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Ausgabe:

1984

Spalte:

362

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Krabbel, Gerta

Titel/Untertitel:

Caritas Pirckheimer 1984

Rezensent:

Bräuer, Siegfried

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Seite 1

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Theologische Literaturzeitung 109. Jahrgang 1984 Nr. 5

362

der Hebräerbriefvorlesung. Diese „dienen jetzt weniger zur Deutung
bildhafter Ausdrücke als vielmehr als Schriftautoritäten für bestimmte
systematische Gedankengänge" (S. 150). Apk3,15ff und
22.1 Ib bleiben für Luthers Rechtfertigungslehre wichtig; neues Dictum
probans für Luthers „radikale SündenaufTassung" ist Apk 21,27
(S. 151).

Von 1519 bis Oktober 1521 währt Luthers „erste antipäpstliche
Phase"; in ihr entstanden 85 Bezugnahmen auf Belege der Apokalypse
sowie zumindest eine fortlaufende Auslegung von Apk 9,1-11.
Nahezu die Hälfte der Zitate stammt aus der Leipziger Disputation,
aus der Schrift gegen Ambrosius Catharinus und aus den Operationes
in Psalmos. Luthers theologische Entwicklung, vorab seine Bestreitung
des päpstlichen Primats, spiegelt sich in seiner Apk-Deutung:
Apk 5,10; 20,6 begründen - neben lPetr2,9 - das allgemeine Prie-
stertum, Apk 21,22 widerlegt das Meßopfer, und die Plagenvisionen
Apk 6.9.15f stützen die Polemik gegen Scholastiker und Dekretisten.
Rom ist die babylonische Hure von Apk 17f (seit 1519). die römische
Kirche die Satanssynagoge von Apk 2,9; 3,9 (seit 1519), der Sitz des
Satans von Apk 2,13 (seit 1520) und das zweite Tier von Apk 13 (seit
1521). In der ersten Psalmenvorlesung hatte Luther diese Bilder auf
außerkirchliche Feinde angewendet; jetzt gilt ihm der Papst als Antichrist
, die römische Kirche als Antikirche(S. 234f).

Eine „überwiegend kritische Phase" währt von Herbst 1521 bis
Herbst 1529. Ihr entstammen nahezu 100 Bezugnahmen auf Einzelbelege
der Apokalypse, dazu acht Erwähnungen oder Beurteilungen
der Apokalypse als ganzer, ferner 21 Illustrationen des Neuen Testaments
von 1522, eine Vorrede zu einem älteren, anonymen Apokalypse
-Kommentar (1527) sowie vor allem die berühmte Vorrede aus
Luthers Septembertestament (1522). In der Vorrede von 1522 lehnt
Luther die Apokalypse scharf ab („mein Geist kann sich in das Buch
nicht schicken"); die rätselvollen Visionen stehen für ihn im Gegensatz
zu der Klarheit apostolischer Verkündigung. Für die Bestreitung
der Apostolizität beruft Luther sich auf altkirchliche Kritik; vor allem
aber kann er die Apokalypse nicht hoch achten, weil „Christus
drinnen weder gelehrt noch erkannt wird". Dementsprechend nimmt
die Häufigkeit der Apk-Zitate nach 1522 deutlich ab; freilich vertreten
die Holzschnittillustrationen der Apokalypse (1522) Luthers Deu-
ung des Antichristen und der Hure Babylon auf das Papsttum, und
manche zeitgeschichtlichen Anspielungen bereiten Luthers ge-
schichtstheologische Auslegung von 1529/30 vor. Der eigentliche
Grund seiner weitgehenden Ablehnung der Apokalypse und ihrer -
durch die Umstellung des Hebräer- und des Judasbriefs signalisierten
- Verdrängung an den Rand des Kanons sind jedoch Luthers Erfahrungen
mit Thomas Müntzer und den „Zwickauer Propheten"; ihrer
Berufung auf die Visionen der Apokalypse begegnet er mit dem ausschließlichen
Rückgriff auf die Klarheit des paulinischen Evangeliums
(S. 354-356).

Ganz anders ist Luthers Einstellung zur Johannes-Apokalypse in
der „Spätphase" (Herbst 1529 bis Februar 1546). Zu fast 300 Bezugnahmen
auf Apk-Stellen kommt, außer verschiedenen gedruckten
Randglossen, sechs neuen Illustrationen (1530), handschriftlichen
Randbemerkungen, einer Auslegung von Apk 14,13, einem Lied über
Apk 12,1-6 („Sie ist mir lieb, die werte Magd") und drei Predigten
"über Ap'. 12,7ff, vor allem die große Vorrede der Lutherbibel von
1530. Die Bezugnahmen sind am häufigsten in den Jahren 1529/30,
1538 und 1541; am wichtigsten und aufschlußreichsten ist die Vorrede
von 1530, die, zusammen mit zahlreichen Materialien der gleichen
Zeit, erkennen läßt, wie Luther um 1530 die Apokalypse fortlaufend
ausgelegt hätte. Luther deutet die Apokalypse als Visionenfolge
eines „Geschichtsdramas mit aktuellen Spitzen" (S. 614), nämlich
des Aufstiegs und der Vernichtung des Papsttums (S. 6140; Gog
und Magog(Apk 20,7-9) sind die Türken. An die Stelle der kritischen
Distanzicrthcit von 1522 ist also, zweifellos unter dem Eindruck der
Belagerung Wiens durch die Türken (1529), aber auch infolge Luthers
Erfahrungen mit den „Papisten" und aufgrund seiner Weiterarbeit an
der Bibelübersetzung, eine weit- und kirchcngeschichtliche Auslegung
getreten, die Gegenwartsereignisse einbeziehen und eschatolo-
gisch deuten kann (S. 613-615).

