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Ausgabe:

1984

Spalte:

372-374

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Titel/Untertitel:

Bekenntnis und Einheit der Kirche 1984

Rezensent:

Koch, Ernst

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Theologische Literaturzeitung 109. Jahrgang 1984 Nr. 5

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von 1976 maßgebend gefördert und geprägt hat) folgen bzw. erkennbargemacht
werden. Als systematisches Ziel der Arbeit formuliert der
Vf., „Voraussetzungen dafür zu formulieren, daß Wort wieder ganz
als Geist angesprochen und Geist wieder ganz als Wort gedacht werden
kann" (S. 31). Dieser systematische Bezugsrahmen bringt es
darum auch mit sich, daß beispielsweise das Problem der Verbindlichkeit
des Bekenntnisses in den Erörterungen ständig mitdiskutiert
wird.

Das Buch geht dem Thema in drei großen Hauptteilen nach: Es entfaltet
zunächst „Das Verständnis des Wortes, das mit dem Geist in
Beziehung gebracht wird" und bringt auf dem Hintergrund bereits
veröffentlichter Einzelstudien des Vf. höchst lehrreiche und wichtige
Ausführungen über das Einigungskonzept, das der FC zu Grunde
liegt. Auf diese wichtige und neue Interpretation des Abschnittes der
FC „Von dem summarischen Begriff" kann nur mit Nachdruck hingewiesen
werden. Ihr historiographisches Ergebnis ist der Sieg des theologischen
Konzepts von Martin Chemnitz über das Konzept Jacob
Andreaes, eines Gegensatzes, der auch sonst in der Vorgeschichte der
FC eine wichtige Rolle spielt. Zum Konzept von Chemnitz gehört
nach Ebel u. a. auch die genaue Fixierung des Status controversiae, die
dann die Lehraussagen, der FC auf diesen Status bezieht, damit aber
auch von diesem Status unablösbar macht. „Glaube soll gegen andere
Widersacher auch anders formulierbar sein" (S. 94).

Der zweite Hauptteil behandelt „Die Lehre vom Wort Gottes und
der Schrift". Hier wird herausgearbeitet, wie für die Hauptverfasser
der FC der Zusammenhang von Wort und Geist das Verhältnis einer
nachträglichen und willkürlichen Setzung ist. Das Wort Gottes bedarf
noch einer anderen Wirklichkeit, um das Ziel zu erreichen, das Gott
mit ihm vorhat. Der Geist „modelliert" das Wort auf die menschliche
Erkenntnissituation und -fähigkeit hin. Letzte Ursache der Bekehrung
ist dann nicht das Wort, sondern der Geist. „Das Wort Gottes an sich
ist geistleer und ohne Wirkung, die auch nur annäherungsweise dem
gleicht, was der Geist tut" (S. 143). Auch hierin erweist sich nach Ebel
die Widerstands- und Integrationsfähigkeit des theologischen Entwurfs
von Martin Chemnitz, der freilich von Luthers Konzeption erheblich
differiert. Was in Luthers Anthropologie die „aporetische
Unterscheidung" von innerlich und äußerlich ist, wird bei den Autoren
der FC „problemlose anthropologische Voraussetzung". Der
letzte Absatz des zweiten Hauptteils zieht dann einige Folgerungen für
das, was Ebel „kollektive Subjektivität der Lehre" nennt, die darin besteht
, daß das an sich geistleere Wort die Tendenz fördert, einen in
sich geschlossenen verbindlichen Text zu entwerfen, der es schwer hat
festzuhalten, was er eigentlich verbal behauptet: seine eigene Irrtumsfähigkeit
, mindere sufficientia, certitudo, claritas und autoritas.

Der dritte Hauptteil („Gottes Selbstbestimmung in seiner Präsenz")
befaßt sich zunächst mit der Frage nach dem Geist als dritter Person
der Trinität und stößt wiederum auf bezeichnende Unterschiede zwischen
Andreae und Seinecker einerseits und Chemnitz andererseits:
Ist bei ersteren eine Tendenz bemerkbar, die Präsenz Gottes im Geist
als ambivalente Präsenz zu Gericht oder Gnade zu verstehen und den
Glaubenden an der Entscheidung dieser Ambivalenz mitwirken zu
lassen, so ist bei Chemnitz und in FC die Präsenz Gottes zum Heil bereits
trinitätstheologisch angelegt. Im übrigen wird in diesem Hauptteil
die These von der Entwörtlichung des Geistes weiter entfaltet, mit
Luthers Beschreibung des Verhältnisses von Wort und Geist verglichen
und in ihren Folgen für die Rechtfertigungslehre, die Auseinandersetzung
mit Osiander und den Ansatz der Ethik beschrieben.
Der Geist ist „auf dem Wege, zum idealen individuellen menschlichen
Subjekt zu werden" (S. 254).

Ein letzter Hauptteil ist der systematischen Weiterführung der
skizzierten Probleme gewidmet, die in einer Thesenreihe mündet.

