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Ausgabe:

1984

Spalte:

387-389

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Meier, Christoph

Titel/Untertitel:

Kirchliche Erwachsenenbildung 1984

Rezensent:

Petzoldt, Martin

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Theologische Literaturzeitung 109. Jahrgang 1984 Nr. 5

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Lehrer im sozialisationsbegleitenden Unterricht" und von Maria
Kassel „Tiefenpsychologische Anmerkungen zur Persönlichkeit des
Religionslehrers" hinweisen. Besonders interessant erscheint mir die
These von Dieter Stoodt, daß die Religionslehrer in keiner Phase der
Geschichte seit dem 16. Jh. sich dessen bewußt waren, was sie eigentlich
taten, oder mit andern Worten, was sie eigentlich bewirkten,
gleichgültig ob das Bestätigung bedrückender Verhältnisse und obrigkeitlicher
Ideologien oder Stärkung des Glaubens von Kindern gewesen
ist. In einem sozialisationsbegleitenden Unterricht im Rahmen
einer tiefen Orientierungskrise der Gesellschaft könne diese Ahnungs-
losigkeit nicht beibehalten werden, wenn nicht alles „schief werden
solle. Hier schlägt nun Stoodt verschiedene Lernarten vor, die es
Schüler und Lehrer ermöglichen, ihre Voraussetzungen kennenzulernen
und aus dem Evangelium eine seelsorgerlich ermutigende
Dimension zu gewinnen: Verständigungslernen, ethisches Lernen und
hermeneutisches Lernen in bezug auf Vergangenheit, Gegenwart und
Zukunft von Glaube und Schüler.

Maria Kassel, bekanntgeworden durch ihr Buch „Biblische Urbilder
", in dem sie die Archetypen-Lehre C. G. Jungs für die unterrichtliche
Exegese fruchtbar gemacht hat, versucht in ihrem Beitrag die
Persönlichkeit des Religionslehrers aus seiner Sozialisationsge-
schichte heraus verständlich und bearbeitbar zu machen. Dabei stößt
sie auf verschiedene Typen, die im Beruf ihr Kindheitsschicksal auf
zum Teil bemerkenswerte Weise wiederholen oder kompensieren.
Ein weiterer Gegenstand ihrer Erörterungen ist die „Symbolfähigkeit"
des Religionslehrers, die darüber entscheide, ob biblischer Unterricht
oberflächliches Wissen oder Tiefe vermittelt. Ein hilfreicher Aufsatz,
der nachdenklich macht; besonders auch im Blick auf unsere historisch
-kritische Ausbildungs-Kultur.

Die übrigen Beiträge vom Herausgeber und von Joh. Michael
Schmidt nenne ich nur noch: „Tiefenpsychologische Anmerkungen
zur Persönlichkeit des Religionslehrers" und „Der Gott der Väter
- Der Gott der Lehrer".

Neuartig an diesem Buch sind die jedem Aufsatz beigegebenen
Rückfragen des Herausgebers und die Nennung der offenen Probleme.
Wenn in diesem Buch noch nicht alles „stimmt", so ist das nicht die
Folge von Inkompetenz der Autoren, sondern der verhältnismäßig
neuen Fragestellung, die auch dem Rezensenten noch neu erscheint.

Bremgarten BE Klaus Wegenast

Meier, Christoph: Kirchliche Erwachsenenbildung. Ein Beitrag zu
ihrer Begründung. Stuttgart-Berlin-Köln-Mainz: Kohlhammer
1979.245 S. gr. 8°. Kart. DM 32,-.

Dem Buch liegt die Dissertation des Vf. zugrunde, die 1977 in München
unter dem Thema „Erwachsenenbildung durch die Kirchen -
das Problem ihrer Begründung zwischen funktionaler und kritischer
Theorie kirchlichen Handelns" angenommen wurde. Es ist das Versäumnis
des Rez., diese Arbeit nicht früher vorgestellt zu haben.

Das äußerst vielschichtige Feld der kirchlichen Erwachsenenbildung
(= EB) hat bisher stärker den Eindruck von Verworrenheit und
Konzeptionslosigkeit hinterlassen als selbst die Klarheit zu dokumentieren
, zu der sie auf dem Gebiet der „Darstellung und Vermittlung
grundlegender christlicher Werte in kritischer Absicht" (114) beizutragen
versprach. Der Vf. beschreitet einen überzeugenden Weg:
Teil 1 enthält die notwendige Situationsbeschreibung, die Zielangabe
der Arbeit (grundsätzliche Vorüberlegungen zur Vergewisserung der
„heute noch meist zu wenig reflektierten immanenten Voraussetzungen
", „Abklärung der gesellschaftstheoretischen Rahmenbedingungen
", Bestimmung der „spezifischen Ziele" der EB, Ausgrenzung des
eigenständigen „Gegenstands- und Aufgabenfeld[es]" (13), Problemabgrenzung
und Aufbau der Arbeit (11-15). Konsequent dazu bietet
Teil 2 in Form einer Bestandsaufnahme bisherige Überlegungen der
kirchlichen EB seit 1945 (16-69), Teil 3 geht von der Spannung von

