „Lexiquc-Indcx" (S. 507-548) über die Götter, ihre