Es ist ausgeschlossen, dem inhaltlichen Reichtum der Arbeit in
einem knappen Referat gerecht zu werden. Es sei nur nachdrücklich
darauf hingewiesen, daß mit ihr eine wichtige Untersuchung zur
Pneumatologie der Spätreformation vorliegt. Einzelheiten bzw. Interpretationstendenzen
wird man gewiß weiterdiskutieren müssen. So ist

z. B. zu fragen, ob nicht die Stringenz der systematischen Interpretation
gelegentlich zu Verzeichnungen geführt hat (so z. B. S. 167 in der
Nachzeichnung der möglichen Konsequenzen des theologischen Ansatzes
). Angesichts der Ausführungen S. 176f meldet sich die Frage,
ob nicht lür die Aussagen zur Präsziens Gottes bei den dargestellten
Theologen doch das soteriologische Interesse federführend gewesen
ist. Eine Einzelheit: Die S. 185f untersuchte theologische Denkregel
spielt auch bei Osiander eine entscheidende Rolle (vgl. Martin Stup-
perich: Osiander in Preußen 1549-1552, Berlin 1973, S. 2021). (übt es
hier weitere Beziehungen zwischen Osiander und den FC-Verlässern
(vgl. S. 235-242)?

Fürdie historische Relevanz der Untersuchungen dieser Arbeit gravierender
ist, daß die politisch-gesellschaftlichen Implikationen der
Entstehungsgeschichte der FC sowie die religionspolitischen Zusammenhänge
, die allgemeinphilosophischen Voraussetzungen der Entstehungszeit
und auch der wichtige apokalyptische Kontext kaum im
Blick sind und somit u. U. manche Deutungen zu isoliert und überzogen
erscheinen. Aber dies ist wahrscheinlich der Preis, der für eine
vorrangig systematische Untersuchung gezahlt wird, und als solche
muß sie für jede künftige Arbeit an der FC beachtet werden.

Leipzig Ernst Koch

Brecht, Martin, u. Reinhard Schwarz [Hrsg.]: Bekenntnis und Einheit
der Kirche. Studien zum Konkordienbuch, im Auftrag der Sektion
Kirchengeschichte der Wissenschaftlichen Gesellschaft für
Theologie hrsg. Stuttgart: Calwer 1980. 531 S. gr. 8". Lw.
DM 48,-.

In den Feiern zum Jubiläum der Confessio Augustana ist das mit
der Geschichte dieses Bekenntnisses untrennbar verknüpfte Jubiläum
des Konkordienbuches ziemlich vergessen worden. Das muß verwundern
, weil die Confessio Augustana ihre Bedeutung im Verband des
alten Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation zum guten Teil
im Kontext des Konkordienbuches gewonnen hat.

Angesichts dieses Ausfalls ist das Erscheinen des vorliegenden Bandes
um so höher zu werten. Der Band ist nach Aussage des Vorwortes
1975 geplant worden und enthält 21 Beiträge in 5 Sachgruppen:
I. Motive und Funktionen der Bekenntnisse. II. Dissens und neuer
Konsens. III. Corpora Doctrinae und Konkordienbuch. IV. Die Lehrverpflichtung
und ihre Auflösung. V. Bemühungen um eine Rückgewinnung
des Bekenntnisses. Daß der Band durch ein Register erschlossen
wird, erhöht erfreulicherweise seine Benutzbarkeit.

Es ist aus Raumgründen unmöglich, alle Beiträge des Bandes in
gleicher Ausführlichkeit vorzustellen und zu besprechen. Sie werden
aber im folgenden ohne Ausnahme angezeigt.

In die Vorgeschichte der Confessio Augustana zurück greift Gottfried
Seebaß unter der Überschrift „Apologie und Confessio. Ein
Beitrag zum Selbst Verständnis des Augsburgischen Bekenntnisses"
(9-21). Er geht von der Erkenntnis aus, daß die Confessio Augustana
von ihren Wurzeln her sich nicht als „Bekenntnis" verstanden hat,
sondern als kursächsische „Apologie" der erfolgten Veränderungen
im gottesdienstlich-kirchenrechtlichen Bereich. Seebaß möchte
insofern zu einer veränderten Sicht der Vorgeschichte der Confessio
Augustana kommen, als er für eine andere Reihenfolge der Vorarbeiten
für die Vorrede plädiert: Der Anfang Juni 1530 nach Nürnberg geschickte
Text (Na) ist die erste Fassung, der in den darauf folgenden
2 Wochen zunächst der Weimarer (Wa) und dann der Jenaer Text (Ja)
folgten. Seebaß hält überhaupt eine Neuuntersuchung der ab Mitte
März 1530 greifbaren Vorstufen der Confessio Augustana für angebracht
und notwendig.

Einen großen Umkreis zwischen 1520 und 1580 umschreibt Gerhard
Müller mit dem Thema „Bündnis und Bekenntnis. Zum Verhältnis
von Glaube und Politik im deutschen Luthertum des 16. Jahrhunderts
" (23—43). Er bringt das unterschiedliche Verständnis des
Problems-zwischen 1526 und 1529 zur Sprache wie auch die Situation