Empirie und Dogma, Funktion und Auftrag als den Extrempositionen
aus, die als Begründungszusammenhänge miteinander im Streit liegen
(70-113). Hier kommt es zu einer eingehenden Diskussion sozialtheoretischer
Ansätze, die im gesellschaftlichen Kontext des Vf. entwickelt
und tür die Theologie bedeutsam wurden (Habermas, Luhmann,
Dahm, Ahlheim, Josuttis). Die Entscheidung lallt weder tür einen
stärker empirischen noch für einen stärker dogmatischen Ansatz, vielmehr
möchte der Vf. „nach einem dritten Weg zwischen beiden Positionen
suchen" (98). Das „beide Ansätze vermittelnde(n) neue(n)
Konzept" läßt Vf. selbst folgendermaßen zusammen: „Die Kirche
soll und muß funktionsbezogen handeln, aber sie kann und darf es
legitimerweise nur kritisch tun, im Sinne einer .dialektischen Funktionalität
'. Um auch dieses handlungstheoretische Modell, wie die
vorgenannten, abschließend auf eine eingängige Kurzformel zu bringen
, sei es als krilisch-Junklionsbezogene Theorie kirchlichen Handelns
bezeichnet" (1071). Die Frage nach dem Ort der kirchlichen EB
erfahrt eine entsprechende Zuweisung: „Aus der .(//('/»Zuständigkeit
der Kirche für Sinn- und Wertfragen ist eine /'('//Zuständigkeit geworden
, die natürlich zugleich eine Relativierung bedeutet"! 112), „die
Darstellung und Vermittlung grundlegender christlicher Werte hat in
der gegenwärtigen Gesellschaft nur dann eine Chance und Beachtung,
wenn sie im angedeuteten Sinne kritisch ist, und zwar nicht nur gegenüber
anderen Positionen, sondern in gleicher Weise auch gegenüber
ihren eigenen Grundlagen" (1120- Damit beschäftigt sich Teil 4
(1 14-153); auch Glaube und Kirche sind nun nicht länger mehr ein
ausgegrenztes und deshalb absolut geltendes Feld. Für sie geht es gleichermaßen
um Theorierelativierung, Refiexionsbestimmtheit, kommunikative
Abläufe mit Konsensverpflichtung, Verständnis der
Offenbarung als (vielleicht alternatives) Angebot unter anderen Sinnangeboten
'(139 ff; 146ff); kognitive Offenheit erweist die sachgemäße
Ausrichtung christlicher Botschaft und umgekehrt (143); Theologie
kann sich als wertbildend nur dann zeigen, wenn sie Erfahrungswelt
und eigene Tradition miteinander kritisch in Beziehung bringt (gegen
eine falsch verstandene Normativität, 146). Im Teil 5 wird schließlich
die Integration eines so verstandenen Konzeptes von EB in der bildungspolitischen
Wirklichkeit reflektiert (154-187). Hier erfährt die
Situationsbeschreibung von Teil 1 eine Erweiterung um allgemein
geltende Ansätze des Verständnisses von EB. Gedanken zu Einheit,
Pluralität und Trägerschaft führen zu dem Plädoyer füf ein konsequent
kooperatives System der EB, bei dem Theologie und Kirche
ihren eigenständigen Beitrag leisten. Dje Frage nach der Funktion dieses
Beitrages in einerf! solchen System erbringt Überlegungen zum Bildungsbegriff
und -Verständnis („ .Daseinserhellung' und .Handlungsorientierung
' " werden „zu einein zentralen Doppelziel der EB und in
unmittelbarer Folge davon die Beschäftigung mit religiösen Fragen zu
einer dringenden Aufgabe, sofern nämlich Daseins- und Handlungsorientierung
immer auch eine religiöse Dimension haben, und sei es
nur die der negativen Abgrenzung von der Religion", 182), zur Rolle
der Religion (Wertbildung, Weltanschauungskenntnis, ohne Vorwegnahme
der zu treffenden konkreten Entscheidung, 185) und zum
„spezifisch christlichen Beitrag zum Polylog der Gruppen über
Norm-, Sinn- und Wertfragen" (187).

Es ist anerkennenswert, daß der Vf. nicht nur nachvollziehbare
Schneisen durch die oben angedeutete Lage der EB-Diskussion
schlägt, sondern auch einen gewichtigen Beitrag zur theoretischen Begründung
der kirchlichen EB geliefert hat. Dieses Verdienst gilt ungeschmälert
. Zwei prinzipielle Probleme bleiben - neben manchen
weniger gewichtigen Anfragen zu Einzelaussagen: l.Das Offenbarungsverständnis
(dazu 139-143) ist nicht nur unter den Bedingungen
von Absolutheit und Kritisierbarkeit zu diskutieren (wofür intensive
Überlegungen angestellt wurden), sondern hat unzweifelbar einen
Schwerpunkt in der Spezifik christlichen Glaubens. 2. Bei einer Studie
zur kirchlichen EB ist der Trend zum Rationalen und Kognitiven
verständlich. Jedoch stehen Kirche und Religion in ihrem Selbstverständnis
seit spätestens dem Anfang der siebziger Jahre verstärkt auch
für emotive, nichtverbale und nichtkognitive Kommunikationen ein.