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Ausgabe:

1984

Spalte:

383-385

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Scheld, Stefan

Titel/Untertitel:

Die Christologie Emil Brunners 1984

Rezensent:

Hildebrandt, Bernd

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383

Theologische Literaturzeitung 109. Jahrgang 1984 Nr. 5

384

Systematische Theologie: Dogmatik

Scheid, Stefan: Die Christologie Kmil Brunners. Beitrag zur Oberwindung
liberaler Jesulogie und dialektisch-doketischer Christologie
im Zuge geschichtlich-dialogischen Denkens. Wiesbaden: Steiner
1981. XI, 347 S. gr. 8' = Veröffentlichungen des Instituts für europäische
Geschichte Mainz, 104: Abt. f. abendländische Religionsgeschichte
, Lw. DM 80,-.

Die Absicht dieses Buches, ursprünglich eine Dissertation an der
Katholisch-theologischen Fakultät der Universität Würzburg, ist.
Brunners christologisches Denken konstruktiv aufzugreifen und in
einer bestimmten Richtung konsequent weiterzuführen. Es geht um
den Versuch, in der Christologie ausschließlich „von unten" anzuheben
, also den Ansatz beim Menschen Jesus zu nehmen, um von hier
aus zur Fülle der dogmatischen Aussagen über Jesus Christus bis hin
zur Behauptung der Gottheit seiner Person zu gelangen. Dieses Anliegen
wird als Alternative sowohl zur liberalen Christusaulfassung
verstanden als auch zu einer Christologie, die die Gottheit Jesu Christi
voraussetzt und ihre weiteren Aussagen dann „von oben" nur noch
deduziert. Für den angestrebten Weg wird Brunners Christologie eher
als Modell denn als Gegenüber vorgestellt. Die Endgestalt seinerChri-
stologie (Dogmatik, Bd. II) erhält eine weitgehend positive Wertung
.

Der Maßstab, an dem Brunners Christologie gemessen wird, ist die
Forderung eines vollständig durchgeführten Programms der Christologie
„von unten". Vor allem in seiner dogmatischen Christologie und
ansatzweise schon in seiner Frühphase, die dann aber durch die dialektische
Periode radikal abgebrochen schien, hat Brunner hierfür
wesentliche Beiträge geleistet. Nur ist er nicht konsequent genug
gewesen. Dadurch hat er sich in den Widerspruch mit seinen eigenen
Denkvoraussetzungen, der geschichtlich-dialogischen Denkform und
Methode, begeben.

Sehr breit und umfassend führt Scheid die Stationen der Christologie
Brunners vor,-zeigt die Brüche, derer sich Brunner selbst bewußt
gewesen ist, und geht den Gründen des Wandels nach. Die Endgestalt
stellt sich dann als Überwindung der liberalen Jesulogie, in deren
Ausstrahlungsbereich Brunner selbst einst gedacht hat, und der dia-
lektisch-doketischen Christologie, wie sie im „Mittler" (1927) vorliegt
, dar. In seiner Frühphase ist Brunner geprägt durch die Abgrenzung
vom Intellektualismus, d. h. dem (scholastisch-metaphysischen)
Versuch der denkerischen Erschließung Gottes, und bestimmt durch
die Anwendung der intuitiv-symbolischen Methode in der religiösen
Erkenntnis, die Scheid durchaus in die Nähe der Analogia-entis-Lehre
Thomas von Aquinos rückt (S. 43). Jesus wird als Vorbild und Urbild
des religiösen, d. h. des Gott intuitiv erfassenden Menschen verstanden
. Gleichwohl können diese beim Menschsein Jesu verharrenden
Überlegungen als Bausteine der angestrebten Christologie verwendet
werden, selbst wenn Brunner „die Offenheit dieses Bildes für eine
Deutung, die allen Aspekten des christlichen Christusglaubens Rechnungträgt
, zu wenig oder überhaupt nicht hervorgehoben hat"(S. 68).
Dagegen erfahrt Brunners Christologie, soweit sie von der Gott-
Mensch-Dialektik bestimmt wird, eine negative Beurteilung, wenn
auch das Anliegen, gegen das idealistisch-liberale Jesusverständnis die
Gottheit Jesu Christi zu behaupten, weiterhin Hauptaufgabe christlicher
Theologie bleiben muß. Doch darf dieses Anliegen nicht ohne
Beachtung der konkreten Geschichte Jesu entfaltet werden. Geschieht
dies, dann ist ein doketischer Zug in der Christologie unausweichlich.
Beleg hierfür wird das Buch „Der Mittler". Jedoch finden wir schon in
diesem Buch unausgeglichen zu dialektischen Gedankengängen das
Ernstnehmen der Menschheit Jesu als solcher und damit eine Aufwertung
des Menschlichen überhaupt (S. 192, S. 21 Oß. Einmal zeigt dies,
daß Brunners Verhältnis zur dialektischen Theologie in der Tat von
Anfang an nicht problemlos gewesen ist (vgl. S. 187). Zum anderen
wird sich Brunner in diesem Buch offensichtlich mehr und mehr
bewußt, daß Weg und Werk JesuJSvenn man dem biblischen Zeugnis