Informativ, insbesondere für den eiligen Leser, erfreulich durch
Klarheit und durch Abgewogenheit des Urteils sind die abschließenden
Kapitel („Luther und die Johannes-Apokalypse", S. 620-623;
„Luther und die Apokalyptik" [Luthers apokalyptische Interpretation
seiner Zeit und Geschichte betreffend] S. 623-655). Vorbildliche
Sorgfalt kennzeichnet das umfangreiche Literaturverzeichnis ebenso
wie die 12 Tabellen, welche Angaben über in WA fehlende oder falsch
notierte Apk-Stellen, über absolute und relative Häufigkeit der Apk-
Stellen bei Luther, über auffallende Schwankungen der Einzelstellen,
über Apk-Belege in Luthers Psalmenauslegungen sowie über Vorreden
, Glossen und Illustrationen zur Apokalypse in deutschen Bibeln
des 16.-18. Jahrhunderts enthalten. Leider fehlt ein Stellenregister der
Apokalypse, doch bietet die „systematische Einordnung der Apk-
Stellen" am Ende jedes der fünf Abschnitte (Ekklesiologie, Christolo-
gie, Rechtfertigung usw.) dafür einen gewissen Ersatz.

Für den Neutestamentier sind Luthers Deutungen der Johannes-
Apokalypse lediglich ein Stück Wirkungsgeschichte des letzten Buchs
der Bibel. Wer mit religions-, traditions-, form- und zeitgeschichtlichen
Fragestellungen den genuinen Sinn der Apokalypse erschließen
will, kann in Luthers Äußerungen keine „Vorarbeit für die moderne
Forschung" erblicken; darin ist dem Verfasser zuzustimmen (S. 623).
Statt dessen zeigt Hofmanns Buch, daß „Luther... im Laufe seines
Lebens fast alle Haltungen gegenüber der Apokalypse und beinahe
alle Methoden, sie auszulegen, die bis zum 16. Jahrhundert bekannt
geworden sind, entweder weitgehend nachvollzogen oder aber bekämpft
hat" (S. 622). Aparterweise kann sich sowohl die apokalypsekritische
Haltung zahlreicher Exegeten der letzten 100 Jahre als auch
die endgeschichtlich-spekulative Auslegung mancher evangelikaler,
freikirchlicher und sektiererischer Prediger auf Luther berufen: diese
auf den von 1530, jene auf den von 1522.

Mainz Otto Böcher

Krabbel, Gerta: Caritas Pirckheimer. Ein Lebensbild aus der Zeit der
Reformation. 5. Aufl. Mit einer Einführung von E. Iserloh. Münster
/W.: Aschendorff 1982. XVIII, 240 S. gr. 8" = Katholisches
Leben und Kirchenreform im Zeitalter der Glaubensspaltung,
7. Kart. DM 19,80.

Die 1. Auflage der Biographie dieser Schwester des bekannten
Humanisten und hochgebildeten Äbtissin des Nürnberger Klarissin-
nenklosters erschien bereits 1940. Die Autorin hat das archivalische
und gedruckte Qucllenmaterial in ganzer Breite ausgewertet und ein
gut lesbares Lebensbild geschrieben. Das Gewicht liegt auf der Schilderung
des Ringens um die Existenz des Klosters. In ihrem letztlich
aussichtslosen Kampf mit dem Rat der Stadt hat Caritas Pirckheimer
Zeitgenossen, aber auch der nachfolgenden Zeit stets Respekt abgenötigt
. Krabbeis Buch hat trotz eines zuweilen etwas hagiographischen
Stils nichts von seiner Lebendigkeit eingebüßt und kann noch heute
seinen Dienst tun, einer einseitigen Beurteilung des Ordenslebens im
16. Jahrhundert mit entgegenzuwirken. Diese frömmigkeitsgeschichtliche
Bedeutung der Äbtissin unterstreicht auch Iserloh in seiner Einführung
. Eine tiefergehende Einordnung des Kampfes von Caritas
Pirckheimer in das reformatorische Geschehen der Stadt auf Grund
der jüngsten Forschung unterbleibt. Die Argumentation mit dem
„Zeitgeist" (XI0 befriedigt nicht. Gleiches gilt für die Begründung der
größeren Resistenz von Frauenklöstern mit der größeren Sündhaftigkeit
des „schwachen Geschlechts" (XII). Für einige Einzelheiten hätte
man sich eine Ergänzung nach dem heutigen Forschungsstand gewünscht
. So sind z. B. die Angaben über Poliander korrektur- bzw.
ergänzungsbedürftig (106.200).

Berlin Siegfried Bräucr