folgt, sich nicht ausschließlich unter dem Aspekt des Verhüllens der
Offenbarung verstehen lassen, sondern auch den positiven Charakter
des Hinweisens haben. Der Widerspruch zwischen dialektischem und
dialogischem Ansatz drängt dann in der dogmatischen Christologie
zugunsten des letzteren zur Aullösung. Gewissermaßen als Fazit dieser
Entwicklung stellt Scheid folgendes Analyseergebnis heraus: „Nur
die Anerkennung der positiven Olfenbarungslünktion der Menschheit
Jesu wird also dem Anliegen Brunners, Jesus Christus als den
Mittler zwischen Gott und Mensch darzustellen, wirklich gerecht. Wo
sie sich in Brunners Christologie findet, verleiht sie dieser Farbe und
Lebendigkeit." (S. 197)

Als Grundlage dieser Entwicklung wird Brunners geschichtlichdialogischer
Ansatz, der mit dem Programm der Anknüpfung als
gleichbedeutend angesehen wird, thematisiert (S. 20411). Im Wesen
dieses Ansatzes liegt die Annahme eines partnerschaftlichen Verhältnisses
zwischen Gott und Mensch, das eine gewisse Eigenständigkeit
des Menschen voraussetzt (S. 219). Diese ermöglicht allererst die
(Glaubens-) Entscheidung. Hinsichtlich der Christologie bedeutet dies
notwendig die Verlagerung der Erkenntnis Jesu Christi auf das
geschichtlich Erlährbare von Jesus. Es geht Brunner dabei um „eine
pädagogische, bei der durch Jesus vermittelten Heilserfahrung
anknüpfende Hinlührung zur Vollgestalt des Christusglaubens"
(S. 244).

Wird Brunner dieser Absicht voll gerecht? Die Frage muß mit Nein
beantwortet werden, wenn seine Auffassung von Kreuz und Auferstehung
Jesu bedacht wird. An dieser Stelle bricht der Verstehenszugang
von der menschlich-geschichtlichen Erfahrung her ab. Es wird nunmehr
- leider - viel stärker von der Voraussetzung der Gottheit Jesu
Christi her argumentiert. Das Ergebnis ist zum einen der Mangel an
geschichtlich-personaler Deutung und Konkretion des priesterlichen
und königlichen Werkes Jesu Christi (S. 2650- Zum anderen wird die
Bedeutung der Auferstehung Jesu lür die Begründung des Christusglaubens
vernachlässigt und das Kreuzesereignis überbewertet
(S. 267). Scheid sieht hierin das dominierende Erbe der reformatorischen
Überbetonung der theologia crucis (S. 267). Ihr entgegen will
er lür die Begründung des Christusglaubens „von unten" vor allem die
Auferstehung Jesu in Anspruch nehmen. Er sieht sich in dieser Hinsicht
auf einer Linie mit Pannenbergs These, daß das Auferstehungsgeschehen
ein historisches Ereignis sei, und bekräftigt diese Auffassung
: „Der Satz: Ohne reales geschichtliches Geschehen kein Glaube,
ist also in bezug auf die Messianität, die Auferstehung und das hinter
beiden liegende Persongeheimnis Jesu unbedingt festzuhalten."
(S. 2851) In der Konsequenz heißt dies für Scheid, die Realität der
leibhaften Auferstehung Jesu durch den Verweis auf das leere Grab
jedenfalls spurenmäßig als historisch verifizierbar behaupten zu müssen
(S. 311). Was lür das Ende und den Höhepunkt der geschichtlichen
Erfahrung gilt, muß analog auch für den Anfang, also für die
wunderbare Geburt Jesu, zutreffen: „Die Durchdringung des Menschseins
Jesu vom Gottsein, welche ja im Leben, der Verkündigung, dem
Leiden und der Auferstehung Jesu durchgehend zu beobachten ist,
legt es also nahe, Jesus als den Sohn Mariens und Gottes im unmittelbaren
und ausschließlichen Sinn zu betrachten." (S. 301)

Am Schluß des Buches entwickelt der Vf. das ihm vorschwebende
Konzept einer „Christologie der Begegnung". Ihr Skopus ist die
These, daß der geschichtliche Weg Jesu zur wachsenden Erkenntnis
der Gottessohnschaft Jesu führt - für Jesus selbst und für die ihm
begegnenden Menschen (S. 321). Die unbegreifliche Menschheit Jesu
wird in dieser Christologie nicht „als Folge des Gottseins Jesu Christi,
sondern als Voraussetzung für die Erkenntnis der Göttlichkeit Jesu
Christi" zum Ausdruck kommen müssen (S. 325).

Die kritische Frage an dieses Programm ist die nach der Möglichkeit
, auf einem solchen Weg der Christologie „von unten" wirklich zu
den christologischen Dogmen zu gelangen. Werden diese nicht vielmehr
in ihrer Gültigkeit stillschweigend längst vorausgesetzt, so daß
der Erkenntnisweg schon eine Ausrichtung bekommen hat, bevor er
beschritten werden soll? Jede Einbahnstrecke erscheint als Konstruk-